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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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zu seiner sonstigen Schilderung in einem blos äußerlichen Verhältniß und sehen
aus wie unnütze, störende Episoden, während bei Walter Scott beide Gebiete
in lebendiger Harmonie in einander verarbeitet sind. Er hat zu seinen histori¬
schen Romanen, den letzten Tagen von Pompeji, Rienzi, dem letzten Baron n. s. w.,
die gewissenhaftesten Studien gemacht, jedenfalls gelehrtere, als Walter Scott,
aber was er gelernt hat, geht ihm nicht in lebendiger Gestalt auf, es fehlt ihm
der eigentlich poetische Blick. Sein historischer Horizont ist weit, aber unbestimmt,
und seinen historischen Charakterschilderungen fehlt es nicht an Tiefe,, aber an
Einheit. Er kann seinen eignen Idealismus nie verleugnen, und je stolzer und
fremdartiger er seine Helden sich geberden läßt, um so deutlicher tritt hinter der
auffallenden Maske das wohlbekannte Gesicht des Autors hervor. Und doch ist
in seinen historischen Schilderungen, namentlich in den Nebenfiguren, sehr viel
Schönes, z. B. in Fra Moriale, dem jungen Stefan Colonna u. s. w. Auch in der
Anlage und Gruppirung ist so viel Gutes, daß man es häufig bedauern muß,
wie durch zu große Finessen der Eindruck geschwächt wird. Er ist zu gelehrt,
um naiv zu schaffen, und wieder zu sehr Dilettant, um den Eindruck wahrer Ge¬
lehrsamkeit zu machen. Es ist eine Mischung von gelehrter Pedanterie und dem
bereits charakterisirten Streben nach Paradoxien, wenn er z. B. Richard III.
gegen Shakespeare in Schutz nimmt; wenn er episodische Figuren, wie Richard
Cromwell/ die Journalisten aus der Zeit der Königin Anna, berühmte Schneider
n. s. w. in ein Gemälde einführt, zu dessen Verständniß sie gar nichts beitragen,
nur um die Localsarbe zu ergänzen. Es ist ähnlich mit seinen gelehrten Citaten
aus der Literatur sämmtlicher alten und neuen Sprachen, die bei ihm ungefähr
die Stellung einnehmen, wie bei Walter Scott die Volkslieder. Auch diese sind
in reichlicherem Maße vorhanden, als die Grundsätze der strengen Oekonomie
eigentlich verstatten, und es spricht sich in ihnen mehr die Vorliebe und Gewohn¬
heit des Sammlers, als der Geschmack des Künstlers aus, aber sie entsprechen
doch dem Tone des Ganzen und gehören dem Gegenstande, nicht der Subjectivität
des Dichters an, während die philologischen Citate Bulwer's nur seine eigne
Belesenheit, nicht die objective Stimmung seiner Geschichte in'S Licht setzen. --
So zeigen auch seine phantastischen Erfindungen, die mehr aus einem unsichern
und unruhigen Suchen nach dem Beifall des Publicums, als aus einem innern
Drang hervorgegangen zu sein scheinen, mehr seine Belesenheit in der deutschen
Romantik, als ein natürliches Talent. So macht namentlich seine Vorrede zum
König Arthur einen peinlichen Eindruck. Er versichert, sein Werk mit aller Ge¬
wissenhaftigkeit geschrieben zu haben, die ihm möglich ist, aber das Publicum sei
einmal eingenommen gegen ihn. Er findet in Pope, daß zum Epos dreierlei
gehört, die Wahrscheinlichkeit, die Allegorie und das Wunderbare. Um diese
Eigenschaften zu verbinden, hat er sich in deu verschiedenen Mythologien umge¬
sehen, es hat ihm keine genügt, er hat sich also aus Feen, .Genien und Zan-


zu seiner sonstigen Schilderung in einem blos äußerlichen Verhältniß und sehen
aus wie unnütze, störende Episoden, während bei Walter Scott beide Gebiete
in lebendiger Harmonie in einander verarbeitet sind. Er hat zu seinen histori¬
schen Romanen, den letzten Tagen von Pompeji, Rienzi, dem letzten Baron n. s. w.,
die gewissenhaftesten Studien gemacht, jedenfalls gelehrtere, als Walter Scott,
aber was er gelernt hat, geht ihm nicht in lebendiger Gestalt auf, es fehlt ihm
der eigentlich poetische Blick. Sein historischer Horizont ist weit, aber unbestimmt,
und seinen historischen Charakterschilderungen fehlt es nicht an Tiefe,, aber an
Einheit. Er kann seinen eignen Idealismus nie verleugnen, und je stolzer und
fremdartiger er seine Helden sich geberden läßt, um so deutlicher tritt hinter der
auffallenden Maske das wohlbekannte Gesicht des Autors hervor. Und doch ist
in seinen historischen Schilderungen, namentlich in den Nebenfiguren, sehr viel
Schönes, z. B. in Fra Moriale, dem jungen Stefan Colonna u. s. w. Auch in der
Anlage und Gruppirung ist so viel Gutes, daß man es häufig bedauern muß,
wie durch zu große Finessen der Eindruck geschwächt wird. Er ist zu gelehrt,
um naiv zu schaffen, und wieder zu sehr Dilettant, um den Eindruck wahrer Ge¬
lehrsamkeit zu machen. Es ist eine Mischung von gelehrter Pedanterie und dem
bereits charakterisirten Streben nach Paradoxien, wenn er z. B. Richard III.
gegen Shakespeare in Schutz nimmt; wenn er episodische Figuren, wie Richard
Cromwell/ die Journalisten aus der Zeit der Königin Anna, berühmte Schneider
n. s. w. in ein Gemälde einführt, zu dessen Verständniß sie gar nichts beitragen,
nur um die Localsarbe zu ergänzen. Es ist ähnlich mit seinen gelehrten Citaten
aus der Literatur sämmtlicher alten und neuen Sprachen, die bei ihm ungefähr
die Stellung einnehmen, wie bei Walter Scott die Volkslieder. Auch diese sind
in reichlicherem Maße vorhanden, als die Grundsätze der strengen Oekonomie
eigentlich verstatten, und es spricht sich in ihnen mehr die Vorliebe und Gewohn¬
heit des Sammlers, als der Geschmack des Künstlers aus, aber sie entsprechen
doch dem Tone des Ganzen und gehören dem Gegenstande, nicht der Subjectivität
des Dichters an, während die philologischen Citate Bulwer's nur seine eigne
Belesenheit, nicht die objective Stimmung seiner Geschichte in'S Licht setzen. —
So zeigen auch seine phantastischen Erfindungen, die mehr aus einem unsichern
und unruhigen Suchen nach dem Beifall des Publicums, als aus einem innern
Drang hervorgegangen zu sein scheinen, mehr seine Belesenheit in der deutschen
Romantik, als ein natürliches Talent. So macht namentlich seine Vorrede zum
König Arthur einen peinlichen Eindruck. Er versichert, sein Werk mit aller Ge¬
wissenhaftigkeit geschrieben zu haben, die ihm möglich ist, aber das Publicum sei
einmal eingenommen gegen ihn. Er findet in Pope, daß zum Epos dreierlei
gehört, die Wahrscheinlichkeit, die Allegorie und das Wunderbare. Um diese
Eigenschaften zu verbinden, hat er sich in deu verschiedenen Mythologien umge¬
sehen, es hat ihm keine genügt, er hat sich also aus Feen, .Genien und Zan-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/139>, abgerufen am 10.06.2024.