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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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derem eine eigene Mythologie gebildet, und sie in das fabelhafte Zeitalter des
Königs Artus verlegt. ES ist allerdings ein romantisches Epos daraus hervor¬
gegangen, aber die Hauptsache, die das Epos macht und die er in Pope nicht
gefunden hat, sucht man vergebens darin: das Interesse an der Handlung und
das Hinreißende der Stimmung. -- Ebenso wenig findet man in seinen Pilgern
des Rheins, wo von der deutschen Mährchenwelt ein großes Wesen gemacht wird,
die reizende Naivetät der deutschen Mährchen wieder; die lieblichen und in ihrer
Art sehr bestimmten Gestalten, an die wir aus der Kindheit her gewöhnt sind,
werden zu symbolischen Schemen und zu Traumweseu verflüchtigt. -- Am aller-
schlimmsten ist es im Zauoui, wo im Anfang die Hoffmannschen Kreisleriana eine
Rolle spielen und sich dann eine Cagliostro'sche Wundergeschichte daran knüpft,
die bei dem ungeschlachten Pragmatismus und dem immer angespannten Pathos
unsers Dichters einen ebenso peinlichen als lächerlichen Eindruck macht. Bulwer
gehört durchaus in die reale Welt. Wo er seine praktischen Beobachtungen wieder¬
geben kann, zeichnet er sich wenigstens dnrch Gewissenhaftigkeit aus, und
man kann immer etwas ans ihm lernen; für die unsichtbare Welt der Geister aber
haben ihm die Genien das Auge verschlossen. -- Auch selbst in den idyllischen
Schilderungen, in denen eine Romantik nach Art der Walter Scott'schen wieder¬
gegeben werden soll, z. B. in dem Zigennerkönig im Verstoßenen, ist er unglück¬
lich, denn ans der bloßen Reflexion lassen sich solche kleine poetische Genrebilder
nicht entnehmen.

Am beachtenswerthesten ist sein Talent in den Schilderungen aus der Ge¬
sellschaft. Diese haben ihm eigentlich auch sein Ansehen bei dem deutschen
Publicum verschafft. Sie geben uns wenigstens die Kenntniß einer Welt, von
welcher weder bei Walter Scott uoch bei Dickens die Rede ist, und die übrigen
englischen Schriftsteller, ans denen wir im Ganzen vielleicht ein getreueres und
lebendigeres Abbild der vornehmen Gesellschaft entnehmen könnten, z. B. Char¬
lotte Bury, sind bei uns wenig bekannt, zum Theil wegen ihrer Formlosigkeit
und ihres Mangels an Pathos. Für uus sind Pelhmu, Devcreux, Maltravers,
u. s. w. die Evangelien sür unsere Kenntniß des Ilissd Ule. Die ältern No¬
vellisten, Smollet u. s. w., sowie die neuem, bewegen sich vorzugsweise im klei¬
nem Mittelstande. Bulwer gefällt sich trotz seines Liberalismus eigentlich nnr
in der großen Welt, und er hat in der That viel darin gesehen. Ein Dichter
wie Boz, der die Demokratie schildern will, muß in allen Schenken und Kirmes¬
sen zu Hause sein, und muß ein inniges Behagen finden an dem, was dem Volk
Vergnügen macht, also auch am Grog und an den Flüchen der Fuhrleute; das
steifleinene Wesen des gelehrten und an den fashionablen Salon gewöhnten
Bourgeois macht ihn ungeschickt zu solchen Beobachtungen, denn auch beobachten
kann man nur den Gegenstand, f.ur den man eine innere Theilnahme empfindet.
Darum gelingen ihm auch diejenigen Charaktere am besten, welche der kalte be-


derem eine eigene Mythologie gebildet, und sie in das fabelhafte Zeitalter des
Königs Artus verlegt. ES ist allerdings ein romantisches Epos daraus hervor¬
gegangen, aber die Hauptsache, die das Epos macht und die er in Pope nicht
gefunden hat, sucht man vergebens darin: das Interesse an der Handlung und
das Hinreißende der Stimmung. — Ebenso wenig findet man in seinen Pilgern
des Rheins, wo von der deutschen Mährchenwelt ein großes Wesen gemacht wird,
die reizende Naivetät der deutschen Mährchen wieder; die lieblichen und in ihrer
Art sehr bestimmten Gestalten, an die wir aus der Kindheit her gewöhnt sind,
werden zu symbolischen Schemen und zu Traumweseu verflüchtigt. — Am aller-
schlimmsten ist es im Zauoui, wo im Anfang die Hoffmannschen Kreisleriana eine
Rolle spielen und sich dann eine Cagliostro'sche Wundergeschichte daran knüpft,
die bei dem ungeschlachten Pragmatismus und dem immer angespannten Pathos
unsers Dichters einen ebenso peinlichen als lächerlichen Eindruck macht. Bulwer
gehört durchaus in die reale Welt. Wo er seine praktischen Beobachtungen wieder¬
geben kann, zeichnet er sich wenigstens dnrch Gewissenhaftigkeit aus, und
man kann immer etwas ans ihm lernen; für die unsichtbare Welt der Geister aber
haben ihm die Genien das Auge verschlossen. — Auch selbst in den idyllischen
Schilderungen, in denen eine Romantik nach Art der Walter Scott'schen wieder¬
gegeben werden soll, z. B. in dem Zigennerkönig im Verstoßenen, ist er unglück¬
lich, denn ans der bloßen Reflexion lassen sich solche kleine poetische Genrebilder
nicht entnehmen.

Am beachtenswerthesten ist sein Talent in den Schilderungen aus der Ge¬
sellschaft. Diese haben ihm eigentlich auch sein Ansehen bei dem deutschen
Publicum verschafft. Sie geben uns wenigstens die Kenntniß einer Welt, von
welcher weder bei Walter Scott uoch bei Dickens die Rede ist, und die übrigen
englischen Schriftsteller, ans denen wir im Ganzen vielleicht ein getreueres und
lebendigeres Abbild der vornehmen Gesellschaft entnehmen könnten, z. B. Char¬
lotte Bury, sind bei uns wenig bekannt, zum Theil wegen ihrer Formlosigkeit
und ihres Mangels an Pathos. Für uus sind Pelhmu, Devcreux, Maltravers,
u. s. w. die Evangelien sür unsere Kenntniß des Ilissd Ule. Die ältern No¬
vellisten, Smollet u. s. w., sowie die neuem, bewegen sich vorzugsweise im klei¬
nem Mittelstande. Bulwer gefällt sich trotz seines Liberalismus eigentlich nnr
in der großen Welt, und er hat in der That viel darin gesehen. Ein Dichter
wie Boz, der die Demokratie schildern will, muß in allen Schenken und Kirmes¬
sen zu Hause sein, und muß ein inniges Behagen finden an dem, was dem Volk
Vergnügen macht, also auch am Grog und an den Flüchen der Fuhrleute; das
steifleinene Wesen des gelehrten und an den fashionablen Salon gewöhnten
Bourgeois macht ihn ungeschickt zu solchen Beobachtungen, denn auch beobachten
kann man nur den Gegenstand, f.ur den man eine innere Theilnahme empfindet.
Darum gelingen ihm auch diejenigen Charaktere am besten, welche der kalte be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/140>, abgerufen am 29.05.2024.