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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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rechnende Verstand concipiren kann, die harten, selbstsüchtigen Weltleute. Sein
Lumlcy Ferrers übertrifft bei weitem die ähnlichen Figuren bei Walter Scott
und bei Bulwer. Wenn der Letztere z. B. im Ehester versucht, etwas Aehn-
liches zu schildern, so geht der Humor immer mit ihm durch. Das Komische,
das so zu sagen für das Auge Gottes in der BeschräutHeit eines in Endlich¬
keiten befangenen kalten Gemüthes liegt, überwiegt die Objectivität der
Gestaltung. -- Weniger gut gelingen Bulwer die idealen Charaktere, die sich
stets in der conventionellen Haltung der guten Gesellschaft bewegen, die sich mit
Literatur beschäftigen und die mangelnde Energie ihres innern Lebens dnrch ge¬
machten Stolz oder erkünstelte Härte ersetzen, bis sie zuletzt in ebenso erkünstelter
Resignation und in allgemein christlicher Menschenliebe endigen. So entspringt
auch die Leidenschaft seiner genialen Weiber mehr aus dem Kopfe, als aus dem
Herzen, und dabei ist er doch wieder zu steif, zu sehr Engländer, um sich an die
Schilderung derjenigen Seite der Weiblichkeit zu wagen, in welcher allein der
Verstand eine Art politischen Anstrichs gewinnt, die Schilderung der weiblichen
Coquetterie. -- Am schwächsten ist er in den eigentlich humoristischen Darstel¬
lungen, obgleich er nicht ganz ohne Anlage zum Humor ist, denn er hat wenig¬
stens Sinn und Auge für das Detail, und einzelne Scenen, z. B. der Anfang
im Paul Clifford, oder der Eindruck der kleinen menschenleeren Straßen eines
Landstädtchens im Maltravers, sind glücklich concipirt, aber wenn er weiter gehen
will, verfällt er in Satyre oder in abstracten Witz; es fehlt ihm zum Humor
die Ruhe und das Behagen. Daher sind seine humoristischen Charaktere nach
der Schablone gearbeitet; er entwirft sich für jeden Charakter ein Schema des
Komischen, an dem er mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit festhält. Beim ersten
Auftreten seiner Personen gibt er die allgemeine Regel ihres Verhaltens und
fügt hinzu, daß sie sich in den gegebenen Fällen so und so benehmen werden;
dann kommen die Fälle, und sie benehmen sich so und so. Es sind dies kaum
Variationen, eigentlich nur Wiederholungen. Ein Beispiel der Art ist der breit
ausgeführte Korporal im Engen Aram. Am glücklichsten ist er uoch, wenn er
die Irrwege der Eitelkeit zeichnet, z. B. im Talbot. Seine eigene Erfahrung
ist ihm darin eine unerschöpfliche Fundgrube. -- Es war daher ein unglücklicher
Versuch und nur zu erklären durch den Einfluß, den Dickens Popularität auf
ihn ausübte, wenn er in seinem neuesten Romane, in den Caxtons, sich auf die
Genremalerei, auf das Stillleben einer einfachen Familiengeschichte einläßt. Die
historische, antiquarische, criminalistische Gelehrsamkeit kann den Mangel an psy¬
chischem Inhalt in einem einfachen Idyll nicht verdecken; vergebens ruft er die
Natur, sie bleibt ihm stumm, denn er hat sich zu sehr in das Raffinement des
feinen Lebens verstrickt, um die Sprache des Herzens reden zu können; wo er
einen Anlauf macht, tritt sofort die Reflexion störend dazwischen, und zuletzt ist
es auch wieder eine bestimmte Seite seines eignen Wesens, die verherrlicht wer-


Grcnzboten. II. 1851. 17

rechnende Verstand concipiren kann, die harten, selbstsüchtigen Weltleute. Sein
Lumlcy Ferrers übertrifft bei weitem die ähnlichen Figuren bei Walter Scott
und bei Bulwer. Wenn der Letztere z. B. im Ehester versucht, etwas Aehn-
liches zu schildern, so geht der Humor immer mit ihm durch. Das Komische,
das so zu sagen für das Auge Gottes in der BeschräutHeit eines in Endlich¬
keiten befangenen kalten Gemüthes liegt, überwiegt die Objectivität der
Gestaltung. — Weniger gut gelingen Bulwer die idealen Charaktere, die sich
stets in der conventionellen Haltung der guten Gesellschaft bewegen, die sich mit
Literatur beschäftigen und die mangelnde Energie ihres innern Lebens dnrch ge¬
machten Stolz oder erkünstelte Härte ersetzen, bis sie zuletzt in ebenso erkünstelter
Resignation und in allgemein christlicher Menschenliebe endigen. So entspringt
auch die Leidenschaft seiner genialen Weiber mehr aus dem Kopfe, als aus dem
Herzen, und dabei ist er doch wieder zu steif, zu sehr Engländer, um sich an die
Schilderung derjenigen Seite der Weiblichkeit zu wagen, in welcher allein der
Verstand eine Art politischen Anstrichs gewinnt, die Schilderung der weiblichen
Coquetterie. — Am schwächsten ist er in den eigentlich humoristischen Darstel¬
lungen, obgleich er nicht ganz ohne Anlage zum Humor ist, denn er hat wenig¬
stens Sinn und Auge für das Detail, und einzelne Scenen, z. B. der Anfang
im Paul Clifford, oder der Eindruck der kleinen menschenleeren Straßen eines
Landstädtchens im Maltravers, sind glücklich concipirt, aber wenn er weiter gehen
will, verfällt er in Satyre oder in abstracten Witz; es fehlt ihm zum Humor
die Ruhe und das Behagen. Daher sind seine humoristischen Charaktere nach
der Schablone gearbeitet; er entwirft sich für jeden Charakter ein Schema des
Komischen, an dem er mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit festhält. Beim ersten
Auftreten seiner Personen gibt er die allgemeine Regel ihres Verhaltens und
fügt hinzu, daß sie sich in den gegebenen Fällen so und so benehmen werden;
dann kommen die Fälle, und sie benehmen sich so und so. Es sind dies kaum
Variationen, eigentlich nur Wiederholungen. Ein Beispiel der Art ist der breit
ausgeführte Korporal im Engen Aram. Am glücklichsten ist er uoch, wenn er
die Irrwege der Eitelkeit zeichnet, z. B. im Talbot. Seine eigene Erfahrung
ist ihm darin eine unerschöpfliche Fundgrube. — Es war daher ein unglücklicher
Versuch und nur zu erklären durch den Einfluß, den Dickens Popularität auf
ihn ausübte, wenn er in seinem neuesten Romane, in den Caxtons, sich auf die
Genremalerei, auf das Stillleben einer einfachen Familiengeschichte einläßt. Die
historische, antiquarische, criminalistische Gelehrsamkeit kann den Mangel an psy¬
chischem Inhalt in einem einfachen Idyll nicht verdecken; vergebens ruft er die
Natur, sie bleibt ihm stumm, denn er hat sich zu sehr in das Raffinement des
feinen Lebens verstrickt, um die Sprache des Herzens reden zu können; wo er
einen Anlauf macht, tritt sofort die Reflexion störend dazwischen, und zuletzt ist
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/141>, abgerufen am 10.06.2024.