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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Nachtstück mit blutrothem Fackeleffect unterbrochen wird, des Kontrastes wegen,
so ist doch die allgemeine Stimmung des Gedichts ebenso heiter, wie die Land¬
schaft, in der es spielt. Um diese Heiterkeit bis zum Schluß zu bewahren, hat
Walter Scott allerdings der Geschichte Gewalt angethan, aber hier mit vollem
Recht, denn es handelt sich nicht um König Jakob V., sondern um das alte
Ritterthum überhaupt. Die Form des Gedichts zeigt eine so weise Oeconomie
und trotz der Mannigfaltigkeit der Bilder, die sie umschließt, ein so architektoni¬
sches Ebenmaß, daß wir es nicht blos der künstlerischen Absicht des Dichters,
sondern zugleich seinem Instinkt und seiner Anlage beimessen müssen. Die Hand¬
lung umfaßt nur sechs Tage, eine verhältnißmäßig ziemlich enge Localität und
eine kleine Anzahl von Figuren, von denen aber jede mit vollendeter Meister¬
schaft ausgeführt ist. Die Wirkung der effectreichsten Stellen ist trotz des vor¬
herrschenden landschaftlichen Charakters eine fast dramatische -- ich erinnere nur
an die beiden Momente, in denen der hochländische Häuptling und der schottische
König sich zu erkennen geben -- und es ist ein Leben und eine Bewegung in
dem ganzen Gedichte, daß es uns in die Vorstellung einer epischen Welt hinein¬
schmeichelt. Die Schilderung der Hirschjagd und der Verbreitung des Feuer"
kreuzes über die verschiedenen Theile des Claus ist darum so hinreißend, weil
mit dem sorgfältigsten Studium die strengste Naturwahrheit beobachtet ist. Jeder
Felsen, jede Wendung des Sees und des Bergpfades ist Portrait, und Walter
Scott hat sich überall durch die eigne Erfahrung von der Möglichkeit seiner
kühnsten Erfindungen überzeugt.

Durch diese Strenge in der künstlerischen Abrundung wird auch die Freiheit
der äußerlichen Form gemäßigt. Walter Scott hat nur einmal, in einem seiner
schwächer" Gedichte, die nationale Stanze Spencers angewendet, sonst bleibt er
immer in dem leicht gereimten vierfüßigen Jambus, der sich mit seinem einfachen
bequemen Rhythmus an die Mannigfaltigkeiten seiner Stiiumungeu harmonisch an¬
schmiegt, ohne daß er es nöthig hätte, wie es Byron thut, die Bewegung des
Verses uach der Bewegung der Handlung zu modistciren. Es dürfte aber doch
diese Form einem minder begabten Talent nicht zu empfehlen sein, weil sie zur
Willkür und zur Maßlosigkeit verleitet.

Der Inhalt des Gedichts ist allerdings von der Art, wie sie einem entschie¬
denen Tor'y anch in der Poesie nothwendig ist. Wir haben es nicht mit deut¬
schen Ritter - und Näuberromaneu zu thun, trotz der Ritter und Räuber, die
darin vorkommen, denn jene, der Götz von Berlichingen, wie Rinaldo Rinaldini,
verherrlichen die bloße Kraft nud schmeicheln der Masse. Bei Walter Scott l--
finden wir uns in durchaus aristokratischer Gesellschaft. Der Häuptling des Näu-
berclans wie der getreue Lehnsmann nud der König selbst tragen über ihre
sonstigen Bestimmtheiten hinaus ein gemeinschaftliches Gepräge, das Gepräge
deö Adels; ihre Tugenden wie ihre Fehler sind aristokratischer Natur. Aber man


Nachtstück mit blutrothem Fackeleffect unterbrochen wird, des Kontrastes wegen,
so ist doch die allgemeine Stimmung des Gedichts ebenso heiter, wie die Land¬
schaft, in der es spielt. Um diese Heiterkeit bis zum Schluß zu bewahren, hat
Walter Scott allerdings der Geschichte Gewalt angethan, aber hier mit vollem
Recht, denn es handelt sich nicht um König Jakob V., sondern um das alte
Ritterthum überhaupt. Die Form des Gedichts zeigt eine so weise Oeconomie
und trotz der Mannigfaltigkeit der Bilder, die sie umschließt, ein so architektoni¬
sches Ebenmaß, daß wir es nicht blos der künstlerischen Absicht des Dichters,
sondern zugleich seinem Instinkt und seiner Anlage beimessen müssen. Die Hand¬
lung umfaßt nur sechs Tage, eine verhältnißmäßig ziemlich enge Localität und
eine kleine Anzahl von Figuren, von denen aber jede mit vollendeter Meister¬
schaft ausgeführt ist. Die Wirkung der effectreichsten Stellen ist trotz des vor¬
herrschenden landschaftlichen Charakters eine fast dramatische — ich erinnere nur
an die beiden Momente, in denen der hochländische Häuptling und der schottische
König sich zu erkennen geben — und es ist ein Leben und eine Bewegung in
dem ganzen Gedichte, daß es uns in die Vorstellung einer epischen Welt hinein¬
schmeichelt. Die Schilderung der Hirschjagd und der Verbreitung des Feuer«
kreuzes über die verschiedenen Theile des Claus ist darum so hinreißend, weil
mit dem sorgfältigsten Studium die strengste Naturwahrheit beobachtet ist. Jeder
Felsen, jede Wendung des Sees und des Bergpfades ist Portrait, und Walter
Scott hat sich überall durch die eigne Erfahrung von der Möglichkeit seiner
kühnsten Erfindungen überzeugt.

Durch diese Strenge in der künstlerischen Abrundung wird auch die Freiheit
der äußerlichen Form gemäßigt. Walter Scott hat nur einmal, in einem seiner
schwächer» Gedichte, die nationale Stanze Spencers angewendet, sonst bleibt er
immer in dem leicht gereimten vierfüßigen Jambus, der sich mit seinem einfachen
bequemen Rhythmus an die Mannigfaltigkeiten seiner Stiiumungeu harmonisch an¬
schmiegt, ohne daß er es nöthig hätte, wie es Byron thut, die Bewegung des
Verses uach der Bewegung der Handlung zu modistciren. Es dürfte aber doch
diese Form einem minder begabten Talent nicht zu empfehlen sein, weil sie zur
Willkür und zur Maßlosigkeit verleitet.

Der Inhalt des Gedichts ist allerdings von der Art, wie sie einem entschie¬
denen Tor'y anch in der Poesie nothwendig ist. Wir haben es nicht mit deut¬
schen Ritter - und Näuberromaneu zu thun, trotz der Ritter und Räuber, die
darin vorkommen, denn jene, der Götz von Berlichingen, wie Rinaldo Rinaldini,
verherrlichen die bloße Kraft nud schmeicheln der Masse. Bei Walter Scott l--
finden wir uns in durchaus aristokratischer Gesellschaft. Der Häuptling des Näu-
berclans wie der getreue Lehnsmann nud der König selbst tragen über ihre
sonstigen Bestimmtheiten hinaus ein gemeinschaftliches Gepräge, das Gepräge
deö Adels; ihre Tugenden wie ihre Fehler sind aristokratischer Natur. Aber man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/60>, abgerufen am 05.06.2024.