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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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und Niedrig genoß, erfuhr ich schon in früher Jugend. Meine Mutter, eine
arme Wittwe, verlor einen klaren und einfachen Proceß gegen einen steinreichen
Wucherer, und mein unerfahrenes Blut geriet!) darob in zornige Wallung. Da
beugte sich meine Mutter liebkosend über mich und sagte mit Thränen in den
Augen: Ich weiß, es ist meine Schuld, daß der Proceß verloren ging, aber
du wirst einsehen, liebes Kind, daß es mir unmöglich war, mehr als zehn Ducaten
dem Herrn Nath zu geben; unser Gegner hat aber dreißig daran gewendet! --
Wenn um in diesem Falle die Bestechung dem Unrecht zum Sieg verhalf, so
kam sie ein anderes Mal der Billigkeit und Menschlichkeit zur Hilfe, und der
Schaden glich sich aus. Ohne Bestechung hätten zahllose gebildete junge Leute
vierzehn Jahre deu weißen Nock tragen müssen, statt die Stütze ihrer Familien
oder die Zierde der Kunst und Wissenschaft zu werden; ohne Bestechung hätte
die Judenschaft in Böhmen und Mähren umsonst falsche Eide geschworen, um
sich ehelich fortpflanze" zu dürfen, und die Welt wäre um elftausend alte Jungfern
jährlich bereichert worden; ohne Bestechung könnten weder die Grenzjäger im
Niesen- und Erzgebirge, uoch die Tausende von Paschern leben, welche die Be¬
völkerung ganzer böhmischer Kreise ausmachen. Der Staat selbst erkannte die
Ersprießlichkeit dieses Herkommens an und brachte es bei der Besetzung vieler
Stellen in Anschlag. In meinem Wohnort gab es einen weißen Naben, einen
alten Tngendnarren, einen Märtyrer des Canzlei- und Actenstaubes; der kam
einst zu seinem Obern und flehte ergebenst um Vorrückung oder Zulage, da er
vou dem niedern Sold Weib und Kinder nicht erhalten könne. Der vornehme
Herr sah mitleidig lächelnd auf ihn herab, nahm eine Prise und sagte: Wir haben
ihm einen einträglichen Posten gegeben; wenn er alter E--l nichts daraus macheu
kann, so ist das seine eigene Schuld. -- Nein, meine Herren, Friede mit den
Capuzinern des östreichischen Beamtenstandes; sie streckten ihre Hand ans, weil
sie mußten, und bewiesen sich oft dankbar und gehorsam für die Almosen, welche
der Bürger in ihren Bettelsack fallen ließ. Weniger zartfühlend benahmen sich
dagegen die Prälaten der Bureaukratie. Vor einigen Jahren erhielt ich eine amt¬
liche Vorladung auf das Criminal in P.; ich errieth, in welcher Angelegenheit.
Aus meinem Magazin war ein Ballen Waare gestohlen worden. Vermuthlich
hatte ihn die Polizei erspürt und es handelte sich darum, mein Eigenthumsrecht
darauf zu beweisen. Ich eile hin, man läßt mich eine Viertelstunde im leeren
Vorzimmer warten; endlich komme ich vor, der Herr Criminalrichter schreibt noch
eine Weile ruhig fort, dann steht er auf. Ah, sieh da, Herr von ruft er,
mich herablassend beim Rockknopf fassend; schön, daß Sie kommen. Ich habe
Sie blos bitten wollen, mir mit zweihundert Gulden aus einer kleinen Verlegen¬
heit zu helfen. In Anbetracht des unglücklichen Ballens erschließe ich meine
Brieftasche. Nach einigen Tagen findet sich die Waare, aber wie gewöhnlich
wird die Herausgabe auf die lange Bank geschoben, allerhand Schwierigkeiten,


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und Niedrig genoß, erfuhr ich schon in früher Jugend. Meine Mutter, eine
arme Wittwe, verlor einen klaren und einfachen Proceß gegen einen steinreichen
Wucherer, und mein unerfahrenes Blut geriet!) darob in zornige Wallung. Da
beugte sich meine Mutter liebkosend über mich und sagte mit Thränen in den
Augen: Ich weiß, es ist meine Schuld, daß der Proceß verloren ging, aber
du wirst einsehen, liebes Kind, daß es mir unmöglich war, mehr als zehn Ducaten
dem Herrn Nath zu geben; unser Gegner hat aber dreißig daran gewendet! —
Wenn um in diesem Falle die Bestechung dem Unrecht zum Sieg verhalf, so
kam sie ein anderes Mal der Billigkeit und Menschlichkeit zur Hilfe, und der
Schaden glich sich aus. Ohne Bestechung hätten zahllose gebildete junge Leute
vierzehn Jahre deu weißen Nock tragen müssen, statt die Stütze ihrer Familien
oder die Zierde der Kunst und Wissenschaft zu werden; ohne Bestechung hätte
die Judenschaft in Böhmen und Mähren umsonst falsche Eide geschworen, um
sich ehelich fortpflanze« zu dürfen, und die Welt wäre um elftausend alte Jungfern
jährlich bereichert worden; ohne Bestechung könnten weder die Grenzjäger im
Niesen- und Erzgebirge, uoch die Tausende von Paschern leben, welche die Be¬
völkerung ganzer böhmischer Kreise ausmachen. Der Staat selbst erkannte die
Ersprießlichkeit dieses Herkommens an und brachte es bei der Besetzung vieler
Stellen in Anschlag. In meinem Wohnort gab es einen weißen Naben, einen
alten Tngendnarren, einen Märtyrer des Canzlei- und Actenstaubes; der kam
einst zu seinem Obern und flehte ergebenst um Vorrückung oder Zulage, da er
vou dem niedern Sold Weib und Kinder nicht erhalten könne. Der vornehme
Herr sah mitleidig lächelnd auf ihn herab, nahm eine Prise und sagte: Wir haben
ihm einen einträglichen Posten gegeben; wenn er alter E—l nichts daraus macheu
kann, so ist das seine eigene Schuld. — Nein, meine Herren, Friede mit den
Capuzinern des östreichischen Beamtenstandes; sie streckten ihre Hand ans, weil
sie mußten, und bewiesen sich oft dankbar und gehorsam für die Almosen, welche
der Bürger in ihren Bettelsack fallen ließ. Weniger zartfühlend benahmen sich
dagegen die Prälaten der Bureaukratie. Vor einigen Jahren erhielt ich eine amt¬
liche Vorladung auf das Criminal in P.; ich errieth, in welcher Angelegenheit.
Aus meinem Magazin war ein Ballen Waare gestohlen worden. Vermuthlich
hatte ihn die Polizei erspürt und es handelte sich darum, mein Eigenthumsrecht
darauf zu beweisen. Ich eile hin, man läßt mich eine Viertelstunde im leeren
Vorzimmer warten; endlich komme ich vor, der Herr Criminalrichter schreibt noch
eine Weile ruhig fort, dann steht er auf. Ah, sieh da, Herr von ruft er,
mich herablassend beim Rockknopf fassend; schön, daß Sie kommen. Ich habe
Sie blos bitten wollen, mir mit zweihundert Gulden aus einer kleinen Verlegen¬
heit zu helfen. In Anbetracht des unglücklichen Ballens erschließe ich meine
Brieftasche. Nach einigen Tagen findet sich die Waare, aber wie gewöhnlich
wird die Herausgabe auf die lange Bank geschoben, allerhand Schwierigkeiten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/103>, abgerufen am 15.06.2024.