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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Förmlichkeiten und Bedenken sind zu überwinden. Plötzlich erhält meine Frau
ein Billetchen von der Frau Räthin, die ein neues Anlehen erheben will und die
Bitte hinzufügt, vor mir und vor ihrem Gemahl nichts merken zu lassen. Ein
Paar Stunden, nachdem das Briefchen freundlich beantwortet ist, liegt mir der
theuer gewordene Ballen zu Füßen und ich freue mich, daß die Brandschatzung
nicht erst noch auf meine Töchter und Söhne ausgedehnt wurde. . . Sie sehen,
meine Herren, daß die Bestechung neben einer unweisen Gesetzgebung als eine
fortwährende nothdürftige Verbesserung herläuft; zuweilen hilft sie der hinkenden
und blinden Gerechtigkeit rasch aus den rechten Weg. Sie hat jedoch eine dop¬
pelte Schneide. Die Heiligen der Amtsstube verlangen ein Opfer für die Schul¬
digkeit, welche sie thun, wie für die Schuldigkeit, welche sie unterlassen. Die
Bestechung ist nicht nur erlaubt, sondern noch häufiger geboten. In der Erhe¬
bung der heimlichen Steuer herrscht dabei die regelloseste Willkür. Das muß
aufhören. Hoffen wir, daß die Constitution dazu beitragen wird, in die östrei¬
chische Bestechung Methode zu bringen. Sie muß vom Staate sanctionirt und
beaufsichtigt werden, wie die Prostitution und die Lotterie; es muß ein organisches
Gesetz über die Grenzen der Bestechung gegeben, eine feste Taxe muß eingeführt
werden. Ich kenne mein Vaterland und will mit einem solchen Erfolge schon
zufrieden sein.

Das wäre erreicht, murrte ein Anderer, die Bestechung hat jetzt in Ungarn
feste Taxe bekommen. In Ungarn kostet's 10 Ducaten, als k. k. Unterthan pu-
rificirt zu werden, und es ist hochherzig, daß sie mit den 10 Ducaten noch zufrieden
sind, da der Goldcurs so niedrig steht im Verhältniß zum Silber. Sie werdeu
aufschlagen müssen, um auf ihre Rechnung zu kommen.

Der dritte Oestreicher sah den Sprecher mißbilligend an und sprach: Wer
nicht in Oestreich lebt, dem wird es schwer, zu begreifen, mit welchen Schwierig¬
keiten die gegenwärtige Reorganisation des Staats zu kämpfen hat. In der innern
Verwaltung war im Jahr 1848 Alles faul und morsch, und es ließen sich über
unsere damaligen jammervollen Zustände Geschichten erzählen, welche euch Nord¬
deutschen unglaublich vorkommen würden. Die schlechte Bildung unseres Beam¬
tenstandes, die unzureichenden Gehalte, das mittelalterliche weitläufige Verfahren
und die Willkür und Maßlosigkeit des Protectionswesens hatten den Mechanismus
der Staatsmaschine so langsam und stockend gemacht, daß Alles buchstäblich zu¬
sammenfiel, als in Wien und Prag der Sturm losging. Jede Kreisverwaltnng
in Böhmen und Oestreich gab dafür Belege. So ist charakteristisch, was in der
Landstadt in meiner Nähe vorging.

Auch in meinem Landstädtchen gab es März- und Maierinnerungen.

Im Märzmonat lernten die guten Einwohner desselben eines der allermo-
dernsten Bedürfnisse kennen. Früher ging die Weltgeschichte zehn Meilen weit
an der Stadt vorbei, selten hörte man ihr Wort oder ihren Fußtritt hier. Bei


Förmlichkeiten und Bedenken sind zu überwinden. Plötzlich erhält meine Frau
ein Billetchen von der Frau Räthin, die ein neues Anlehen erheben will und die
Bitte hinzufügt, vor mir und vor ihrem Gemahl nichts merken zu lassen. Ein
Paar Stunden, nachdem das Briefchen freundlich beantwortet ist, liegt mir der
theuer gewordene Ballen zu Füßen und ich freue mich, daß die Brandschatzung
nicht erst noch auf meine Töchter und Söhne ausgedehnt wurde. . . Sie sehen,
meine Herren, daß die Bestechung neben einer unweisen Gesetzgebung als eine
fortwährende nothdürftige Verbesserung herläuft; zuweilen hilft sie der hinkenden
und blinden Gerechtigkeit rasch aus den rechten Weg. Sie hat jedoch eine dop¬
pelte Schneide. Die Heiligen der Amtsstube verlangen ein Opfer für die Schul¬
digkeit, welche sie thun, wie für die Schuldigkeit, welche sie unterlassen. Die
Bestechung ist nicht nur erlaubt, sondern noch häufiger geboten. In der Erhe¬
bung der heimlichen Steuer herrscht dabei die regelloseste Willkür. Das muß
aufhören. Hoffen wir, daß die Constitution dazu beitragen wird, in die östrei¬
chische Bestechung Methode zu bringen. Sie muß vom Staate sanctionirt und
beaufsichtigt werden, wie die Prostitution und die Lotterie; es muß ein organisches
Gesetz über die Grenzen der Bestechung gegeben, eine feste Taxe muß eingeführt
werden. Ich kenne mein Vaterland und will mit einem solchen Erfolge schon
zufrieden sein.

Das wäre erreicht, murrte ein Anderer, die Bestechung hat jetzt in Ungarn
feste Taxe bekommen. In Ungarn kostet's 10 Ducaten, als k. k. Unterthan pu-
rificirt zu werden, und es ist hochherzig, daß sie mit den 10 Ducaten noch zufrieden
sind, da der Goldcurs so niedrig steht im Verhältniß zum Silber. Sie werdeu
aufschlagen müssen, um auf ihre Rechnung zu kommen.

Der dritte Oestreicher sah den Sprecher mißbilligend an und sprach: Wer
nicht in Oestreich lebt, dem wird es schwer, zu begreifen, mit welchen Schwierig¬
keiten die gegenwärtige Reorganisation des Staats zu kämpfen hat. In der innern
Verwaltung war im Jahr 1848 Alles faul und morsch, und es ließen sich über
unsere damaligen jammervollen Zustände Geschichten erzählen, welche euch Nord¬
deutschen unglaublich vorkommen würden. Die schlechte Bildung unseres Beam¬
tenstandes, die unzureichenden Gehalte, das mittelalterliche weitläufige Verfahren
und die Willkür und Maßlosigkeit des Protectionswesens hatten den Mechanismus
der Staatsmaschine so langsam und stockend gemacht, daß Alles buchstäblich zu¬
sammenfiel, als in Wien und Prag der Sturm losging. Jede Kreisverwaltnng
in Böhmen und Oestreich gab dafür Belege. So ist charakteristisch, was in der
Landstadt in meiner Nähe vorging.

Auch in meinem Landstädtchen gab es März- und Maierinnerungen.

Im Märzmonat lernten die guten Einwohner desselben eines der allermo-
dernsten Bedürfnisse kennen. Früher ging die Weltgeschichte zehn Meilen weit
an der Stadt vorbei, selten hörte man ihr Wort oder ihren Fußtritt hier. Bei


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[0104] Förmlichkeiten und Bedenken sind zu überwinden. Plötzlich erhält meine Frau ein Billetchen von der Frau Räthin, die ein neues Anlehen erheben will und die Bitte hinzufügt, vor mir und vor ihrem Gemahl nichts merken zu lassen. Ein Paar Stunden, nachdem das Briefchen freundlich beantwortet ist, liegt mir der theuer gewordene Ballen zu Füßen und ich freue mich, daß die Brandschatzung nicht erst noch auf meine Töchter und Söhne ausgedehnt wurde. . . Sie sehen, meine Herren, daß die Bestechung neben einer unweisen Gesetzgebung als eine fortwährende nothdürftige Verbesserung herläuft; zuweilen hilft sie der hinkenden und blinden Gerechtigkeit rasch aus den rechten Weg. Sie hat jedoch eine dop¬ pelte Schneide. Die Heiligen der Amtsstube verlangen ein Opfer für die Schul¬ digkeit, welche sie thun, wie für die Schuldigkeit, welche sie unterlassen. Die Bestechung ist nicht nur erlaubt, sondern noch häufiger geboten. In der Erhe¬ bung der heimlichen Steuer herrscht dabei die regelloseste Willkür. Das muß aufhören. Hoffen wir, daß die Constitution dazu beitragen wird, in die östrei¬ chische Bestechung Methode zu bringen. Sie muß vom Staate sanctionirt und beaufsichtigt werden, wie die Prostitution und die Lotterie; es muß ein organisches Gesetz über die Grenzen der Bestechung gegeben, eine feste Taxe muß eingeführt werden. Ich kenne mein Vaterland und will mit einem solchen Erfolge schon zufrieden sein. Das wäre erreicht, murrte ein Anderer, die Bestechung hat jetzt in Ungarn feste Taxe bekommen. In Ungarn kostet's 10 Ducaten, als k. k. Unterthan pu- rificirt zu werden, und es ist hochherzig, daß sie mit den 10 Ducaten noch zufrieden sind, da der Goldcurs so niedrig steht im Verhältniß zum Silber. Sie werdeu aufschlagen müssen, um auf ihre Rechnung zu kommen. Der dritte Oestreicher sah den Sprecher mißbilligend an und sprach: Wer nicht in Oestreich lebt, dem wird es schwer, zu begreifen, mit welchen Schwierig¬ keiten die gegenwärtige Reorganisation des Staats zu kämpfen hat. In der innern Verwaltung war im Jahr 1848 Alles faul und morsch, und es ließen sich über unsere damaligen jammervollen Zustände Geschichten erzählen, welche euch Nord¬ deutschen unglaublich vorkommen würden. Die schlechte Bildung unseres Beam¬ tenstandes, die unzureichenden Gehalte, das mittelalterliche weitläufige Verfahren und die Willkür und Maßlosigkeit des Protectionswesens hatten den Mechanismus der Staatsmaschine so langsam und stockend gemacht, daß Alles buchstäblich zu¬ sammenfiel, als in Wien und Prag der Sturm losging. Jede Kreisverwaltnng in Böhmen und Oestreich gab dafür Belege. So ist charakteristisch, was in der Landstadt in meiner Nähe vorging. Auch in meinem Landstädtchen gab es März- und Maierinnerungen. Im Märzmonat lernten die guten Einwohner desselben eines der allermo- dernsten Bedürfnisse kennen. Früher ging die Weltgeschichte zehn Meilen weit an der Stadt vorbei, selten hörte man ihr Wort oder ihren Fußtritt hier. Bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/104>, abgerufen am 15.06.2024.