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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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feierlichen Gelegenheiten, wenn ein Kaiser starb, ein Prinz auf die Welt kam,
eine Prinzessin sich vermählte, eine Steuer erhöht ward oder eine den Ort
betreffende Annonce in der Hrager Zeitung stand, trat ein Mitglied des
Magistrats auf deu Balcon des Rathhauses und rief vor der zusammengetrom¬
melten Gemeinde, als historischer Nachtwächter aus, wie viel es geschlagen.
Darauf folgte in neuerer Zeit der Fortschritt, daß täglich ein anderer Herr vom
Rathhause im ersten Wirthshaus des Ortes das amtliche Blatt wortgetreu
vorlas. Seit der Kunde vom 13. März genügte das eine Exemplar nicht mehr,
ja außer der Prager Zeitung studirte man noch andere deutsche und czechische
Blätter. Dadurch erhielt der patriarchalische Sinn der Bevölkerung einen harten
Stoß; wie hätte sonst die Wiener Maibewegnng in der friedlichen k. k. Leib¬
gedingstadt so schrecklichen Widerhall finden können! Die *^er wollten sich selbst
regieren, und der Umstand, daß Bürgermeister und Räthe von Sr. Aller-
gnädigsten Majestät ernannte Juristen sind, flößte ihnen durchaus keinen Respect
ein. Sie wählten einen Wohlfahrtsausschuß, an dessen Spitze ein czechischer
Bierbrauer trat; er nannte sich selbst, seinem Prager Vorbild zu Ehren, Waclaw
Peter Faster II., war Jedoch weiser als Faster 1. und kümmerte sich uicht um
höhere Politik. Sein erster Negieruugsact war die Absetzung und Vertreibung
des Bürgermeisters wegen Erpressung und Bestechlichkeit. Eine Nathhans-
verschwöruug leistete .der Revolution geheimen Vorschub. Die Herren Räthe
nämlich hatten sich ebenfalls bestechen lassen, aber mit Vernunft und Billigkeit;
sie haßten ihren Obern als einen Geschäftverderber, und erklärten sich beim
Beginn des Sturmes für neutral. Eine idyllische Katzenmusik bildete das
Vorspiel. Der Tyrann öffnete das Fenster und hielt eine Rede; er habe die
Wünsche der Gemeinde bisher nicht gekannt, sei jedoch bereit, sich mit Vertrauens¬
männern zu umgeben, um die Gerechtigkeit der Volksbeschwerdeu prüfen und
sein Amt den Forderungen der neuen Zeit gemäß verwalten zu können. -- Zur
Antwort erscholl ein Hohngelächter über das andere und Steine begannen durch
die Lust zu fliegen. -- "Keine Gewaltthat!" rief Faster II., mit Würde vor¬
tretend; "auf gesetzlichem Wege wollen wir nus Recht verschaffen!" Und somit
sprach er im Namen der Stadt und des durch freie Wahl ernannten Ausschusses
die Absetzung und Verbannung des Bürgermeisters aus, vergönnte ihm jedoch
vierundzwanzig Stunden Frist zur Ordnung seiner Angelegenheiten. Faster II.
wurde im Triumph nach Hanse getragen, das Hans des Tyrannen aber mit
Wachen umstellt, damit er keinen Boten um Militär äusserte. Am folgenden
Morgen half man ihm seine Angelegenheiten ordnen. Sämmtliche Einwohner
standen in dichten Gruppen auf dem weiten Marktplatz und begrüßten mit unbän¬
digem Jauchzen jeden Augenblick einen andern Mitbürger, der, ein Paar silberne
Löffel oder Leuchter, eine goldene Uhrkette oder ein Ohrgehäng schwingend/ aus
der Thüre der bürgermeisterlichen Wohnung trat; die Opfer seiner Habsucht


feierlichen Gelegenheiten, wenn ein Kaiser starb, ein Prinz auf die Welt kam,
eine Prinzessin sich vermählte, eine Steuer erhöht ward oder eine den Ort
betreffende Annonce in der Hrager Zeitung stand, trat ein Mitglied des
Magistrats auf deu Balcon des Rathhauses und rief vor der zusammengetrom¬
melten Gemeinde, als historischer Nachtwächter aus, wie viel es geschlagen.
Darauf folgte in neuerer Zeit der Fortschritt, daß täglich ein anderer Herr vom
Rathhause im ersten Wirthshaus des Ortes das amtliche Blatt wortgetreu
vorlas. Seit der Kunde vom 13. März genügte das eine Exemplar nicht mehr,
ja außer der Prager Zeitung studirte man noch andere deutsche und czechische
Blätter. Dadurch erhielt der patriarchalische Sinn der Bevölkerung einen harten
Stoß; wie hätte sonst die Wiener Maibewegnng in der friedlichen k. k. Leib¬
gedingstadt so schrecklichen Widerhall finden können! Die *^er wollten sich selbst
regieren, und der Umstand, daß Bürgermeister und Räthe von Sr. Aller-
gnädigsten Majestät ernannte Juristen sind, flößte ihnen durchaus keinen Respect
ein. Sie wählten einen Wohlfahrtsausschuß, an dessen Spitze ein czechischer
Bierbrauer trat; er nannte sich selbst, seinem Prager Vorbild zu Ehren, Waclaw
Peter Faster II., war Jedoch weiser als Faster 1. und kümmerte sich uicht um
höhere Politik. Sein erster Negieruugsact war die Absetzung und Vertreibung
des Bürgermeisters wegen Erpressung und Bestechlichkeit. Eine Nathhans-
verschwöruug leistete .der Revolution geheimen Vorschub. Die Herren Räthe
nämlich hatten sich ebenfalls bestechen lassen, aber mit Vernunft und Billigkeit;
sie haßten ihren Obern als einen Geschäftverderber, und erklärten sich beim
Beginn des Sturmes für neutral. Eine idyllische Katzenmusik bildete das
Vorspiel. Der Tyrann öffnete das Fenster und hielt eine Rede; er habe die
Wünsche der Gemeinde bisher nicht gekannt, sei jedoch bereit, sich mit Vertrauens¬
männern zu umgeben, um die Gerechtigkeit der Volksbeschwerdeu prüfen und
sein Amt den Forderungen der neuen Zeit gemäß verwalten zu können. — Zur
Antwort erscholl ein Hohngelächter über das andere und Steine begannen durch
die Lust zu fliegen. — „Keine Gewaltthat!" rief Faster II., mit Würde vor¬
tretend; „auf gesetzlichem Wege wollen wir nus Recht verschaffen!" Und somit
sprach er im Namen der Stadt und des durch freie Wahl ernannten Ausschusses
die Absetzung und Verbannung des Bürgermeisters aus, vergönnte ihm jedoch
vierundzwanzig Stunden Frist zur Ordnung seiner Angelegenheiten. Faster II.
wurde im Triumph nach Hanse getragen, das Hans des Tyrannen aber mit
Wachen umstellt, damit er keinen Boten um Militär äusserte. Am folgenden
Morgen half man ihm seine Angelegenheiten ordnen. Sämmtliche Einwohner
standen in dichten Gruppen auf dem weiten Marktplatz und begrüßten mit unbän¬
digem Jauchzen jeden Augenblick einen andern Mitbürger, der, ein Paar silberne
Löffel oder Leuchter, eine goldene Uhrkette oder ein Ohrgehäng schwingend/ aus
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[0105] feierlichen Gelegenheiten, wenn ein Kaiser starb, ein Prinz auf die Welt kam, eine Prinzessin sich vermählte, eine Steuer erhöht ward oder eine den Ort betreffende Annonce in der Hrager Zeitung stand, trat ein Mitglied des Magistrats auf deu Balcon des Rathhauses und rief vor der zusammengetrom¬ melten Gemeinde, als historischer Nachtwächter aus, wie viel es geschlagen. Darauf folgte in neuerer Zeit der Fortschritt, daß täglich ein anderer Herr vom Rathhause im ersten Wirthshaus des Ortes das amtliche Blatt wortgetreu vorlas. Seit der Kunde vom 13. März genügte das eine Exemplar nicht mehr, ja außer der Prager Zeitung studirte man noch andere deutsche und czechische Blätter. Dadurch erhielt der patriarchalische Sinn der Bevölkerung einen harten Stoß; wie hätte sonst die Wiener Maibewegnng in der friedlichen k. k. Leib¬ gedingstadt so schrecklichen Widerhall finden können! Die *^er wollten sich selbst regieren, und der Umstand, daß Bürgermeister und Räthe von Sr. Aller- gnädigsten Majestät ernannte Juristen sind, flößte ihnen durchaus keinen Respect ein. Sie wählten einen Wohlfahrtsausschuß, an dessen Spitze ein czechischer Bierbrauer trat; er nannte sich selbst, seinem Prager Vorbild zu Ehren, Waclaw Peter Faster II., war Jedoch weiser als Faster 1. und kümmerte sich uicht um höhere Politik. Sein erster Negieruugsact war die Absetzung und Vertreibung des Bürgermeisters wegen Erpressung und Bestechlichkeit. Eine Nathhans- verschwöruug leistete .der Revolution geheimen Vorschub. Die Herren Räthe nämlich hatten sich ebenfalls bestechen lassen, aber mit Vernunft und Billigkeit; sie haßten ihren Obern als einen Geschäftverderber, und erklärten sich beim Beginn des Sturmes für neutral. Eine idyllische Katzenmusik bildete das Vorspiel. Der Tyrann öffnete das Fenster und hielt eine Rede; er habe die Wünsche der Gemeinde bisher nicht gekannt, sei jedoch bereit, sich mit Vertrauens¬ männern zu umgeben, um die Gerechtigkeit der Volksbeschwerdeu prüfen und sein Amt den Forderungen der neuen Zeit gemäß verwalten zu können. — Zur Antwort erscholl ein Hohngelächter über das andere und Steine begannen durch die Lust zu fliegen. — „Keine Gewaltthat!" rief Faster II., mit Würde vor¬ tretend; „auf gesetzlichem Wege wollen wir nus Recht verschaffen!" Und somit sprach er im Namen der Stadt und des durch freie Wahl ernannten Ausschusses die Absetzung und Verbannung des Bürgermeisters aus, vergönnte ihm jedoch vierundzwanzig Stunden Frist zur Ordnung seiner Angelegenheiten. Faster II. wurde im Triumph nach Hanse getragen, das Hans des Tyrannen aber mit Wachen umstellt, damit er keinen Boten um Militär äusserte. Am folgenden Morgen half man ihm seine Angelegenheiten ordnen. Sämmtliche Einwohner standen in dichten Gruppen auf dem weiten Marktplatz und begrüßten mit unbän¬ digem Jauchzen jeden Augenblick einen andern Mitbürger, der, ein Paar silberne Löffel oder Leuchter, eine goldene Uhrkette oder ein Ohrgehäng schwingend/ aus der Thüre der bürgermeisterlichen Wohnung trat; die Opfer seiner Habsucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/105>, abgerufen am 15.06.2024.