Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

benutzten seine hilflose Lage, an ihr Eigenthum zurückzufordern; und die Weiber
zeigten sich bei dieser Execution schonungsloser gegen die Frau Bürgermeisterin,
als die Männer gegen ihren Gatten. Seitdem verflossen viele Monate und
noch lange herrschte Faster II. als Dictator des Städtchens. Er hielt Ruhe
und Ordnung in der wünschenswerthesten Weise aufrecht, doch erlaubte er sich
daun und wann, nach der Art aufgeklärter Tyrannen, schreiende Rechtsver¬
letzungen; nicht in seinem eigenen, aber im Interesse des Gemeindesäckels. Alle
vormärzlichen Contracte der Stadt mit Privatpächtern erklärte er, wenn sie den
letztern allzu günstig schienen, sür null und nichtig, und zerriß sie vor den Augen
der Besitzer. Die Revolution, behauptete er, hat alle Verträge aufgehoben. Die
Bürgerschaft stand, wie sich denken läßt, in solchen Fällen einstimmig auf seiner
Seite und machte den bescheidensten Widerspruch gefährlich. -- Der gestürzte
Bürgermeister aber blieb verschollen.

Wir lachten, er aber fuhr fort: Ich erzähle diese kleine Geschichte nur des¬
halb, weil sie Ihnen zeigt, welches Material die gegenwärtige Negierung hatte,
als sie es unternahm, Oestreich auf eigene Füße zu stellen. Wenn wir die Re¬
formen der Minister Bach und Schmerling, der beideu thätigsten Mitglieder des
Cabinets, von unserm Standpunkt aus angreifen müssen, so wollen wir anch nicht
vergessen, daß es der größten Kraft und dem redlichsten Willen nicht möglich ist,
dnrch Gesetze und Aufsicht zugleich das Material zu verbessern, welches sie zur
Regierung doch nicht entbehren können, die Beamten. Es ist wahr, wir haben
eine Anzahl Männer in Oestreich, welche unter den Entbehrungen und dem Druck
der alten Zeit eine ehrenwerthe Gesinnung nicht verloren haben und sich nicht
zu hündischen Schmeichlern und gewissenlosen Manlrednern verderben ließen;
über ihre Anzahl ist lange nicht ausreichend, um den Bedarf der jetzigen Ne¬
gierung an thätigen und intelligenten Menschen zu decken, und zahlreich sind die
untauglichsten Subjecte uoch in den wichtigsten Stellen. Am meisten gilt dies
von Ungarn, und das Ministerium kämpft einen fortdauernden kleinen Krieg mit
der Unbrauchbarkeit seiner Werkzeuge. Es sieht sich gerade da, wo die Stabilität
der Personen am nothwendigsten wäre, genöthigt, fortwährend zu entsetzen und zu
wechseln; und wenn wir deshalb in mancher Stunde an der Möglichkeit verzweifeln,
auf dem eingeschlagenen Wege den Staat umzugestalten, und wenn wir die Ma߬
regeln des Minsteriums verurtheilen, so wollen wir auch offen bekennen, daß ein
großer Theil unserer Gefahr darin liegt, daß das Ministerium von seinen eigenen
Untergebenen sehr häufig weder verstanden uoch unterstützt wird, und ans diesem
Grunde zumeist halten wir viele Reformen für übereilt, weil wir sehen, daß auch
die gute Meinung der Regierung bei der Ausführung so sehr verdunkelt wird,
daß sie nicht mehr erkennbar ist.




benutzten seine hilflose Lage, an ihr Eigenthum zurückzufordern; und die Weiber
zeigten sich bei dieser Execution schonungsloser gegen die Frau Bürgermeisterin,
als die Männer gegen ihren Gatten. Seitdem verflossen viele Monate und
noch lange herrschte Faster II. als Dictator des Städtchens. Er hielt Ruhe
und Ordnung in der wünschenswerthesten Weise aufrecht, doch erlaubte er sich
daun und wann, nach der Art aufgeklärter Tyrannen, schreiende Rechtsver¬
letzungen; nicht in seinem eigenen, aber im Interesse des Gemeindesäckels. Alle
vormärzlichen Contracte der Stadt mit Privatpächtern erklärte er, wenn sie den
letztern allzu günstig schienen, sür null und nichtig, und zerriß sie vor den Augen
der Besitzer. Die Revolution, behauptete er, hat alle Verträge aufgehoben. Die
Bürgerschaft stand, wie sich denken läßt, in solchen Fällen einstimmig auf seiner
Seite und machte den bescheidensten Widerspruch gefährlich. — Der gestürzte
Bürgermeister aber blieb verschollen.

Wir lachten, er aber fuhr fort: Ich erzähle diese kleine Geschichte nur des¬
halb, weil sie Ihnen zeigt, welches Material die gegenwärtige Negierung hatte,
als sie es unternahm, Oestreich auf eigene Füße zu stellen. Wenn wir die Re¬
formen der Minister Bach und Schmerling, der beideu thätigsten Mitglieder des
Cabinets, von unserm Standpunkt aus angreifen müssen, so wollen wir anch nicht
vergessen, daß es der größten Kraft und dem redlichsten Willen nicht möglich ist,
dnrch Gesetze und Aufsicht zugleich das Material zu verbessern, welches sie zur
Regierung doch nicht entbehren können, die Beamten. Es ist wahr, wir haben
eine Anzahl Männer in Oestreich, welche unter den Entbehrungen und dem Druck
der alten Zeit eine ehrenwerthe Gesinnung nicht verloren haben und sich nicht
zu hündischen Schmeichlern und gewissenlosen Manlrednern verderben ließen;
über ihre Anzahl ist lange nicht ausreichend, um den Bedarf der jetzigen Ne¬
gierung an thätigen und intelligenten Menschen zu decken, und zahlreich sind die
untauglichsten Subjecte uoch in den wichtigsten Stellen. Am meisten gilt dies
von Ungarn, und das Ministerium kämpft einen fortdauernden kleinen Krieg mit
der Unbrauchbarkeit seiner Werkzeuge. Es sieht sich gerade da, wo die Stabilität
der Personen am nothwendigsten wäre, genöthigt, fortwährend zu entsetzen und zu
wechseln; und wenn wir deshalb in mancher Stunde an der Möglichkeit verzweifeln,
auf dem eingeschlagenen Wege den Staat umzugestalten, und wenn wir die Ma߬
regeln des Minsteriums verurtheilen, so wollen wir auch offen bekennen, daß ein
großer Theil unserer Gefahr darin liegt, daß das Ministerium von seinen eigenen
Untergebenen sehr häufig weder verstanden uoch unterstützt wird, und ans diesem
Grunde zumeist halten wir viele Reformen für übereilt, weil wir sehen, daß auch
die gute Meinung der Regierung bei der Ausführung so sehr verdunkelt wird,
daß sie nicht mehr erkennbar ist.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91843"/>
          <p xml:id="ID_262" prev="#ID_261"> benutzten seine hilflose Lage, an ihr Eigenthum zurückzufordern; und die Weiber<lb/>
zeigten sich bei dieser Execution schonungsloser gegen die Frau Bürgermeisterin,<lb/>
als die Männer gegen ihren Gatten. Seitdem verflossen viele Monate und<lb/>
noch lange herrschte Faster II. als Dictator des Städtchens. Er hielt Ruhe<lb/>
und Ordnung in der wünschenswerthesten Weise aufrecht, doch erlaubte er sich<lb/>
daun und wann, nach der Art aufgeklärter Tyrannen, schreiende Rechtsver¬<lb/>
letzungen; nicht in seinem eigenen, aber im Interesse des Gemeindesäckels. Alle<lb/>
vormärzlichen Contracte der Stadt mit Privatpächtern erklärte er, wenn sie den<lb/>
letztern allzu günstig schienen, sür null und nichtig, und zerriß sie vor den Augen<lb/>
der Besitzer. Die Revolution, behauptete er, hat alle Verträge aufgehoben. Die<lb/>
Bürgerschaft stand, wie sich denken läßt, in solchen Fällen einstimmig auf seiner<lb/>
Seite und machte den bescheidensten Widerspruch gefährlich. &#x2014; Der gestürzte<lb/>
Bürgermeister aber blieb verschollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_263"> Wir lachten, er aber fuhr fort: Ich erzähle diese kleine Geschichte nur des¬<lb/>
halb, weil sie Ihnen zeigt, welches Material die gegenwärtige Negierung hatte,<lb/>
als sie es unternahm, Oestreich auf eigene Füße zu stellen. Wenn wir die Re¬<lb/>
formen der Minister Bach und Schmerling, der beideu thätigsten Mitglieder des<lb/>
Cabinets, von unserm Standpunkt aus angreifen müssen, so wollen wir anch nicht<lb/>
vergessen, daß es der größten Kraft und dem redlichsten Willen nicht möglich ist,<lb/>
dnrch Gesetze und Aufsicht zugleich das Material zu verbessern, welches sie zur<lb/>
Regierung doch nicht entbehren können, die Beamten. Es ist wahr, wir haben<lb/>
eine Anzahl Männer in Oestreich, welche unter den Entbehrungen und dem Druck<lb/>
der alten Zeit eine ehrenwerthe Gesinnung nicht verloren haben und sich nicht<lb/>
zu hündischen Schmeichlern und gewissenlosen Manlrednern verderben ließen;<lb/>
über ihre Anzahl ist lange nicht ausreichend, um den Bedarf der jetzigen Ne¬<lb/>
gierung an thätigen und intelligenten Menschen zu decken, und zahlreich sind die<lb/>
untauglichsten Subjecte uoch in den wichtigsten Stellen. Am meisten gilt dies<lb/>
von Ungarn, und das Ministerium kämpft einen fortdauernden kleinen Krieg mit<lb/>
der Unbrauchbarkeit seiner Werkzeuge. Es sieht sich gerade da, wo die Stabilität<lb/>
der Personen am nothwendigsten wäre, genöthigt, fortwährend zu entsetzen und zu<lb/>
wechseln; und wenn wir deshalb in mancher Stunde an der Möglichkeit verzweifeln,<lb/>
auf dem eingeschlagenen Wege den Staat umzugestalten, und wenn wir die Ma߬<lb/>
regeln des Minsteriums verurtheilen, so wollen wir auch offen bekennen, daß ein<lb/>
großer Theil unserer Gefahr darin liegt, daß das Ministerium von seinen eigenen<lb/>
Untergebenen sehr häufig weder verstanden uoch unterstützt wird, und ans diesem<lb/>
Grunde zumeist halten wir viele Reformen für übereilt, weil wir sehen, daß auch<lb/>
die gute Meinung der Regierung bei der Ausführung so sehr verdunkelt wird,<lb/>
daß sie nicht mehr erkennbar ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0106] benutzten seine hilflose Lage, an ihr Eigenthum zurückzufordern; und die Weiber zeigten sich bei dieser Execution schonungsloser gegen die Frau Bürgermeisterin, als die Männer gegen ihren Gatten. Seitdem verflossen viele Monate und noch lange herrschte Faster II. als Dictator des Städtchens. Er hielt Ruhe und Ordnung in der wünschenswerthesten Weise aufrecht, doch erlaubte er sich daun und wann, nach der Art aufgeklärter Tyrannen, schreiende Rechtsver¬ letzungen; nicht in seinem eigenen, aber im Interesse des Gemeindesäckels. Alle vormärzlichen Contracte der Stadt mit Privatpächtern erklärte er, wenn sie den letztern allzu günstig schienen, sür null und nichtig, und zerriß sie vor den Augen der Besitzer. Die Revolution, behauptete er, hat alle Verträge aufgehoben. Die Bürgerschaft stand, wie sich denken läßt, in solchen Fällen einstimmig auf seiner Seite und machte den bescheidensten Widerspruch gefährlich. — Der gestürzte Bürgermeister aber blieb verschollen. Wir lachten, er aber fuhr fort: Ich erzähle diese kleine Geschichte nur des¬ halb, weil sie Ihnen zeigt, welches Material die gegenwärtige Negierung hatte, als sie es unternahm, Oestreich auf eigene Füße zu stellen. Wenn wir die Re¬ formen der Minister Bach und Schmerling, der beideu thätigsten Mitglieder des Cabinets, von unserm Standpunkt aus angreifen müssen, so wollen wir anch nicht vergessen, daß es der größten Kraft und dem redlichsten Willen nicht möglich ist, dnrch Gesetze und Aufsicht zugleich das Material zu verbessern, welches sie zur Regierung doch nicht entbehren können, die Beamten. Es ist wahr, wir haben eine Anzahl Männer in Oestreich, welche unter den Entbehrungen und dem Druck der alten Zeit eine ehrenwerthe Gesinnung nicht verloren haben und sich nicht zu hündischen Schmeichlern und gewissenlosen Manlrednern verderben ließen; über ihre Anzahl ist lange nicht ausreichend, um den Bedarf der jetzigen Ne¬ gierung an thätigen und intelligenten Menschen zu decken, und zahlreich sind die untauglichsten Subjecte uoch in den wichtigsten Stellen. Am meisten gilt dies von Ungarn, und das Ministerium kämpft einen fortdauernden kleinen Krieg mit der Unbrauchbarkeit seiner Werkzeuge. Es sieht sich gerade da, wo die Stabilität der Personen am nothwendigsten wäre, genöthigt, fortwährend zu entsetzen und zu wechseln; und wenn wir deshalb in mancher Stunde an der Möglichkeit verzweifeln, auf dem eingeschlagenen Wege den Staat umzugestalten, und wenn wir die Ma߬ regeln des Minsteriums verurtheilen, so wollen wir auch offen bekennen, daß ein großer Theil unserer Gefahr darin liegt, daß das Ministerium von seinen eigenen Untergebenen sehr häufig weder verstanden uoch unterstützt wird, und ans diesem Grunde zumeist halten wir viele Reformen für übereilt, weil wir sehen, daß auch die gute Meinung der Regierung bei der Ausführung so sehr verdunkelt wird, daß sie nicht mehr erkennbar ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/106
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/106>, abgerufen am 15.06.2024.