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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Das Bürgerthum und die Cäsaren.

Es sind zunächst die letzten Ereignisse in Frankreich, welche unsere Aufmerk¬
samkeit ans das Verhältniß dieser beideu Factoren des Staatsleben lenken. Wir
haben bereits zu wiederholten Malen versucht, die wunderlichen Vorurtheile,
welche von Seiten der äußersten Rechten und der äußersten Linken geflissentlich
mit dem Namen Bourgeoisie in Verbindung gebracht werden, zu widerlegen; wir
müssen aber immer wieder vou Neuem darauf zurückkommen, da wir den alten
Satz von sispes, daß der Bürgerstand im Staat Alles werden soll, für das
eigentliche Evangelium der neuen Zeit halten, während für den Augenblick gerade
das Gegentheil eingetreten zu sein scheint. Denn niemals ist sich das Militär
selber so wichtig vorgekommen, als in unseru Tagen; in Deutschland legen selbst
diejenigen Fürsten, welche vor dem März die Bürgerlichkeit als ihr schönstes
Attribut ansahen, auf ihre Eigenschaft als "Kriegsherren" das größte Gewicht,
und in Frankreich scheinen sich die Dinge dahin zu wenden, daß die politischen
Parteien zu Spielbällen der einzelnen Heerführer herabsinken. Grund genug,
daß Paradoxenjäger, wie Herr v. Nomieu, in uuserer Zeit eine "Aera der Cä-
saren" finden; ein allerdings sehr voreiliger Schluß, wie eine unbefangene Be¬
trachtung der französischen Verhältnisse selbst ergeben dürfte.

Wenn wir den gegenwärtigen Conflict in Frankreich als bloße Formalisten betrach¬
ten wollten, so würden wir dem Parlament unbedingt Unrecht geben müssen. Die
Absetzung eiues Generals liegt unbestreitbar in den Befugnissen der execntiven
Gewalt, und die systematische Verachtung, welche die Majorität der Nationalver¬
sammlung so wie der vou ihr beschützte Oberfeldherr gegen die Regierung offen¬
kundig an den Tag gelegt haben, würde ein hinreichender Grund zu dieser Ab¬
setzung sein. Aber so einfach sind die Verhältnisse nicht.

Es lag im December 1848 im Interesse der conservatwen Partei, an die
Spitze der Regierung einen Mann zu bringen, der dnrch seinen Stand ein Protest
gegen die Demokratie war, und der keiner von den dynastischen Fractionen
ein Präjudiz stellte. Dieselbe Partei hat im folgenden Jahr die realistische
Majorität in die Kammer geschickt. Da sie es nicht verhindern konnte, daß der
Gewählte des 10. December neben der Aufgabe, die ihm seine Wähler stellten
-- Unterdrückung des Socialismus -- auch noch persönliche Interessen verfolgte,
so konnte mit der Zeit ein Conflict der beiden, ans einer Quelle hergeleiteten
Gewalten nicht ausbleiben. Napoleon sollte nur ein Symbol sein, und es fand
sich, daß er auch eine Wirklichkeit war.

Der Conflict nahm in dem letzten Vierteljahr eine ernsthaftere Wendung.
Der Präsident der Republik fing an, deu Demonstrationen von Wiesbaden und


Das Bürgerthum und die Cäsaren.

Es sind zunächst die letzten Ereignisse in Frankreich, welche unsere Aufmerk¬
samkeit ans das Verhältniß dieser beideu Factoren des Staatsleben lenken. Wir
haben bereits zu wiederholten Malen versucht, die wunderlichen Vorurtheile,
welche von Seiten der äußersten Rechten und der äußersten Linken geflissentlich
mit dem Namen Bourgeoisie in Verbindung gebracht werden, zu widerlegen; wir
müssen aber immer wieder vou Neuem darauf zurückkommen, da wir den alten
Satz von sispes, daß der Bürgerstand im Staat Alles werden soll, für das
eigentliche Evangelium der neuen Zeit halten, während für den Augenblick gerade
das Gegentheil eingetreten zu sein scheint. Denn niemals ist sich das Militär
selber so wichtig vorgekommen, als in unseru Tagen; in Deutschland legen selbst
diejenigen Fürsten, welche vor dem März die Bürgerlichkeit als ihr schönstes
Attribut ansahen, auf ihre Eigenschaft als „Kriegsherren" das größte Gewicht,
und in Frankreich scheinen sich die Dinge dahin zu wenden, daß die politischen
Parteien zu Spielbällen der einzelnen Heerführer herabsinken. Grund genug,
daß Paradoxenjäger, wie Herr v. Nomieu, in uuserer Zeit eine „Aera der Cä-
saren" finden; ein allerdings sehr voreiliger Schluß, wie eine unbefangene Be¬
trachtung der französischen Verhältnisse selbst ergeben dürfte.

Wenn wir den gegenwärtigen Conflict in Frankreich als bloße Formalisten betrach¬
ten wollten, so würden wir dem Parlament unbedingt Unrecht geben müssen. Die
Absetzung eiues Generals liegt unbestreitbar in den Befugnissen der execntiven
Gewalt, und die systematische Verachtung, welche die Majorität der Nationalver¬
sammlung so wie der vou ihr beschützte Oberfeldherr gegen die Regierung offen¬
kundig an den Tag gelegt haben, würde ein hinreichender Grund zu dieser Ab¬
setzung sein. Aber so einfach sind die Verhältnisse nicht.

Es lag im December 1848 im Interesse der conservatwen Partei, an die
Spitze der Regierung einen Mann zu bringen, der dnrch seinen Stand ein Protest
gegen die Demokratie war, und der keiner von den dynastischen Fractionen
ein Präjudiz stellte. Dieselbe Partei hat im folgenden Jahr die realistische
Majorität in die Kammer geschickt. Da sie es nicht verhindern konnte, daß der
Gewählte des 10. December neben der Aufgabe, die ihm seine Wähler stellten
— Unterdrückung des Socialismus — auch noch persönliche Interessen verfolgte,
so konnte mit der Zeit ein Conflict der beiden, ans einer Quelle hergeleiteten
Gewalten nicht ausbleiben. Napoleon sollte nur ein Symbol sein, und es fand
sich, daß er auch eine Wirklichkeit war.

Der Conflict nahm in dem letzten Vierteljahr eine ernsthaftere Wendung.
Der Präsident der Republik fing an, deu Demonstrationen von Wiesbaden und


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[0107] Das Bürgerthum und die Cäsaren. Es sind zunächst die letzten Ereignisse in Frankreich, welche unsere Aufmerk¬ samkeit ans das Verhältniß dieser beideu Factoren des Staatsleben lenken. Wir haben bereits zu wiederholten Malen versucht, die wunderlichen Vorurtheile, welche von Seiten der äußersten Rechten und der äußersten Linken geflissentlich mit dem Namen Bourgeoisie in Verbindung gebracht werden, zu widerlegen; wir müssen aber immer wieder vou Neuem darauf zurückkommen, da wir den alten Satz von sispes, daß der Bürgerstand im Staat Alles werden soll, für das eigentliche Evangelium der neuen Zeit halten, während für den Augenblick gerade das Gegentheil eingetreten zu sein scheint. Denn niemals ist sich das Militär selber so wichtig vorgekommen, als in unseru Tagen; in Deutschland legen selbst diejenigen Fürsten, welche vor dem März die Bürgerlichkeit als ihr schönstes Attribut ansahen, auf ihre Eigenschaft als „Kriegsherren" das größte Gewicht, und in Frankreich scheinen sich die Dinge dahin zu wenden, daß die politischen Parteien zu Spielbällen der einzelnen Heerführer herabsinken. Grund genug, daß Paradoxenjäger, wie Herr v. Nomieu, in uuserer Zeit eine „Aera der Cä- saren" finden; ein allerdings sehr voreiliger Schluß, wie eine unbefangene Be¬ trachtung der französischen Verhältnisse selbst ergeben dürfte. Wenn wir den gegenwärtigen Conflict in Frankreich als bloße Formalisten betrach¬ ten wollten, so würden wir dem Parlament unbedingt Unrecht geben müssen. Die Absetzung eiues Generals liegt unbestreitbar in den Befugnissen der execntiven Gewalt, und die systematische Verachtung, welche die Majorität der Nationalver¬ sammlung so wie der vou ihr beschützte Oberfeldherr gegen die Regierung offen¬ kundig an den Tag gelegt haben, würde ein hinreichender Grund zu dieser Ab¬ setzung sein. Aber so einfach sind die Verhältnisse nicht. Es lag im December 1848 im Interesse der conservatwen Partei, an die Spitze der Regierung einen Mann zu bringen, der dnrch seinen Stand ein Protest gegen die Demokratie war, und der keiner von den dynastischen Fractionen ein Präjudiz stellte. Dieselbe Partei hat im folgenden Jahr die realistische Majorität in die Kammer geschickt. Da sie es nicht verhindern konnte, daß der Gewählte des 10. December neben der Aufgabe, die ihm seine Wähler stellten — Unterdrückung des Socialismus — auch noch persönliche Interessen verfolgte, so konnte mit der Zeit ein Conflict der beiden, ans einer Quelle hergeleiteten Gewalten nicht ausbleiben. Napoleon sollte nur ein Symbol sein, und es fand sich, daß er auch eine Wirklichkeit war. Der Conflict nahm in dem letzten Vierteljahr eine ernsthaftere Wendung. Der Präsident der Republik fing an, deu Demonstrationen von Wiesbaden und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/107>, abgerufen am 15.06.2024.