Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die kühnen Männer, welche das Wagstück versucht haben, fanden lediglich Abgründe
und hohe Berge, Schnee, Eis und Felsen, also eine noch trostlosere Oede, als die
mit Klippen und Inseln besäeten Küstenstrecke.n. Die Gletschermassen des innern
Landes schieben sich bis tief in die Föhrden und Buchten ein und haben mauche
derselben gänzlich ausgefüllt. An anderen Stellen bildet das Eis weit in die See
Hinansreichende Vorgebirge. Wo das Gletschereis mit dem Salzwasser in Be¬
rührung kommt, bildet es eigenthümlich gestaltete Massen. Wenn es die steilen
Abfälle und Abhänge allmälig hiuuutergleitet, wird es von deu Wellen angenagt,
aber an Umfang nicht vermindert, da immer neues Eis nachdrängt und durch
Niederschlag von oben hinzuwächst. Kann die vorspringende Masse nicht länger
ihr eignes Gewicht tragen, dann trennt sie sich voll jener an der Küste haftenden
ab und stürzt in ungeheuren Bruchstücken in die Tiefe, bildet somit jene Eisberge,
welche in den nördlichen Meeren so häufig sind. An einzelnen Stellen bilden
sie festliegende Massen, die auch im Sommer nicht weichen; manchmal überwölben
sie, gleich Domen, ganze Meeresarme, wie das große Eisblink zwischen 61 und 62",
das weithin einem Nordlichte vergleichbar glänzt. Unter meilenlangen Eisbrücken
dringen mit einem furchtbaren Getöse ungeheure Blöcke hervor. Die Höhe der
Eisberge beträgt oft 1600 Fuß; viele derselben bilden sich in sehr hohen Breiten,
schwimmen nach Süden herab, und werdeu vermittelst der großen südwestlichen
Strömung in solcher Menge an die Ostküste getrieben, daß sie nicht selten das
Meer zwischen ihr und Island völlig verstopfen. Den ganzen Sommer hindurch
liegen sie an der Südküste um Kap Farewell, an der Westseite bis zu 62 und
in manchen Jahren bis zu 66 und 67"; im September und October verschwinden
sie, und erscheinen wieder im Januar. In der Disko-Bay hat man Eisberge
gemessen, die dreihundert Faden tief im Wasser lagen, und deren Höhe also zwei¬
tausend Fuß überstieg. An der Ostküste reichen manche zwischen einhundert
zwanzig und einhundert fünfzig Fuß über den Wasserspiegel empor; und da nnr
der siebente oder achte Theil sichtbar ist, so kann ihre Höhe nicht unter neun¬
hundert bis tausend Fuß betragen. Dabei haben sie manchmal eine halbe Stunde
im Umfange, und enthalten eine Masse von tausend bis fünfzehn Millionen
Kubikfuß und ein Gewicht von vierzig bis fünfzig Millionen Tonnen. Während
sie sich im Meere allmälig zersetzen, nehmen sie oft die wunderbarsten Gestalten
an; sie gleichen Paläste", Kirchen, alten Burgen mit Thorwegen, Fenstern und
Thürmen; Alles erscheint wie aus weißem Marmor gearbeitet und erglänzt im
Sonnenschein wie vom reinsten Silber. Auch ähneln sie Schiffen oder Bäumen
und Thieren, strahlen auch wohl in Hellem Negenbogenglanze. Aber wer ihnen
nahet, wird von gewaltigem Schauer durchbebt; denn oft stürzt die Eismasse in
einander zusammen, und wie in den Alpen manchmal dem Sanmrosse die Schelle
abgenommen wird, damit des Glöckleins Klang nicht die Schneelawine erwecke,


die kühnen Männer, welche das Wagstück versucht haben, fanden lediglich Abgründe
und hohe Berge, Schnee, Eis und Felsen, also eine noch trostlosere Oede, als die
mit Klippen und Inseln besäeten Küstenstrecke.n. Die Gletschermassen des innern
Landes schieben sich bis tief in die Föhrden und Buchten ein und haben mauche
derselben gänzlich ausgefüllt. An anderen Stellen bildet das Eis weit in die See
Hinansreichende Vorgebirge. Wo das Gletschereis mit dem Salzwasser in Be¬
rührung kommt, bildet es eigenthümlich gestaltete Massen. Wenn es die steilen
Abfälle und Abhänge allmälig hiuuutergleitet, wird es von deu Wellen angenagt,
aber an Umfang nicht vermindert, da immer neues Eis nachdrängt und durch
Niederschlag von oben hinzuwächst. Kann die vorspringende Masse nicht länger
ihr eignes Gewicht tragen, dann trennt sie sich voll jener an der Küste haftenden
ab und stürzt in ungeheuren Bruchstücken in die Tiefe, bildet somit jene Eisberge,
welche in den nördlichen Meeren so häufig sind. An einzelnen Stellen bilden
sie festliegende Massen, die auch im Sommer nicht weichen; manchmal überwölben
sie, gleich Domen, ganze Meeresarme, wie das große Eisblink zwischen 61 und 62",
das weithin einem Nordlichte vergleichbar glänzt. Unter meilenlangen Eisbrücken
dringen mit einem furchtbaren Getöse ungeheure Blöcke hervor. Die Höhe der
Eisberge beträgt oft 1600 Fuß; viele derselben bilden sich in sehr hohen Breiten,
schwimmen nach Süden herab, und werdeu vermittelst der großen südwestlichen
Strömung in solcher Menge an die Ostküste getrieben, daß sie nicht selten das
Meer zwischen ihr und Island völlig verstopfen. Den ganzen Sommer hindurch
liegen sie an der Südküste um Kap Farewell, an der Westseite bis zu 62 und
in manchen Jahren bis zu 66 und 67"; im September und October verschwinden
sie, und erscheinen wieder im Januar. In der Disko-Bay hat man Eisberge
gemessen, die dreihundert Faden tief im Wasser lagen, und deren Höhe also zwei¬
tausend Fuß überstieg. An der Ostküste reichen manche zwischen einhundert
zwanzig und einhundert fünfzig Fuß über den Wasserspiegel empor; und da nnr
der siebente oder achte Theil sichtbar ist, so kann ihre Höhe nicht unter neun¬
hundert bis tausend Fuß betragen. Dabei haben sie manchmal eine halbe Stunde
im Umfange, und enthalten eine Masse von tausend bis fünfzehn Millionen
Kubikfuß und ein Gewicht von vierzig bis fünfzig Millionen Tonnen. Während
sie sich im Meere allmälig zersetzen, nehmen sie oft die wunderbarsten Gestalten
an; sie gleichen Paläste», Kirchen, alten Burgen mit Thorwegen, Fenstern und
Thürmen; Alles erscheint wie aus weißem Marmor gearbeitet und erglänzt im
Sonnenschein wie vom reinsten Silber. Auch ähneln sie Schiffen oder Bäumen
und Thieren, strahlen auch wohl in Hellem Negenbogenglanze. Aber wer ihnen
nahet, wird von gewaltigem Schauer durchbebt; denn oft stürzt die Eismasse in
einander zusammen, und wie in den Alpen manchmal dem Sanmrosse die Schelle
abgenommen wird, damit des Glöckleins Klang nicht die Schneelawine erwecke,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91850"/>
          <p xml:id="ID_289" prev="#ID_288" next="#ID_290"> die kühnen Männer, welche das Wagstück versucht haben, fanden lediglich Abgründe<lb/>
und hohe Berge, Schnee, Eis und Felsen, also eine noch trostlosere Oede, als die<lb/>
mit Klippen und Inseln besäeten Küstenstrecke.n. Die Gletschermassen des innern<lb/>
Landes schieben sich bis tief in die Föhrden und Buchten ein und haben mauche<lb/>
derselben gänzlich ausgefüllt. An anderen Stellen bildet das Eis weit in die See<lb/>
Hinansreichende Vorgebirge. Wo das Gletschereis mit dem Salzwasser in Be¬<lb/>
rührung kommt, bildet es eigenthümlich gestaltete Massen. Wenn es die steilen<lb/>
Abfälle und Abhänge allmälig hiuuutergleitet, wird es von deu Wellen angenagt,<lb/>
aber an Umfang nicht vermindert, da immer neues Eis nachdrängt und durch<lb/>
Niederschlag von oben hinzuwächst. Kann die vorspringende Masse nicht länger<lb/>
ihr eignes Gewicht tragen, dann trennt sie sich voll jener an der Küste haftenden<lb/>
ab und stürzt in ungeheuren Bruchstücken in die Tiefe, bildet somit jene Eisberge,<lb/>
welche in den nördlichen Meeren so häufig sind. An einzelnen Stellen bilden<lb/>
sie festliegende Massen, die auch im Sommer nicht weichen; manchmal überwölben<lb/>
sie, gleich Domen, ganze Meeresarme, wie das große Eisblink zwischen 61 und 62",<lb/>
das weithin einem Nordlichte vergleichbar glänzt. Unter meilenlangen Eisbrücken<lb/>
dringen mit einem furchtbaren Getöse ungeheure Blöcke hervor. Die Höhe der<lb/>
Eisberge beträgt oft 1600 Fuß; viele derselben bilden sich in sehr hohen Breiten,<lb/>
schwimmen nach Süden herab, und werdeu vermittelst der großen südwestlichen<lb/>
Strömung in solcher Menge an die Ostküste getrieben, daß sie nicht selten das<lb/>
Meer zwischen ihr und Island völlig verstopfen. Den ganzen Sommer hindurch<lb/>
liegen sie an der Südküste um Kap Farewell, an der Westseite bis zu 62 und<lb/>
in manchen Jahren bis zu 66 und 67"; im September und October verschwinden<lb/>
sie, und erscheinen wieder im Januar. In der Disko-Bay hat man Eisberge<lb/>
gemessen, die dreihundert Faden tief im Wasser lagen, und deren Höhe also zwei¬<lb/>
tausend Fuß überstieg. An der Ostküste reichen manche zwischen einhundert<lb/>
zwanzig und einhundert fünfzig Fuß über den Wasserspiegel empor; und da nnr<lb/>
der siebente oder achte Theil sichtbar ist, so kann ihre Höhe nicht unter neun¬<lb/>
hundert bis tausend Fuß betragen. Dabei haben sie manchmal eine halbe Stunde<lb/>
im Umfange, und enthalten eine Masse von tausend bis fünfzehn Millionen<lb/>
Kubikfuß und ein Gewicht von vierzig bis fünfzig Millionen Tonnen. Während<lb/>
sie sich im Meere allmälig zersetzen, nehmen sie oft die wunderbarsten Gestalten<lb/>
an; sie gleichen Paläste», Kirchen, alten Burgen mit Thorwegen, Fenstern und<lb/>
Thürmen; Alles erscheint wie aus weißem Marmor gearbeitet und erglänzt im<lb/>
Sonnenschein wie vom reinsten Silber. Auch ähneln sie Schiffen oder Bäumen<lb/>
und Thieren, strahlen auch wohl in Hellem Negenbogenglanze. Aber wer ihnen<lb/>
nahet, wird von gewaltigem Schauer durchbebt; denn oft stürzt die Eismasse in<lb/>
einander zusammen, und wie in den Alpen manchmal dem Sanmrosse die Schelle<lb/>
abgenommen wird, damit des Glöckleins Klang nicht die Schneelawine erwecke,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] die kühnen Männer, welche das Wagstück versucht haben, fanden lediglich Abgründe und hohe Berge, Schnee, Eis und Felsen, also eine noch trostlosere Oede, als die mit Klippen und Inseln besäeten Küstenstrecke.n. Die Gletschermassen des innern Landes schieben sich bis tief in die Föhrden und Buchten ein und haben mauche derselben gänzlich ausgefüllt. An anderen Stellen bildet das Eis weit in die See Hinansreichende Vorgebirge. Wo das Gletschereis mit dem Salzwasser in Be¬ rührung kommt, bildet es eigenthümlich gestaltete Massen. Wenn es die steilen Abfälle und Abhänge allmälig hiuuutergleitet, wird es von deu Wellen angenagt, aber an Umfang nicht vermindert, da immer neues Eis nachdrängt und durch Niederschlag von oben hinzuwächst. Kann die vorspringende Masse nicht länger ihr eignes Gewicht tragen, dann trennt sie sich voll jener an der Küste haftenden ab und stürzt in ungeheuren Bruchstücken in die Tiefe, bildet somit jene Eisberge, welche in den nördlichen Meeren so häufig sind. An einzelnen Stellen bilden sie festliegende Massen, die auch im Sommer nicht weichen; manchmal überwölben sie, gleich Domen, ganze Meeresarme, wie das große Eisblink zwischen 61 und 62", das weithin einem Nordlichte vergleichbar glänzt. Unter meilenlangen Eisbrücken dringen mit einem furchtbaren Getöse ungeheure Blöcke hervor. Die Höhe der Eisberge beträgt oft 1600 Fuß; viele derselben bilden sich in sehr hohen Breiten, schwimmen nach Süden herab, und werdeu vermittelst der großen südwestlichen Strömung in solcher Menge an die Ostküste getrieben, daß sie nicht selten das Meer zwischen ihr und Island völlig verstopfen. Den ganzen Sommer hindurch liegen sie an der Südküste um Kap Farewell, an der Westseite bis zu 62 und in manchen Jahren bis zu 66 und 67"; im September und October verschwinden sie, und erscheinen wieder im Januar. In der Disko-Bay hat man Eisberge gemessen, die dreihundert Faden tief im Wasser lagen, und deren Höhe also zwei¬ tausend Fuß überstieg. An der Ostküste reichen manche zwischen einhundert zwanzig und einhundert fünfzig Fuß über den Wasserspiegel empor; und da nnr der siebente oder achte Theil sichtbar ist, so kann ihre Höhe nicht unter neun¬ hundert bis tausend Fuß betragen. Dabei haben sie manchmal eine halbe Stunde im Umfange, und enthalten eine Masse von tausend bis fünfzehn Millionen Kubikfuß und ein Gewicht von vierzig bis fünfzig Millionen Tonnen. Während sie sich im Meere allmälig zersetzen, nehmen sie oft die wunderbarsten Gestalten an; sie gleichen Paläste», Kirchen, alten Burgen mit Thorwegen, Fenstern und Thürmen; Alles erscheint wie aus weißem Marmor gearbeitet und erglänzt im Sonnenschein wie vom reinsten Silber. Auch ähneln sie Schiffen oder Bäumen und Thieren, strahlen auch wohl in Hellem Negenbogenglanze. Aber wer ihnen nahet, wird von gewaltigem Schauer durchbebt; denn oft stürzt die Eismasse in einander zusammen, und wie in den Alpen manchmal dem Sanmrosse die Schelle abgenommen wird, damit des Glöckleins Klang nicht die Schneelawine erwecke,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/113
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/113>, abgerufen am 15.06.2024.