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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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des Mittelstandes an dem Unglück Schuld gewesen, welches Frankreich betroffen
hat. So kommt der Aristokrat mit seinem Haß gegen die Bourgeoisie dem wil¬
desten Socialisten entgegen.

Das andere Buch ist eine Betrachtung der Revolution vom Standpunkt der
Bergpartei. Links eitel Tugend, Heroismus und Martyrium; rechts die schnö-
deste Selbstsucht. Lafayette ist ein blutdürstiger Mörder, Marat eigentlich ein
Gemäßigter. "Narat avait pour but, en se kiüsant violent et terrible, ä'empöolier <zue
l'ein n'abattat w revolution par l'exaFvration as son prinoipe, et ä'arreter 1'essusivn
an sang <zu' it n'etait pas riKvureusemeiü neoessaire ac verser." -- Wir haben
alle Ursache, jede derartige Annäherung der Absolutisten und der Jakobiner in
den Angriffen gegen die Mittelclasse mit Aufmerksamkeit zu verfolgen.

-- Wir werfen bei dieser Gelegenheit einen Blick auf die frühern Geschicht¬
schreiber der Revolution. --

Unter Napoleon dachte man nicht daran, eine Zeit darzustellen, die nur eben
erst vergangen, und die doch schou durch eine unermeßliche Kluft von der Gegen¬
wart getrennt war. Mit der Restauration beginnen diese Rückblicke.

In dieser Zeit waren Thiers und Mignet die einflußreichsten Geschicht¬
schreiber der Revolution, und ihre Ansichten haben wesentlich auf die Julitage
eingewirkt. -- Es wurde in diesen Schriftstellern, die entschieden der Bourgeoisie
und dem Liberalismus angehören, die Wahrheit nachgewiesen, daß die Revolution,
ihrem eigentlichen 'Inhalt nach, keineswegs eine Unterbrechung der altfranzösischen
Traditionen war, sondern die Erfüllung derselben: denn sie beschloß durch die
Constituante das Werk der politischen Centralisation und der Zerstörung des
Lehnswesens, welches bereits von dem französischen Absolutismus mit so großem
Erfolg in Augriff genommen war; sie verband den alten Geist der Freiheit mit
jener einheitlichen Leitung, die Frankreichs Größe ausgemacht hat. -- Wenn
Thiers mit einem zu großen Wohlgefallen auf den entschlossenen, nicht gerade
übertrieben sittlichen Figuren der Revolution verweilte, so war dieses objective
Interesse, das dem jetzigen Politiker Thiers wohl sehr unheimlich vorkommen
muß, damit zu entschuldigen, daß man in den zwanziger Jahren die Revolution noch
nicht als einen in die Gegenwart hineinragenden Schatten betrachtete. -- In
mehreren Punkten haben Thiers und Mignet dennoch ihre Zeitgenossen in einen
gefährlichen Irrthum verleitet.

Einmal in der zu großen Ausdehnung, welche sie dem Recht der Jnsurrection
gaben. -- Das Recht der Jnsurrection zur Abwehr ungesetzlicher Unterdrückung
haben, einige pietistische Conventttel abgerechnet, alle Zeiten anerkannt; aber um
diese handelt es sich hier nicht, sondern um die Jnsurrection als Initiative
in der Gesetzgebung. Dieser Vorzug, den man dem Jnstinct der Masse,
dem Willen eines Theils des Volkes, über die constituirten Gewalten, welche die
gesellschaftliche Vernunft ausdrücken, zugesteht, ist ein höchst verhängnißvoller Irr-


des Mittelstandes an dem Unglück Schuld gewesen, welches Frankreich betroffen
hat. So kommt der Aristokrat mit seinem Haß gegen die Bourgeoisie dem wil¬
desten Socialisten entgegen.

Das andere Buch ist eine Betrachtung der Revolution vom Standpunkt der
Bergpartei. Links eitel Tugend, Heroismus und Martyrium; rechts die schnö-
deste Selbstsucht. Lafayette ist ein blutdürstiger Mörder, Marat eigentlich ein
Gemäßigter. „Narat avait pour but, en se kiüsant violent et terrible, ä'empöolier <zue
l'ein n'abattat w revolution par l'exaFvration as son prinoipe, et ä'arreter 1'essusivn
an sang <zu' it n'etait pas riKvureusemeiü neoessaire ac verser." — Wir haben
alle Ursache, jede derartige Annäherung der Absolutisten und der Jakobiner in
den Angriffen gegen die Mittelclasse mit Aufmerksamkeit zu verfolgen.

— Wir werfen bei dieser Gelegenheit einen Blick auf die frühern Geschicht¬
schreiber der Revolution. —

Unter Napoleon dachte man nicht daran, eine Zeit darzustellen, die nur eben
erst vergangen, und die doch schou durch eine unermeßliche Kluft von der Gegen¬
wart getrennt war. Mit der Restauration beginnen diese Rückblicke.

In dieser Zeit waren Thiers und Mignet die einflußreichsten Geschicht¬
schreiber der Revolution, und ihre Ansichten haben wesentlich auf die Julitage
eingewirkt. — Es wurde in diesen Schriftstellern, die entschieden der Bourgeoisie
und dem Liberalismus angehören, die Wahrheit nachgewiesen, daß die Revolution,
ihrem eigentlichen 'Inhalt nach, keineswegs eine Unterbrechung der altfranzösischen
Traditionen war, sondern die Erfüllung derselben: denn sie beschloß durch die
Constituante das Werk der politischen Centralisation und der Zerstörung des
Lehnswesens, welches bereits von dem französischen Absolutismus mit so großem
Erfolg in Augriff genommen war; sie verband den alten Geist der Freiheit mit
jener einheitlichen Leitung, die Frankreichs Größe ausgemacht hat. — Wenn
Thiers mit einem zu großen Wohlgefallen auf den entschlossenen, nicht gerade
übertrieben sittlichen Figuren der Revolution verweilte, so war dieses objective
Interesse, das dem jetzigen Politiker Thiers wohl sehr unheimlich vorkommen
muß, damit zu entschuldigen, daß man in den zwanziger Jahren die Revolution noch
nicht als einen in die Gegenwart hineinragenden Schatten betrachtete. — In
mehreren Punkten haben Thiers und Mignet dennoch ihre Zeitgenossen in einen
gefährlichen Irrthum verleitet.

Einmal in der zu großen Ausdehnung, welche sie dem Recht der Jnsurrection
gaben. — Das Recht der Jnsurrection zur Abwehr ungesetzlicher Unterdrückung
haben, einige pietistische Conventttel abgerechnet, alle Zeiten anerkannt; aber um
diese handelt es sich hier nicht, sondern um die Jnsurrection als Initiative
in der Gesetzgebung. Dieser Vorzug, den man dem Jnstinct der Masse,
dem Willen eines Theils des Volkes, über die constituirten Gewalten, welche die
gesellschaftliche Vernunft ausdrücken, zugesteht, ist ein höchst verhängnißvoller Irr-


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[0120] des Mittelstandes an dem Unglück Schuld gewesen, welches Frankreich betroffen hat. So kommt der Aristokrat mit seinem Haß gegen die Bourgeoisie dem wil¬ desten Socialisten entgegen. Das andere Buch ist eine Betrachtung der Revolution vom Standpunkt der Bergpartei. Links eitel Tugend, Heroismus und Martyrium; rechts die schnö- deste Selbstsucht. Lafayette ist ein blutdürstiger Mörder, Marat eigentlich ein Gemäßigter. „Narat avait pour but, en se kiüsant violent et terrible, ä'empöolier <zue l'ein n'abattat w revolution par l'exaFvration as son prinoipe, et ä'arreter 1'essusivn an sang <zu' it n'etait pas riKvureusemeiü neoessaire ac verser." — Wir haben alle Ursache, jede derartige Annäherung der Absolutisten und der Jakobiner in den Angriffen gegen die Mittelclasse mit Aufmerksamkeit zu verfolgen. — Wir werfen bei dieser Gelegenheit einen Blick auf die frühern Geschicht¬ schreiber der Revolution. — Unter Napoleon dachte man nicht daran, eine Zeit darzustellen, die nur eben erst vergangen, und die doch schou durch eine unermeßliche Kluft von der Gegen¬ wart getrennt war. Mit der Restauration beginnen diese Rückblicke. In dieser Zeit waren Thiers und Mignet die einflußreichsten Geschicht¬ schreiber der Revolution, und ihre Ansichten haben wesentlich auf die Julitage eingewirkt. — Es wurde in diesen Schriftstellern, die entschieden der Bourgeoisie und dem Liberalismus angehören, die Wahrheit nachgewiesen, daß die Revolution, ihrem eigentlichen 'Inhalt nach, keineswegs eine Unterbrechung der altfranzösischen Traditionen war, sondern die Erfüllung derselben: denn sie beschloß durch die Constituante das Werk der politischen Centralisation und der Zerstörung des Lehnswesens, welches bereits von dem französischen Absolutismus mit so großem Erfolg in Augriff genommen war; sie verband den alten Geist der Freiheit mit jener einheitlichen Leitung, die Frankreichs Größe ausgemacht hat. — Wenn Thiers mit einem zu großen Wohlgefallen auf den entschlossenen, nicht gerade übertrieben sittlichen Figuren der Revolution verweilte, so war dieses objective Interesse, das dem jetzigen Politiker Thiers wohl sehr unheimlich vorkommen muß, damit zu entschuldigen, daß man in den zwanziger Jahren die Revolution noch nicht als einen in die Gegenwart hineinragenden Schatten betrachtete. — In mehreren Punkten haben Thiers und Mignet dennoch ihre Zeitgenossen in einen gefährlichen Irrthum verleitet. Einmal in der zu großen Ausdehnung, welche sie dem Recht der Jnsurrection gaben. — Das Recht der Jnsurrection zur Abwehr ungesetzlicher Unterdrückung haben, einige pietistische Conventttel abgerechnet, alle Zeiten anerkannt; aber um diese handelt es sich hier nicht, sondern um die Jnsurrection als Initiative in der Gesetzgebung. Dieser Vorzug, den man dem Jnstinct der Masse, dem Willen eines Theils des Volkes, über die constituirten Gewalten, welche die gesellschaftliche Vernunft ausdrücken, zugesteht, ist ein höchst verhängnißvoller Irr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/120>, abgerufen am 15.06.2024.