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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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weitern Thätigkeit eines reinern und höher gebildeten Zeitalters. -- Micheler
gab eine halb wahnsinnige Vergötterung des mystischen Begriffs "Volk", dem
eine unbedingte Unfehlbarkeit zugeschrieben wurde, und einen bis zum Götzendienst
ausartenden Cultus der Jnsurrection, in jenem wüsten Jargon der Romantik,
welche alle mögliche Gebiete des Himmels und der Erde ohne Methode und
Gesetz durcheinander mischt, um das plastisch Lebendige zu Traumwesen zu ver-
fliichtigeu. -- Endlich gab Lamenais durch seine Visionen diesen zerstreuten Mo¬
menten die Weihe einer höhern Inspiration.

Was diese Revolutionärs, die Feinde des "bürgerlichen Egoismus," gemein¬
sam charakterisirt, ist die Idee, der Staat , müsse Alles leisten-und für Alles ver¬
antwortlich gemacht werden; und der Einzelne habe nur die Aufgabe -- nicht
für seine eignen endlichen Zwecke zu wirken -- sondern zu bestimmen, wie
der Staat Alles und jedes Einzelne thun müsse. -- Eine Umdrehung der
Begriffe, die alles Staatsleben in eine Reihe von Jnsurrectionen und Emeuten
auflöst. -- Nur dadurch unterscheiden sie sich, daß der Eine den Despotismus
(den Schrecken) als Mittel und eine anarchische Freiheit als letzten Zweck auf¬
stellt, während der Andere durch die Uebergangsperiode der Anarchie zum Des¬
potismus der Phalansterien dringen will.

Diese falschen Theorien hätten an sich weniger Wichtigkeit, wenn sie nicht
mit einer ebenso falschen Richtung des Gemüths, die sich gleichfalls in der Literatur
ausspricht, zusammenfielen. Die modernen Belletristen mit ihrem Zigeunerleben
haben nämlich das Publicum daran gewöhnt, die Begriffe Unordnung und Genie
zu identificiren; sie stellen die Unterwerfung unter die Pflicht als Zeichen eines
beschränkten, unpoetischen Sinnes dar, und als -das Charakteristische eiuer mäch¬
tigen, ursprünglichen Natur die Unfähigkeit, seine eignen Leidenschaften zu meistern.
Jeder Liebende, der nicht ganz Rococo sein will, muß erklären: ich bete Dich an,
auch wenn Du entehrt und im Schmutze herumgeschleift bist; und um Deinet¬
willen bin ich jeden Augenblick bereit, mich zu entehren und im Schmutze zu
wälzen. -- Diese Ziellosigkeit der Gesinnung, auf die Politik angewendet, muß
das wildeste Chaos hervorbringen, und man kann wohl behaupten, daß ohne eine
Wiedergeburt der sittlichen Begriffe von einer dauernden Verbesserung des Staats¬
lebens in Frankreich nicht die Rede sein wird.




Wochenschau-
Neue Schriften über deutsche Interessen.

-- Germania, die Vergangen¬
heit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Nation nach ihrer fortschreitenden Entwicklung
u. s. w. Zur Förderung deutschen Sinnes und deutscher Einheit herausgegeben von einem


weitern Thätigkeit eines reinern und höher gebildeten Zeitalters. — Micheler
gab eine halb wahnsinnige Vergötterung des mystischen Begriffs „Volk", dem
eine unbedingte Unfehlbarkeit zugeschrieben wurde, und einen bis zum Götzendienst
ausartenden Cultus der Jnsurrection, in jenem wüsten Jargon der Romantik,
welche alle mögliche Gebiete des Himmels und der Erde ohne Methode und
Gesetz durcheinander mischt, um das plastisch Lebendige zu Traumwesen zu ver-
fliichtigeu. — Endlich gab Lamenais durch seine Visionen diesen zerstreuten Mo¬
menten die Weihe einer höhern Inspiration.

Was diese Revolutionärs, die Feinde des „bürgerlichen Egoismus," gemein¬
sam charakterisirt, ist die Idee, der Staat , müsse Alles leisten-und für Alles ver¬
antwortlich gemacht werden; und der Einzelne habe nur die Aufgabe — nicht
für seine eignen endlichen Zwecke zu wirken — sondern zu bestimmen, wie
der Staat Alles und jedes Einzelne thun müsse. — Eine Umdrehung der
Begriffe, die alles Staatsleben in eine Reihe von Jnsurrectionen und Emeuten
auflöst. -- Nur dadurch unterscheiden sie sich, daß der Eine den Despotismus
(den Schrecken) als Mittel und eine anarchische Freiheit als letzten Zweck auf¬
stellt, während der Andere durch die Uebergangsperiode der Anarchie zum Des¬
potismus der Phalansterien dringen will.

Diese falschen Theorien hätten an sich weniger Wichtigkeit, wenn sie nicht
mit einer ebenso falschen Richtung des Gemüths, die sich gleichfalls in der Literatur
ausspricht, zusammenfielen. Die modernen Belletristen mit ihrem Zigeunerleben
haben nämlich das Publicum daran gewöhnt, die Begriffe Unordnung und Genie
zu identificiren; sie stellen die Unterwerfung unter die Pflicht als Zeichen eines
beschränkten, unpoetischen Sinnes dar, und als -das Charakteristische eiuer mäch¬
tigen, ursprünglichen Natur die Unfähigkeit, seine eignen Leidenschaften zu meistern.
Jeder Liebende, der nicht ganz Rococo sein will, muß erklären: ich bete Dich an,
auch wenn Du entehrt und im Schmutze herumgeschleift bist; und um Deinet¬
willen bin ich jeden Augenblick bereit, mich zu entehren und im Schmutze zu
wälzen. — Diese Ziellosigkeit der Gesinnung, auf die Politik angewendet, muß
das wildeste Chaos hervorbringen, und man kann wohl behaupten, daß ohne eine
Wiedergeburt der sittlichen Begriffe von einer dauernden Verbesserung des Staats¬
lebens in Frankreich nicht die Rede sein wird.




Wochenschau-
Neue Schriften über deutsche Interessen.

— Germania, die Vergangen¬
heit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Nation nach ihrer fortschreitenden Entwicklung
u. s. w. Zur Förderung deutschen Sinnes und deutscher Einheit herausgegeben von einem


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[0122] weitern Thätigkeit eines reinern und höher gebildeten Zeitalters. — Micheler gab eine halb wahnsinnige Vergötterung des mystischen Begriffs „Volk", dem eine unbedingte Unfehlbarkeit zugeschrieben wurde, und einen bis zum Götzendienst ausartenden Cultus der Jnsurrection, in jenem wüsten Jargon der Romantik, welche alle mögliche Gebiete des Himmels und der Erde ohne Methode und Gesetz durcheinander mischt, um das plastisch Lebendige zu Traumwesen zu ver- fliichtigeu. — Endlich gab Lamenais durch seine Visionen diesen zerstreuten Mo¬ menten die Weihe einer höhern Inspiration. Was diese Revolutionärs, die Feinde des „bürgerlichen Egoismus," gemein¬ sam charakterisirt, ist die Idee, der Staat , müsse Alles leisten-und für Alles ver¬ antwortlich gemacht werden; und der Einzelne habe nur die Aufgabe — nicht für seine eignen endlichen Zwecke zu wirken — sondern zu bestimmen, wie der Staat Alles und jedes Einzelne thun müsse. — Eine Umdrehung der Begriffe, die alles Staatsleben in eine Reihe von Jnsurrectionen und Emeuten auflöst. -- Nur dadurch unterscheiden sie sich, daß der Eine den Despotismus (den Schrecken) als Mittel und eine anarchische Freiheit als letzten Zweck auf¬ stellt, während der Andere durch die Uebergangsperiode der Anarchie zum Des¬ potismus der Phalansterien dringen will. Diese falschen Theorien hätten an sich weniger Wichtigkeit, wenn sie nicht mit einer ebenso falschen Richtung des Gemüths, die sich gleichfalls in der Literatur ausspricht, zusammenfielen. Die modernen Belletristen mit ihrem Zigeunerleben haben nämlich das Publicum daran gewöhnt, die Begriffe Unordnung und Genie zu identificiren; sie stellen die Unterwerfung unter die Pflicht als Zeichen eines beschränkten, unpoetischen Sinnes dar, und als -das Charakteristische eiuer mäch¬ tigen, ursprünglichen Natur die Unfähigkeit, seine eignen Leidenschaften zu meistern. Jeder Liebende, der nicht ganz Rococo sein will, muß erklären: ich bete Dich an, auch wenn Du entehrt und im Schmutze herumgeschleift bist; und um Deinet¬ willen bin ich jeden Augenblick bereit, mich zu entehren und im Schmutze zu wälzen. — Diese Ziellosigkeit der Gesinnung, auf die Politik angewendet, muß das wildeste Chaos hervorbringen, und man kann wohl behaupten, daß ohne eine Wiedergeburt der sittlichen Begriffe von einer dauernden Verbesserung des Staats¬ lebens in Frankreich nicht die Rede sein wird. Wochenschau- Neue Schriften über deutsche Interessen. — Germania, die Vergangen¬ heit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Nation nach ihrer fortschreitenden Entwicklung u. s. w. Zur Förderung deutschen Sinnes und deutscher Einheit herausgegeben von einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/122>, abgerufen am 15.06.2024.