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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Heiden, und einen "Loturan" (Lutheraner, hier jeder Protestant) hält er kaum
noch für einen Menschen. Es ist ein charakteristisches Merkmal der Bildung der
sich gebildet nennenden Klasse, daß sie diese Intoleranz in noch höherem Maße
hat, als das Volk.

Das beste an dem eigentlichen Volke ist der Mangel der angedeuteten Bil¬
dung. Der Geistliche glaubt, der beste Zustand des Bauers sei jener, wenn er
von Gott und Meuscheu Nichts wisse. Dasselbe glaubten die Comitatsmachthaber,
welche selbst Gutsbesitzer waren, und als solche sagten, der Bauer sei schlecht, wenn
er auch Nichts gelernt habe; lerne er Etwas, so werde er der leibhafte Satan.
Es war daher zwecklos, ja staatswidrig, sich um Volksbildung zu bekümmern;
wozu Schulen, wozu Unterricht, wenn das Resultat nothwendig ein schlechtes war?
Kroatien durfte sich daher rühmen, nächst der Türkei dasjenige Land zu sein,
welches die wenigsten und folgerichtig die schlechtesten Schulen in Europa besaß.
-- Es 'fiel Niemandem ein, den Grund der Demoralisation des Volkes in dem
Zustande halb thierischer Rohheit zu suchen, in welchen es geistlicher und weltlicher
Despotismus zu stürzen gewußt hat! --

Ja, es ist ein rohes armes Volk, aber weder roh noch arm ist es durch
seine Schuld geworden, sondern durch die seiner Dränger. In einem Lande,
welches den fruchtbarsten Gegenden Europa's nicht nachsteht, welches für Ackerbau,
Viehzucht und Industrie.die günstigsten Vorbedingungen bietet, ist der Bauer so
arm, daß, schützte ihn nicht der noch übrig gebliebene Nest der großartigen
slavischen Gemeindeverfassung, das Land mit Bettlern übersäet wäre. Wie
konnte es auch anders sein unter einer Verfassung, deren Grundsatz es war, daß
der Bauer nur so lauge gut sei, so lange er darben müsse! Der Bauer durfte
daher Nichts haben; hatte er Etwas, so wurde es ihm, mit Beobachtung aller
Rechtsformen des "Loi-pus Mi-is mung'iz.i'lei", vom Herrn genommen; das Feld
war zu gut für einen Banerugrund, der Gutsherr nahm es und gab dem Bauer
ein schlechtes dafür; die Kühe des Bauers""geriethen durch Unvorsichtigkeit des
Hirten ans einen herrschaftlichen Weideplatz, der Herr schätzte den -- häufig gar nicht
erwiesenen--Schaden ab, nahm die beste Kuh, behielt sie, wenn er sie brauchte,
brauchte er sie nicht, so ließ er sie verkaufen. Und das Recht, das Recht, höre
ich fragen? Wo hatte der Bauer in Ungarn ein Recht, wo es hieß: " lex in
eoäiLL, 'kiivor in Mäiee." O, es war ein freies Land, unser Theil von Ungarn,
wir fühlen es noch heute!

Was Wunder, daß das Volk an Gott und der Menschheit verzweifelte?
Seine glücklichsten Stunden waren die, welche es im Wirthshause zubrachte.
Der Wem fließt stromweise, aber keine Freude, kein Gesang, kein Tanz; -- es
sitzen Menschen da, welche ihr Elend vertrinken wollen. Sehr arm war das
Volk, denn sogar seine Lieder gingen zu Grunde; von Poesie ist keine Spur
mehr in ihm. Seine Lieder sind ehedem sehr zahlreich gewesen, jetzt dürften


Heiden, und einen „Loturan" (Lutheraner, hier jeder Protestant) hält er kaum
noch für einen Menschen. Es ist ein charakteristisches Merkmal der Bildung der
sich gebildet nennenden Klasse, daß sie diese Intoleranz in noch höherem Maße
hat, als das Volk.

Das beste an dem eigentlichen Volke ist der Mangel der angedeuteten Bil¬
dung. Der Geistliche glaubt, der beste Zustand des Bauers sei jener, wenn er
von Gott und Meuscheu Nichts wisse. Dasselbe glaubten die Comitatsmachthaber,
welche selbst Gutsbesitzer waren, und als solche sagten, der Bauer sei schlecht, wenn
er auch Nichts gelernt habe; lerne er Etwas, so werde er der leibhafte Satan.
Es war daher zwecklos, ja staatswidrig, sich um Volksbildung zu bekümmern;
wozu Schulen, wozu Unterricht, wenn das Resultat nothwendig ein schlechtes war?
Kroatien durfte sich daher rühmen, nächst der Türkei dasjenige Land zu sein,
welches die wenigsten und folgerichtig die schlechtesten Schulen in Europa besaß.
— Es 'fiel Niemandem ein, den Grund der Demoralisation des Volkes in dem
Zustande halb thierischer Rohheit zu suchen, in welchen es geistlicher und weltlicher
Despotismus zu stürzen gewußt hat! —

Ja, es ist ein rohes armes Volk, aber weder roh noch arm ist es durch
seine Schuld geworden, sondern durch die seiner Dränger. In einem Lande,
welches den fruchtbarsten Gegenden Europa's nicht nachsteht, welches für Ackerbau,
Viehzucht und Industrie.die günstigsten Vorbedingungen bietet, ist der Bauer so
arm, daß, schützte ihn nicht der noch übrig gebliebene Nest der großartigen
slavischen Gemeindeverfassung, das Land mit Bettlern übersäet wäre. Wie
konnte es auch anders sein unter einer Verfassung, deren Grundsatz es war, daß
der Bauer nur so lauge gut sei, so lange er darben müsse! Der Bauer durfte
daher Nichts haben; hatte er Etwas, so wurde es ihm, mit Beobachtung aller
Rechtsformen des „Loi-pus Mi-is mung'iz.i'lei", vom Herrn genommen; das Feld
war zu gut für einen Banerugrund, der Gutsherr nahm es und gab dem Bauer
ein schlechtes dafür; die Kühe des Bauers«»geriethen durch Unvorsichtigkeit des
Hirten ans einen herrschaftlichen Weideplatz, der Herr schätzte den — häufig gar nicht
erwiesenen—Schaden ab, nahm die beste Kuh, behielt sie, wenn er sie brauchte,
brauchte er sie nicht, so ließ er sie verkaufen. Und das Recht, das Recht, höre
ich fragen? Wo hatte der Bauer in Ungarn ein Recht, wo es hieß: „ lex in
eoäiLL, 'kiivor in Mäiee." O, es war ein freies Land, unser Theil von Ungarn,
wir fühlen es noch heute!

Was Wunder, daß das Volk an Gott und der Menschheit verzweifelte?
Seine glücklichsten Stunden waren die, welche es im Wirthshause zubrachte.
Der Wem fließt stromweise, aber keine Freude, kein Gesang, kein Tanz; — es
sitzen Menschen da, welche ihr Elend vertrinken wollen. Sehr arm war das
Volk, denn sogar seine Lieder gingen zu Grunde; von Poesie ist keine Spur
mehr in ihm. Seine Lieder sind ehedem sehr zahlreich gewesen, jetzt dürften


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/350>, abgerufen am 25.05.2024.