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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Berliner Eindrücke.

Wenn man Berlin nach einiger Zeit zum ersten Mal wiedersieht, macht es
trotz aller Einwendungen den Eindruck einer schönen Stadt. Zwar hat man ganz
mit Recht hervorgehoben, daß der Mangel einer günstigen Natur und einer or¬
ganischen geschichtlichen Entwickelung sich durch nichts ersetzen läßt, daß, mit Aus¬
nahme der älteren Stadttheile an der Spree, die ganze Residenz so aussteht, wie
etwas Gemachtes; allein wir werden doch allmählich dahin kommen, den histori¬
schen Charakter einer Stadt nicht nach ihrem historischen Stillleben abzumessen.
Daß man in unsrer Zeit, wo die natürlichen Bodenverhältnisse nicht eine andere
Richtung vorschreiben, die Straßen gerade und breit baut und nicht'in labyrin¬
thischen Verwickelungen, dürfte wol ebeu so gerechtfertigt sein, als daß man den
Boden, wo-er theuer ist, so stark als möglich zu verwerthen sucht, daß man also
die Häuser hoch baut. Daß ferner die neuen Stadttheile mit einer gewissen un¬
ruhigen, geschäftsmäßigen Hast und nach einem einförmigen Plan auf Specula-
tion aufgeführt werden, dürfte bei dem jährlichen Zmvachs von etwa 13,000
Menschen eben so in der Natur der Sache begründet sein. Gegen den Baustyl,
der in diesen neuen Unternehmungen vorwaltet, läßt sich allerdings vieles Er-,
schliche einwenden. Er erinnert einestheils an die Casernen, die ihm als Vor¬
bild gedient haben, und andererseits in dem unruhigen Experimentiren seiner
Verzierungen an jene Zeit, wo man die schöne Form nicht ans dem Natur¬
gemäßen herleitete, sondern sie als etwas Aeußeres, Willkürliches hinzutreten
ließ, und darum die Muster aus den allerentgegengesetztesten Stylarten entlehnte.
Allein einerseits hat die energische elastische Sicherheit, mit der diese neuen Arme
der Weltstadt aus dem Boden hervorwachsen und sich ausdehnen, schon an sich
etwas JmponirendeS, andererseits vermißt man auch das immer wachsende Behagen
nicht, welches aus der Unruhe und Unstätigkeit des immerwährenden Werdens
allmählich zu eiuer gewissen Ordnung und Form leitet. Man denkt in den neuen
Straßen schon hin und wieder daran, dnrch Bänme und dergleichen die Mono¬
tonie anmuthig zu unterbrechen. Zudem wird der naturgemäße Lauf der Ent¬
wickelung den Charakter des Gemachtem allmählich auslöschen. Dieser Charakter
spricht sich am widerwärtigsten in der grämlichen Mauer aus, die Berlin lange
vor seinem Entstehen eine unabänderliche Form zu geben bestimmt war, und die
es in einen abstracten Schlacht- und Mahlstencrbezirk verwandelt hätte. Die
Baulust hat nach diesen Schranken nicht gefragt; sie hat das Köpnicker Feld
liegen lassen und sich nach dem Thiergarten hin ausgedehnt, der theils unmittel¬
bar, theils durch seine Nachbarschaft den gelangweilten Geschäftsstyl der langen
Straßen unterbricht. Jetzt wird allmählich durch den Canal, an dessen Seite ein
sehr hübscher Spaziergang nach Charlottenburg führt, die Physiognomie der


Berliner Eindrücke.

Wenn man Berlin nach einiger Zeit zum ersten Mal wiedersieht, macht es
trotz aller Einwendungen den Eindruck einer schönen Stadt. Zwar hat man ganz
mit Recht hervorgehoben, daß der Mangel einer günstigen Natur und einer or¬
ganischen geschichtlichen Entwickelung sich durch nichts ersetzen läßt, daß, mit Aus¬
nahme der älteren Stadttheile an der Spree, die ganze Residenz so aussteht, wie
etwas Gemachtes; allein wir werden doch allmählich dahin kommen, den histori¬
schen Charakter einer Stadt nicht nach ihrem historischen Stillleben abzumessen.
Daß man in unsrer Zeit, wo die natürlichen Bodenverhältnisse nicht eine andere
Richtung vorschreiben, die Straßen gerade und breit baut und nicht'in labyrin¬
thischen Verwickelungen, dürfte wol ebeu so gerechtfertigt sein, als daß man den
Boden, wo-er theuer ist, so stark als möglich zu verwerthen sucht, daß man also
die Häuser hoch baut. Daß ferner die neuen Stadttheile mit einer gewissen un¬
ruhigen, geschäftsmäßigen Hast und nach einem einförmigen Plan auf Specula-
tion aufgeführt werden, dürfte bei dem jährlichen Zmvachs von etwa 13,000
Menschen eben so in der Natur der Sache begründet sein. Gegen den Baustyl,
der in diesen neuen Unternehmungen vorwaltet, läßt sich allerdings vieles Er-,
schliche einwenden. Er erinnert einestheils an die Casernen, die ihm als Vor¬
bild gedient haben, und andererseits in dem unruhigen Experimentiren seiner
Verzierungen an jene Zeit, wo man die schöne Form nicht ans dem Natur¬
gemäßen herleitete, sondern sie als etwas Aeußeres, Willkürliches hinzutreten
ließ, und darum die Muster aus den allerentgegengesetztesten Stylarten entlehnte.
Allein einerseits hat die energische elastische Sicherheit, mit der diese neuen Arme
der Weltstadt aus dem Boden hervorwachsen und sich ausdehnen, schon an sich
etwas JmponirendeS, andererseits vermißt man auch das immer wachsende Behagen
nicht, welches aus der Unruhe und Unstätigkeit des immerwährenden Werdens
allmählich zu eiuer gewissen Ordnung und Form leitet. Man denkt in den neuen
Straßen schon hin und wieder daran, dnrch Bänme und dergleichen die Mono¬
tonie anmuthig zu unterbrechen. Zudem wird der naturgemäße Lauf der Ent¬
wickelung den Charakter des Gemachtem allmählich auslöschen. Dieser Charakter
spricht sich am widerwärtigsten in der grämlichen Mauer aus, die Berlin lange
vor seinem Entstehen eine unabänderliche Form zu geben bestimmt war, und die
es in einen abstracten Schlacht- und Mahlstencrbezirk verwandelt hätte. Die
Baulust hat nach diesen Schranken nicht gefragt; sie hat das Köpnicker Feld
liegen lassen und sich nach dem Thiergarten hin ausgedehnt, der theils unmittel¬
bar, theils durch seine Nachbarschaft den gelangweilten Geschäftsstyl der langen
Straßen unterbricht. Jetzt wird allmählich durch den Canal, an dessen Seite ein
sehr hübscher Spaziergang nach Charlottenburg führt, die Physiognomie der


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[0103] Berliner Eindrücke. Wenn man Berlin nach einiger Zeit zum ersten Mal wiedersieht, macht es trotz aller Einwendungen den Eindruck einer schönen Stadt. Zwar hat man ganz mit Recht hervorgehoben, daß der Mangel einer günstigen Natur und einer or¬ ganischen geschichtlichen Entwickelung sich durch nichts ersetzen läßt, daß, mit Aus¬ nahme der älteren Stadttheile an der Spree, die ganze Residenz so aussteht, wie etwas Gemachtes; allein wir werden doch allmählich dahin kommen, den histori¬ schen Charakter einer Stadt nicht nach ihrem historischen Stillleben abzumessen. Daß man in unsrer Zeit, wo die natürlichen Bodenverhältnisse nicht eine andere Richtung vorschreiben, die Straßen gerade und breit baut und nicht'in labyrin¬ thischen Verwickelungen, dürfte wol ebeu so gerechtfertigt sein, als daß man den Boden, wo-er theuer ist, so stark als möglich zu verwerthen sucht, daß man also die Häuser hoch baut. Daß ferner die neuen Stadttheile mit einer gewissen un¬ ruhigen, geschäftsmäßigen Hast und nach einem einförmigen Plan auf Specula- tion aufgeführt werden, dürfte bei dem jährlichen Zmvachs von etwa 13,000 Menschen eben so in der Natur der Sache begründet sein. Gegen den Baustyl, der in diesen neuen Unternehmungen vorwaltet, läßt sich allerdings vieles Er-, schliche einwenden. Er erinnert einestheils an die Casernen, die ihm als Vor¬ bild gedient haben, und andererseits in dem unruhigen Experimentiren seiner Verzierungen an jene Zeit, wo man die schöne Form nicht ans dem Natur¬ gemäßen herleitete, sondern sie als etwas Aeußeres, Willkürliches hinzutreten ließ, und darum die Muster aus den allerentgegengesetztesten Stylarten entlehnte. Allein einerseits hat die energische elastische Sicherheit, mit der diese neuen Arme der Weltstadt aus dem Boden hervorwachsen und sich ausdehnen, schon an sich etwas JmponirendeS, andererseits vermißt man auch das immer wachsende Behagen nicht, welches aus der Unruhe und Unstätigkeit des immerwährenden Werdens allmählich zu eiuer gewissen Ordnung und Form leitet. Man denkt in den neuen Straßen schon hin und wieder daran, dnrch Bänme und dergleichen die Mono¬ tonie anmuthig zu unterbrechen. Zudem wird der naturgemäße Lauf der Ent¬ wickelung den Charakter des Gemachtem allmählich auslöschen. Dieser Charakter spricht sich am widerwärtigsten in der grämlichen Mauer aus, die Berlin lange vor seinem Entstehen eine unabänderliche Form zu geben bestimmt war, und die es in einen abstracten Schlacht- und Mahlstencrbezirk verwandelt hätte. Die Baulust hat nach diesen Schranken nicht gefragt; sie hat das Köpnicker Feld liegen lassen und sich nach dem Thiergarten hin ausgedehnt, der theils unmittel¬ bar, theils durch seine Nachbarschaft den gelangweilten Geschäftsstyl der langen Straßen unterbricht. Jetzt wird allmählich durch den Canal, an dessen Seite ein sehr hübscher Spaziergang nach Charlottenburg führt, die Physiognomie der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/103>, abgerufen am 15.06.2024.