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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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dicken, groben, rothen oder blauen Frieshemden selten abzulegen lieben. Das
allzu frühe Ausstehen ist ihnen nicht angenehm gewesen, sie hätten noch gern
ein Stündchen in den engen dunklen Schlafcojen verträumt, trotzdem daß der
Morgen mit so wunderherrlicher Pracht ans das blaue Meer daniederlacht und
es überall glitzert und funkelt vom italienischen Sonnenschein. Ruhig und fest,
zwar mit eiuer gewissen trägen Verdrossenheit, aber auch mit angewohnter Regel¬
mäßigkeit, die oft sogar in das Pedantische übergeht, verrichten sie ihre nasse Ar¬
beit. Taktmäßig fahren die Schrubber auf den Verdeckplanken umher, kein
Winkelchen wird übergangen, kein Wasser unnütz vergossen, und mit der Arbeit
nicht eher aufgehört, bis das Schiff vollkommen rein ist und der beaufsichtigende
Steuermann das Zeichen dazu gegeben hat. Nächst den holländischen Fahrzeugen
gebührt unsren norddeutschen Seeschiffen und besonders denen von der Nordsee
unbedingt das Lob, daß sie die reinlichsten und ordentlichsten in ganz Europa siud.
Auf den englischen Schiffen beginnt gewöhnlich die Thätigkeit etwas später, denn der
Engländer liebt das Frühaufstehen nicht sonderlich. Bei der Arbeit hingegen sind ihre
Matrosen stets rasch und mit praktischen Handgriffen vertraut, und da auch die Rei-
niguugsinftrumente meist sehr zweckmäßig construirt sind und jede Pedanterie ver¬
mieden wird, so ist dieselbe in kürzerer Frist als auf den deutschen Fahrzeugen
vollendet. So gut erhalten wie unsre deutschen Kauffahrer sehen die englischen
selten aus, und man merkt ihrem Aeußern an, daß sie mehr herumgetrieben
und hurtiger auf den Gewinn aus sein müssen, wie dies bei den unsrigen
der Fall zu sein pflegt. Ein englisches Schiff macht im Durchschnitt bei gleichen
Reisen alljährlich eine Fahrt mehr, als ein deutsches, so viel rascher und
waghalsiger wird es benutzt. Freilich gehen dabei im Verhältniß auch stets mehr
englische Schiffe als deutsche in der See verloren, und außer der holländischen
werden keine Flaggen bei den Schiffsassecnratnren in den europäischen und nord¬
amerikanischen Fahrten so gern gesehen, wie die 7 oder 8, welche unsre deutschen
Fahrzeuge führen.

War ich- es müde, diesen Toilettegeheimnissen der Schiffe zuzusehen, so brach¬
ten meine Ruderer.mich bald aus dem Gewühl derselben hinaus in den freien
Meerbusen. Eine prachtvolle Aussicht jhat man.von hier ans die ganze Stadt,
und besonders von unweit der Lanterna vor dem äußersten Punkt des Molo
nuovo ist der Blick äußerst belohnend. Ganze Reihen der imposantesten Paläste,
oft amphitheatralisch über einander steigend, oft aber auch vou breiten, grünen Ter¬
rassen getrennt, oder wie von smaragdnen Gürtel umgeben, in der Mitte von
grünenden und blühenden Gärten übersteht man. Hier begreift man die Ge¬
schichte Genua's. Geschickte, kühne Seeleute, klug speculirende Kaufherren waren
diese alten genuesischen "Nobili" auf dem Meere, vor deren Galeeren mehr wie
einmal der Halbmond floh, dagegen prachtliebende Aristokraten, üppige Sybariten
auf dem Festlande. Nicht verschlossen sie die Schätze, die Indien oder der Orient


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dicken, groben, rothen oder blauen Frieshemden selten abzulegen lieben. Das
allzu frühe Ausstehen ist ihnen nicht angenehm gewesen, sie hätten noch gern
ein Stündchen in den engen dunklen Schlafcojen verträumt, trotzdem daß der
Morgen mit so wunderherrlicher Pracht ans das blaue Meer daniederlacht und
es überall glitzert und funkelt vom italienischen Sonnenschein. Ruhig und fest,
zwar mit eiuer gewissen trägen Verdrossenheit, aber auch mit angewohnter Regel¬
mäßigkeit, die oft sogar in das Pedantische übergeht, verrichten sie ihre nasse Ar¬
beit. Taktmäßig fahren die Schrubber auf den Verdeckplanken umher, kein
Winkelchen wird übergangen, kein Wasser unnütz vergossen, und mit der Arbeit
nicht eher aufgehört, bis das Schiff vollkommen rein ist und der beaufsichtigende
Steuermann das Zeichen dazu gegeben hat. Nächst den holländischen Fahrzeugen
gebührt unsren norddeutschen Seeschiffen und besonders denen von der Nordsee
unbedingt das Lob, daß sie die reinlichsten und ordentlichsten in ganz Europa siud.
Auf den englischen Schiffen beginnt gewöhnlich die Thätigkeit etwas später, denn der
Engländer liebt das Frühaufstehen nicht sonderlich. Bei der Arbeit hingegen sind ihre
Matrosen stets rasch und mit praktischen Handgriffen vertraut, und da auch die Rei-
niguugsinftrumente meist sehr zweckmäßig construirt sind und jede Pedanterie ver¬
mieden wird, so ist dieselbe in kürzerer Frist als auf den deutschen Fahrzeugen
vollendet. So gut erhalten wie unsre deutschen Kauffahrer sehen die englischen
selten aus, und man merkt ihrem Aeußern an, daß sie mehr herumgetrieben
und hurtiger auf den Gewinn aus sein müssen, wie dies bei den unsrigen
der Fall zu sein pflegt. Ein englisches Schiff macht im Durchschnitt bei gleichen
Reisen alljährlich eine Fahrt mehr, als ein deutsches, so viel rascher und
waghalsiger wird es benutzt. Freilich gehen dabei im Verhältniß auch stets mehr
englische Schiffe als deutsche in der See verloren, und außer der holländischen
werden keine Flaggen bei den Schiffsassecnratnren in den europäischen und nord¬
amerikanischen Fahrten so gern gesehen, wie die 7 oder 8, welche unsre deutschen
Fahrzeuge führen.

War ich- es müde, diesen Toilettegeheimnissen der Schiffe zuzusehen, so brach¬
ten meine Ruderer.mich bald aus dem Gewühl derselben hinaus in den freien
Meerbusen. Eine prachtvolle Aussicht jhat man.von hier ans die ganze Stadt,
und besonders von unweit der Lanterna vor dem äußersten Punkt des Molo
nuovo ist der Blick äußerst belohnend. Ganze Reihen der imposantesten Paläste,
oft amphitheatralisch über einander steigend, oft aber auch vou breiten, grünen Ter¬
rassen getrennt, oder wie von smaragdnen Gürtel umgeben, in der Mitte von
grünenden und blühenden Gärten übersteht man. Hier begreift man die Ge¬
schichte Genua's. Geschickte, kühne Seeleute, klug speculirende Kaufherren waren
diese alten genuesischen „Nobili" auf dem Meere, vor deren Galeeren mehr wie
einmal der Halbmond floh, dagegen prachtliebende Aristokraten, üppige Sybariten
auf dem Festlande. Nicht verschlossen sie die Schätze, die Indien oder der Orient


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/13>, abgerufen am 16.05.2024.