Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihren Schülern, ihrem Geist Macht zu geben über alle Dinge, ohne daß sie den
gewöhnlichen Weg der Erkenntniß nöthig hätten, und ihre Schüler weissagen auch
in der That über alle Dinge,- allein ihre Weissagungen treffen nicht ein.

So lange man also nicht ein bestimmtes Gebiet des Wissens gefunden haben
wird, welches die Philosophie beherrscht und welches sich von dem Gegenstande
anderer Wissenschaften unterscheidet, wird man ihr den'Namen einer Wissenschaft
nicht beilegen können. Uebersehen wir die Leistungen der neuern deutschen Philo¬
sophie, lassen die poetischen Inspirationen der Schelling, Schubert, Jacobi n. s. w.
völlig bei Seite und halten uns nur an Hegel, der mit dem Schein der strengsten
Wissenschaftlichkeit zu Werke geht, so finden wir in seinem System außer der
Logik eine Reihe von Disciplinen, die mit den Disciplinen anderer Wissenschaften
zusammen zu fallen scheinen. So ist z. B. seine Naturphilosophie dem Inhalt
nach nichts Andres, als ein System der Naturwissenschaft, nur anders geordnet
und auf eine andere Methode des Forschens gegründet, als die gewöhnliche
Naturwissenschaft. Dasselbe ist mit seiner Philosophie der Geschichte der Fall.
Wer wollte verkennen, daß die Wissenschaft aus diesen geistvollen und im großen
Sinn gedachten Apercus so manchen trefflichen Wink entnehmen kann. Die ein¬
seitige Beschäftigung mit der reinen Wissenschaft, die immer nur den nächsten
Schritt in's Auge faßt, verleitet leicht zu mechanischer Arbeit, und wer zu viel
das Mikroskop anwendet, verliert den Blick für die großen und ganzen Verhält¬
nisse. Ein geistvoller Mann, der von dem Ganzen der Wissenschaft eine unge¬
fähre Anschauung hat, wird daher Manches schärfer und größer auffassen, als der
in Detailstudien vertiefte Gelehrte. Allein so werthvoll diese Philosophien der
Natur und der Geschichte in andrer Beziehung sind, wissenschaftliche Bücher sind
es nicht, denn es fehlt ihnen gerade das charakteristische Kennzeichen, welches
Herr Engel von der Philosophie verlangt, das absolute Erkennen. -- Dann treffen
wir wieder eine Reihe von Disciplinen, welche sich gleichsam auf einem mittlern
Gebiet bewegen, z. B. Aesthetik, Moralphilosophie, und was sonst in dieses Genre
schlägt. Auch diese Disciplinen werden sich einmal in die Formen strenger Wissen¬
schaftlichkeit fügen müssen; man wird ans physischen und psychischen Gesetzen
erweisen müssen, warum diese Ton- und Farbeverbiudung schön, warum diese
Maxime des Handelns gut oder böse ist, u. s. w. Vorläufig müssen sie noch
diesen wissenschaftlichen Charakter entbehren, weil uus noch eine ganze Reihe von
Vorbegriffen fehlen, die nicht aus der Logik oder Metaphysik, sondern aus der
Akustik, der Optik :c. herzuleiten sind. In diesen Gebieten ist die Philosophie
recht eigentlich zu Hause und entspricht ihrem Namen, der nicht Weisheit, sondern
Liebe zur Weisheit bedeutet. Sie wird aber auch hier immer mehr leisten, je
mehr sie sich die Methode der anderen Wissenschaften aneignet, d. h, je strenger
sie unterscheidet zwischen dem, was sie weiß, und dem was sie nicht weiß. -- Was
endlich die Logik betrifft, so enthalt diese seit der Zeit, wo man von der blos formalen


ihren Schülern, ihrem Geist Macht zu geben über alle Dinge, ohne daß sie den
gewöhnlichen Weg der Erkenntniß nöthig hätten, und ihre Schüler weissagen auch
in der That über alle Dinge,- allein ihre Weissagungen treffen nicht ein.

So lange man also nicht ein bestimmtes Gebiet des Wissens gefunden haben
wird, welches die Philosophie beherrscht und welches sich von dem Gegenstande
anderer Wissenschaften unterscheidet, wird man ihr den'Namen einer Wissenschaft
nicht beilegen können. Uebersehen wir die Leistungen der neuern deutschen Philo¬
sophie, lassen die poetischen Inspirationen der Schelling, Schubert, Jacobi n. s. w.
völlig bei Seite und halten uns nur an Hegel, der mit dem Schein der strengsten
Wissenschaftlichkeit zu Werke geht, so finden wir in seinem System außer der
Logik eine Reihe von Disciplinen, die mit den Disciplinen anderer Wissenschaften
zusammen zu fallen scheinen. So ist z. B. seine Naturphilosophie dem Inhalt
nach nichts Andres, als ein System der Naturwissenschaft, nur anders geordnet
und auf eine andere Methode des Forschens gegründet, als die gewöhnliche
Naturwissenschaft. Dasselbe ist mit seiner Philosophie der Geschichte der Fall.
Wer wollte verkennen, daß die Wissenschaft aus diesen geistvollen und im großen
Sinn gedachten Apercus so manchen trefflichen Wink entnehmen kann. Die ein¬
seitige Beschäftigung mit der reinen Wissenschaft, die immer nur den nächsten
Schritt in's Auge faßt, verleitet leicht zu mechanischer Arbeit, und wer zu viel
das Mikroskop anwendet, verliert den Blick für die großen und ganzen Verhält¬
nisse. Ein geistvoller Mann, der von dem Ganzen der Wissenschaft eine unge¬
fähre Anschauung hat, wird daher Manches schärfer und größer auffassen, als der
in Detailstudien vertiefte Gelehrte. Allein so werthvoll diese Philosophien der
Natur und der Geschichte in andrer Beziehung sind, wissenschaftliche Bücher sind
es nicht, denn es fehlt ihnen gerade das charakteristische Kennzeichen, welches
Herr Engel von der Philosophie verlangt, das absolute Erkennen. — Dann treffen
wir wieder eine Reihe von Disciplinen, welche sich gleichsam auf einem mittlern
Gebiet bewegen, z. B. Aesthetik, Moralphilosophie, und was sonst in dieses Genre
schlägt. Auch diese Disciplinen werden sich einmal in die Formen strenger Wissen¬
schaftlichkeit fügen müssen; man wird ans physischen und psychischen Gesetzen
erweisen müssen, warum diese Ton- und Farbeverbiudung schön, warum diese
Maxime des Handelns gut oder böse ist, u. s. w. Vorläufig müssen sie noch
diesen wissenschaftlichen Charakter entbehren, weil uus noch eine ganze Reihe von
Vorbegriffen fehlen, die nicht aus der Logik oder Metaphysik, sondern aus der
Akustik, der Optik :c. herzuleiten sind. In diesen Gebieten ist die Philosophie
recht eigentlich zu Hause und entspricht ihrem Namen, der nicht Weisheit, sondern
Liebe zur Weisheit bedeutet. Sie wird aber auch hier immer mehr leisten, je
mehr sie sich die Methode der anderen Wissenschaften aneignet, d. h, je strenger
sie unterscheidet zwischen dem, was sie weiß, und dem was sie nicht weiß. — Was
endlich die Logik betrifft, so enthalt diese seit der Zeit, wo man von der blos formalen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95140"/>
          <p xml:id="ID_411" prev="#ID_410"> ihren Schülern, ihrem Geist Macht zu geben über alle Dinge, ohne daß sie den<lb/>
gewöhnlichen Weg der Erkenntniß nöthig hätten, und ihre Schüler weissagen auch<lb/>
in der That über alle Dinge,- allein ihre Weissagungen treffen nicht ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_412" next="#ID_413"> So lange man also nicht ein bestimmtes Gebiet des Wissens gefunden haben<lb/>
wird, welches die Philosophie beherrscht und welches sich von dem Gegenstande<lb/>
anderer Wissenschaften unterscheidet, wird man ihr den'Namen einer Wissenschaft<lb/>
nicht beilegen können. Uebersehen wir die Leistungen der neuern deutschen Philo¬<lb/>
sophie, lassen die poetischen Inspirationen der Schelling, Schubert, Jacobi n. s. w.<lb/>
völlig bei Seite und halten uns nur an Hegel, der mit dem Schein der strengsten<lb/>
Wissenschaftlichkeit zu Werke geht, so finden wir in seinem System außer der<lb/>
Logik eine Reihe von Disciplinen, die mit den Disciplinen anderer Wissenschaften<lb/>
zusammen zu fallen scheinen. So ist z. B. seine Naturphilosophie dem Inhalt<lb/>
nach nichts Andres, als ein System der Naturwissenschaft, nur anders geordnet<lb/>
und auf eine andere Methode des Forschens gegründet, als die gewöhnliche<lb/>
Naturwissenschaft. Dasselbe ist mit seiner Philosophie der Geschichte der Fall.<lb/>
Wer wollte verkennen, daß die Wissenschaft aus diesen geistvollen und im großen<lb/>
Sinn gedachten Apercus so manchen trefflichen Wink entnehmen kann. Die ein¬<lb/>
seitige Beschäftigung mit der reinen Wissenschaft, die immer nur den nächsten<lb/>
Schritt in's Auge faßt, verleitet leicht zu mechanischer Arbeit, und wer zu viel<lb/>
das Mikroskop anwendet, verliert den Blick für die großen und ganzen Verhält¬<lb/>
nisse. Ein geistvoller Mann, der von dem Ganzen der Wissenschaft eine unge¬<lb/>
fähre Anschauung hat, wird daher Manches schärfer und größer auffassen, als der<lb/>
in Detailstudien vertiefte Gelehrte. Allein so werthvoll diese Philosophien der<lb/>
Natur und der Geschichte in andrer Beziehung sind, wissenschaftliche Bücher sind<lb/>
es nicht, denn es fehlt ihnen gerade das charakteristische Kennzeichen, welches<lb/>
Herr Engel von der Philosophie verlangt, das absolute Erkennen. &#x2014; Dann treffen<lb/>
wir wieder eine Reihe von Disciplinen, welche sich gleichsam auf einem mittlern<lb/>
Gebiet bewegen, z. B. Aesthetik, Moralphilosophie, und was sonst in dieses Genre<lb/>
schlägt. Auch diese Disciplinen werden sich einmal in die Formen strenger Wissen¬<lb/>
schaftlichkeit fügen müssen; man wird ans physischen und psychischen Gesetzen<lb/>
erweisen müssen, warum diese Ton- und Farbeverbiudung schön, warum diese<lb/>
Maxime des Handelns gut oder böse ist, u. s. w. Vorläufig müssen sie noch<lb/>
diesen wissenschaftlichen Charakter entbehren, weil uus noch eine ganze Reihe von<lb/>
Vorbegriffen fehlen, die nicht aus der Logik oder Metaphysik, sondern aus der<lb/>
Akustik, der Optik :c. herzuleiten sind. In diesen Gebieten ist die Philosophie<lb/>
recht eigentlich zu Hause und entspricht ihrem Namen, der nicht Weisheit, sondern<lb/>
Liebe zur Weisheit bedeutet. Sie wird aber auch hier immer mehr leisten, je<lb/>
mehr sie sich die Methode der anderen Wissenschaften aneignet, d. h, je strenger<lb/>
sie unterscheidet zwischen dem, was sie weiß, und dem was sie nicht weiß. &#x2014; Was<lb/>
endlich die Logik betrifft, so enthalt diese seit der Zeit, wo man von der blos formalen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0159] ihren Schülern, ihrem Geist Macht zu geben über alle Dinge, ohne daß sie den gewöhnlichen Weg der Erkenntniß nöthig hätten, und ihre Schüler weissagen auch in der That über alle Dinge,- allein ihre Weissagungen treffen nicht ein. So lange man also nicht ein bestimmtes Gebiet des Wissens gefunden haben wird, welches die Philosophie beherrscht und welches sich von dem Gegenstande anderer Wissenschaften unterscheidet, wird man ihr den'Namen einer Wissenschaft nicht beilegen können. Uebersehen wir die Leistungen der neuern deutschen Philo¬ sophie, lassen die poetischen Inspirationen der Schelling, Schubert, Jacobi n. s. w. völlig bei Seite und halten uns nur an Hegel, der mit dem Schein der strengsten Wissenschaftlichkeit zu Werke geht, so finden wir in seinem System außer der Logik eine Reihe von Disciplinen, die mit den Disciplinen anderer Wissenschaften zusammen zu fallen scheinen. So ist z. B. seine Naturphilosophie dem Inhalt nach nichts Andres, als ein System der Naturwissenschaft, nur anders geordnet und auf eine andere Methode des Forschens gegründet, als die gewöhnliche Naturwissenschaft. Dasselbe ist mit seiner Philosophie der Geschichte der Fall. Wer wollte verkennen, daß die Wissenschaft aus diesen geistvollen und im großen Sinn gedachten Apercus so manchen trefflichen Wink entnehmen kann. Die ein¬ seitige Beschäftigung mit der reinen Wissenschaft, die immer nur den nächsten Schritt in's Auge faßt, verleitet leicht zu mechanischer Arbeit, und wer zu viel das Mikroskop anwendet, verliert den Blick für die großen und ganzen Verhält¬ nisse. Ein geistvoller Mann, der von dem Ganzen der Wissenschaft eine unge¬ fähre Anschauung hat, wird daher Manches schärfer und größer auffassen, als der in Detailstudien vertiefte Gelehrte. Allein so werthvoll diese Philosophien der Natur und der Geschichte in andrer Beziehung sind, wissenschaftliche Bücher sind es nicht, denn es fehlt ihnen gerade das charakteristische Kennzeichen, welches Herr Engel von der Philosophie verlangt, das absolute Erkennen. — Dann treffen wir wieder eine Reihe von Disciplinen, welche sich gleichsam auf einem mittlern Gebiet bewegen, z. B. Aesthetik, Moralphilosophie, und was sonst in dieses Genre schlägt. Auch diese Disciplinen werden sich einmal in die Formen strenger Wissen¬ schaftlichkeit fügen müssen; man wird ans physischen und psychischen Gesetzen erweisen müssen, warum diese Ton- und Farbeverbiudung schön, warum diese Maxime des Handelns gut oder böse ist, u. s. w. Vorläufig müssen sie noch diesen wissenschaftlichen Charakter entbehren, weil uus noch eine ganze Reihe von Vorbegriffen fehlen, die nicht aus der Logik oder Metaphysik, sondern aus der Akustik, der Optik :c. herzuleiten sind. In diesen Gebieten ist die Philosophie recht eigentlich zu Hause und entspricht ihrem Namen, der nicht Weisheit, sondern Liebe zur Weisheit bedeutet. Sie wird aber auch hier immer mehr leisten, je mehr sie sich die Methode der anderen Wissenschaften aneignet, d. h, je strenger sie unterscheidet zwischen dem, was sie weiß, und dem was sie nicht weiß. — Was endlich die Logik betrifft, so enthalt diese seit der Zeit, wo man von der blos formalen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/159
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/159>, abgerufen am 15.06.2024.