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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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sieht zum Fenster hinaus, mit der rechten Hand einen Vorhang wegschiebend, die
linke auf den Griff des Degens gelegt; hinter ihm ein Cardinal. Ob Alba der
Enthauptung Egmont's und Horn's zusieht, ob einem ähnlichen Ereigniß, ist
gleichgiltig. Es kam dem Künstler darauf an, ein Paar charakteristische Figuren
neben einander portraitartig darzustellen, und dies ist ihm gelungen. Der Car¬
dinal hinter Alba, der, wie dieser, aufmerksam zum Fenster hinaussieht, hat ganz
die überlegte Ruhe dessen, der, wo es gilt, einem seiner Meinuugj nach großen
Zweck zu dienen, mit Bewußtsein das Individuum opfert. Alba ist über der¬
gleichen Reflexionen längst hinweg, ihm ist die bornirte Ruhe eines blinden Werk¬
zeugs, das in der vorgezeichneten Bahn weder rechts noch links weichen kaun;
das alles in den Weg sich stellende gleichgiltig wegräumt, mag's ein Sandkorn,
oder ein Menschenleben sein.

So wenigstens hat ihn der Künstler aufgefaßt, und so hat er ihn vortreff¬
lich wiedergegeben. Ein poetisches Interesse hat das Bild nicht, Farbe und
Wirkung ist von einer wunderbaren selbst bei den besten Meistern der belgischen
und französischen Schule selten gesehenen Vollkommenheit. In der Zeichnung
dagegen ist manche kleine Schwäche, namentlich ist die ans den Degen gelegte
linke Hand Alba's roh und ohne allen Charakter.

De Keyser. Christoph Kolumbus, begleitet von seinem Sohne Diego,
wird als Narr und Träumer behandelt.

,.Viele verlachten seine Pläne als Träume eines Verrückten, Andere ver¬
achteten ihn als einen Abenteurer; man sagt, daß selbst die Kinder, wenn er sich
blicken ließ, mit der Hand aus die Stirn deuteten, um den Sitz des vermeinten
Wahnsinns ihm zum Hohn zu bezeichnen." (Washington Jrwing.)

Kolumbus steht am Meere und blickt sehnsüchtig nach Westen, ein schöner
Kops, dessen Formen sich an das überlieferte Portrait anschließen, dessen bedeu¬
tender Stirn man mehr als gewöhnliche Denkkraft zutraut. Aber diese Züge hat
der Maler nicht mit gleich bedeutendem Ausdruck zu beleben vermocht; es liegt darin
nicht genug die bestimmte Sehnsucht, die sich ihres Ziels bewußt ist. Kolumbus
hat hier wirklich Etwas von einem sentimentalen Träumer, dessen Sehnsucht ohne
Klarheit ist; und man kann den Leuten, die weiter im Hintergrunde zurückstehn
und ihn auslachen, nicht so ganz unrecht geben.

Und dennoch ist Columbus selbst die gelungenste Figur. Sein'kleiner Sohn
Diego, dem der Maler durch das Bestreben, ihn bedeutend erscheinen zu lassen,
alles Kindliche genommen hat, geberdet sich gegen das seinen Vater verhöhnende
Volk wie ein schlechter Schauspieler; das Volk selbst eben so; die Leute machen
alle Stellungen, es ist Alles äußerlich, ohne inneres Leben und wirkliche
Empfindung.

Bei der großen Virtuosität de Keyser's, namentlich bei seiner höchst ge¬
schickten Pinselführung, hat doch seine Behandlung der Farbe etwas Zahmes und


sieht zum Fenster hinaus, mit der rechten Hand einen Vorhang wegschiebend, die
linke auf den Griff des Degens gelegt; hinter ihm ein Cardinal. Ob Alba der
Enthauptung Egmont's und Horn's zusieht, ob einem ähnlichen Ereigniß, ist
gleichgiltig. Es kam dem Künstler darauf an, ein Paar charakteristische Figuren
neben einander portraitartig darzustellen, und dies ist ihm gelungen. Der Car¬
dinal hinter Alba, der, wie dieser, aufmerksam zum Fenster hinaussieht, hat ganz
die überlegte Ruhe dessen, der, wo es gilt, einem seiner Meinuugj nach großen
Zweck zu dienen, mit Bewußtsein das Individuum opfert. Alba ist über der¬
gleichen Reflexionen längst hinweg, ihm ist die bornirte Ruhe eines blinden Werk¬
zeugs, das in der vorgezeichneten Bahn weder rechts noch links weichen kaun;
das alles in den Weg sich stellende gleichgiltig wegräumt, mag's ein Sandkorn,
oder ein Menschenleben sein.

So wenigstens hat ihn der Künstler aufgefaßt, und so hat er ihn vortreff¬
lich wiedergegeben. Ein poetisches Interesse hat das Bild nicht, Farbe und
Wirkung ist von einer wunderbaren selbst bei den besten Meistern der belgischen
und französischen Schule selten gesehenen Vollkommenheit. In der Zeichnung
dagegen ist manche kleine Schwäche, namentlich ist die ans den Degen gelegte
linke Hand Alba's roh und ohne allen Charakter.

De Keyser. Christoph Kolumbus, begleitet von seinem Sohne Diego,
wird als Narr und Träumer behandelt.

,.Viele verlachten seine Pläne als Träume eines Verrückten, Andere ver¬
achteten ihn als einen Abenteurer; man sagt, daß selbst die Kinder, wenn er sich
blicken ließ, mit der Hand aus die Stirn deuteten, um den Sitz des vermeinten
Wahnsinns ihm zum Hohn zu bezeichnen." (Washington Jrwing.)

Kolumbus steht am Meere und blickt sehnsüchtig nach Westen, ein schöner
Kops, dessen Formen sich an das überlieferte Portrait anschließen, dessen bedeu¬
tender Stirn man mehr als gewöhnliche Denkkraft zutraut. Aber diese Züge hat
der Maler nicht mit gleich bedeutendem Ausdruck zu beleben vermocht; es liegt darin
nicht genug die bestimmte Sehnsucht, die sich ihres Ziels bewußt ist. Kolumbus
hat hier wirklich Etwas von einem sentimentalen Träumer, dessen Sehnsucht ohne
Klarheit ist; und man kann den Leuten, die weiter im Hintergrunde zurückstehn
und ihn auslachen, nicht so ganz unrecht geben.

Und dennoch ist Columbus selbst die gelungenste Figur. Sein'kleiner Sohn
Diego, dem der Maler durch das Bestreben, ihn bedeutend erscheinen zu lassen,
alles Kindliche genommen hat, geberdet sich gegen das seinen Vater verhöhnende
Volk wie ein schlechter Schauspieler; das Volk selbst eben so; die Leute machen
alle Stellungen, es ist Alles äußerlich, ohne inneres Leben und wirkliche
Empfindung.

Bei der großen Virtuosität de Keyser's, namentlich bei seiner höchst ge¬
schickten Pinselführung, hat doch seine Behandlung der Farbe etwas Zahmes und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/185>, abgerufen am 15.06.2024.