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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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verstehen gegeben, er werde die Wahl des schwedischen Volkes gern annehmen,
die Verschiedenheit der Religion sei für ihn kein Hinderniß; er stamme aus dem
Lande Heinrichs IV. und werbe keinen Anstand nehmen, dem Beispiel desselben
zu folgen. Bis dahin war der schwedische Gesandte Lagerbielke in die Sache
nicht eingeweiht worden. Erst am 30. Juni, als Mörner nach Schweden ab¬
gereist war und der General Wrede sich anschickte ihm zu folgen, erhielt er
durch letzteren Kenntniß des Planes. AIs er die unglaubliche Geschichte eines
Lieutenants hörte, der sich einfallen ließ, einen König zu machen und sich
selbst zum Diplomaten stempelte, als er erfuhr, daß der Vorschlag dieses
Lieutenants vor den Kaiser gebracht worden und leicht verwirklicht werden
könne, war er wie vom Blitz getroffen. Die ganze Sache war ohne ihn be¬
trieben, sein Credit in Stockholm vernichtet; er war das Bild eines überlisteten
und sehr stark compromittirten Diplomaten. Alles war ihm zunächst daran
gelegen, die Willensmeinung des Kaisers in Betreff des neuen Candidaten
kennen zu lernen. Am Tage nach seiner Unterredung mit Wrede begab er
sich zu dem Feste, welches der Fürst Schwarzenberg zur Feier der Vermählung
des Kaisers gab. Er befragte hier den Minister des Auswärtigen, Herzog
von Cadore, über die Angelegenheit; der Minister erwiderte, der Vorschlag
Mörners könne und dürfe nicht vom Kaiser gutgeheißen werden, Se. Majestät
würden die Sachen ihren Gang gehen lassen. Lagerbielke wurde dringender,
der Minister erklärte: "Ich kenne durchaus nicht die Willensmeinung des
Kaisers. Auf die Candidatur des Prinzen von Pontecorvo war er sehr wenig
vorbereitet und die Wahl desselben ist nur erst Project." Bei diesen Worten
ertönte der Ruf: "Feuer", Lagerbielke mußte es für diese Nacht ausgeben, die
Intentionen Napoleons zu erfahren.

Mörner kehrte inzwischen nach Schweden zurück. Wie er in Paris ver¬
sichert hatte, sein Candidat sei der Erwählte einer zahlreichen Partei in Schweden,
so versicherte er in Stockholm, Napoleon habe keinen andern Wunsch, als daß
der Marschall Bernadotte der Nachfolger Karls XIII. werde. Er schrieb zu¬
gleich nach Paris an Signeul, daß man auf die öffentliche Meinung in
Schweden "von außen" wirken müsse; er schrieb an Bernadotte, er möchte
alles aufbieten, um den Chef des schwedischen Cabinets, den Grafen Engeström,
Vertrauten Karls XIII., für sich zu gewinnen. Bald unterstützte ihn der
General Wrede. Man legte die Sache den Reichstagsabgeordneten in Oerebro
vor; man theilte sie den Offizieren der Armee in Stockholm und in den Pro¬
vinzen mit. Aber der König und seine Rathgeber hatten die Wahl des
Herzogs von Augustenburg noch nicht ausgegeben. Karl XIII. war sehr un¬
zufrieden mit der Agitation für Bernadotte, er warf den Generalen Wrede
und Adlerkreuz vor, nicht mehr ihm treu zu sein und verlangte von ihnen den
Eid, nicht für Bernadotte zu stimmen. Zugleich verbreitete man seitens der


verstehen gegeben, er werde die Wahl des schwedischen Volkes gern annehmen,
die Verschiedenheit der Religion sei für ihn kein Hinderniß; er stamme aus dem
Lande Heinrichs IV. und werbe keinen Anstand nehmen, dem Beispiel desselben
zu folgen. Bis dahin war der schwedische Gesandte Lagerbielke in die Sache
nicht eingeweiht worden. Erst am 30. Juni, als Mörner nach Schweden ab¬
gereist war und der General Wrede sich anschickte ihm zu folgen, erhielt er
durch letzteren Kenntniß des Planes. AIs er die unglaubliche Geschichte eines
Lieutenants hörte, der sich einfallen ließ, einen König zu machen und sich
selbst zum Diplomaten stempelte, als er erfuhr, daß der Vorschlag dieses
Lieutenants vor den Kaiser gebracht worden und leicht verwirklicht werden
könne, war er wie vom Blitz getroffen. Die ganze Sache war ohne ihn be¬
trieben, sein Credit in Stockholm vernichtet; er war das Bild eines überlisteten
und sehr stark compromittirten Diplomaten. Alles war ihm zunächst daran
gelegen, die Willensmeinung des Kaisers in Betreff des neuen Candidaten
kennen zu lernen. Am Tage nach seiner Unterredung mit Wrede begab er
sich zu dem Feste, welches der Fürst Schwarzenberg zur Feier der Vermählung
des Kaisers gab. Er befragte hier den Minister des Auswärtigen, Herzog
von Cadore, über die Angelegenheit; der Minister erwiderte, der Vorschlag
Mörners könne und dürfe nicht vom Kaiser gutgeheißen werden, Se. Majestät
würden die Sachen ihren Gang gehen lassen. Lagerbielke wurde dringender,
der Minister erklärte: „Ich kenne durchaus nicht die Willensmeinung des
Kaisers. Auf die Candidatur des Prinzen von Pontecorvo war er sehr wenig
vorbereitet und die Wahl desselben ist nur erst Project." Bei diesen Worten
ertönte der Ruf: „Feuer", Lagerbielke mußte es für diese Nacht ausgeben, die
Intentionen Napoleons zu erfahren.

Mörner kehrte inzwischen nach Schweden zurück. Wie er in Paris ver¬
sichert hatte, sein Candidat sei der Erwählte einer zahlreichen Partei in Schweden,
so versicherte er in Stockholm, Napoleon habe keinen andern Wunsch, als daß
der Marschall Bernadotte der Nachfolger Karls XIII. werde. Er schrieb zu¬
gleich nach Paris an Signeul, daß man auf die öffentliche Meinung in
Schweden „von außen" wirken müsse; er schrieb an Bernadotte, er möchte
alles aufbieten, um den Chef des schwedischen Cabinets, den Grafen Engeström,
Vertrauten Karls XIII., für sich zu gewinnen. Bald unterstützte ihn der
General Wrede. Man legte die Sache den Reichstagsabgeordneten in Oerebro
vor; man theilte sie den Offizieren der Armee in Stockholm und in den Pro¬
vinzen mit. Aber der König und seine Rathgeber hatten die Wahl des
Herzogs von Augustenburg noch nicht ausgegeben. Karl XIII. war sehr un¬
zufrieden mit der Agitation für Bernadotte, er warf den Generalen Wrede
und Adlerkreuz vor, nicht mehr ihm treu zu sein und verlangte von ihnen den
Eid, nicht für Bernadotte zu stimmen. Zugleich verbreitete man seitens der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/143>, abgerufen am 27.05.2024.