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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Helsingfors mit Stveaborg.

Wenn Sir Napier nicht im finnischen Busen herumschwimmt, lebt zwischen
der esthnischen und finnischen Küste ein ziemlich reger Verkehr. Man muß dies
natürlich verhältnißmäßig verstehen; denn Esthland zählt kaum mehr als
800 Einwohner aus einer Quadratmeile und Finnland ist auf der Tabelle
des Se, Petersburger Kalenders der Akademie, welche die Reichsprovinzen nach
ihrer Bevölkerungsdichtigkeit verzeichnet, gänzlich weggelassen. Trifft die An¬
gabe, daß das russische Finnland 1,430,000 Menschen auf 6400 Quadratmeilen
umsaßt, so kommen etwa 224 auf die Meile. Doch selbst diese Rechnung ist
blos theoretisch richtig. Denn in einem Lande, welches vom nördlichen Polar¬
kreis ungefähr in seiner Mitte durchzogen wird, versteht es sich von selbst, daß
das an den westlichen und südlichen Seeküsten zusammengedrängte Menschen¬
leben eine öde Wüste umsäumt. Auch dieser Saum ist zum allergrößten Theile
felsig, ohne Bodenbau, ohne Felder,'ohne die Möglichkeit eines Lebens aus
den Mitteln des Landes. Von Esthland, dem selbst armen, welches kaum ein
Fünftel seiner Oberfläche für alle seine Aecker, Heuschläge und Viehweiden be¬
nutzen kann, -- von Esthland muß Finnland beinahe jeden Bissen Brot kaufen.

Man stand sich trotzdem gegenseitig gut dabei, solange Finnland noch vom
russischen Zoll befreit war, obgleich damals die weißen Segel scheinbar seltener
zwischen beiden Ufern des Meerbusens wechselten, als heute. Denn oben in
Finnland hatten sie die Waaren des Auslandes ohne russischen Zollzuschlag
und ebenso die russischen Rohproducte, aus denen sie Segeltuch, Taue, Lein¬
wand u. s. w. arbeiten, ungerechnet die prächtigen Schiffbaustämme ihrer eig¬
nen Wälder, den Theer u. s. w. Damals zeigten , die Leuchtfeuer auf Nargen,
Wu-isf und Kökschär den tollkühnen finnischen Schiffern genau jene Breite der
esthnischen Küste, die sie am meisten zu meiden hatten, um wohlfeiles Getreide
gegen unversteuerte Waaren zu vertauschen. In die rauhen Buchten und Ein¬
schnitte östlich von Neval reichte dagegen der Späherblick der grauen "Strand¬
reiter", welche das schmuggeln verhindern sollen, selten herunter. Und wenn
nöthig, versenkte sie reichlicher Branntwein in Schlummer oder es blendete
die Freude über kaiserliche Silberruöel ihren Blick. Seit 1850 ist alles anders.


Gre"zi>oder. I. 26
Helsingfors mit Stveaborg.

Wenn Sir Napier nicht im finnischen Busen herumschwimmt, lebt zwischen
der esthnischen und finnischen Küste ein ziemlich reger Verkehr. Man muß dies
natürlich verhältnißmäßig verstehen; denn Esthland zählt kaum mehr als
800 Einwohner aus einer Quadratmeile und Finnland ist auf der Tabelle
des Se, Petersburger Kalenders der Akademie, welche die Reichsprovinzen nach
ihrer Bevölkerungsdichtigkeit verzeichnet, gänzlich weggelassen. Trifft die An¬
gabe, daß das russische Finnland 1,430,000 Menschen auf 6400 Quadratmeilen
umsaßt, so kommen etwa 224 auf die Meile. Doch selbst diese Rechnung ist
blos theoretisch richtig. Denn in einem Lande, welches vom nördlichen Polar¬
kreis ungefähr in seiner Mitte durchzogen wird, versteht es sich von selbst, daß
das an den westlichen und südlichen Seeküsten zusammengedrängte Menschen¬
leben eine öde Wüste umsäumt. Auch dieser Saum ist zum allergrößten Theile
felsig, ohne Bodenbau, ohne Felder,'ohne die Möglichkeit eines Lebens aus
den Mitteln des Landes. Von Esthland, dem selbst armen, welches kaum ein
Fünftel seiner Oberfläche für alle seine Aecker, Heuschläge und Viehweiden be¬
nutzen kann, — von Esthland muß Finnland beinahe jeden Bissen Brot kaufen.

Man stand sich trotzdem gegenseitig gut dabei, solange Finnland noch vom
russischen Zoll befreit war, obgleich damals die weißen Segel scheinbar seltener
zwischen beiden Ufern des Meerbusens wechselten, als heute. Denn oben in
Finnland hatten sie die Waaren des Auslandes ohne russischen Zollzuschlag
und ebenso die russischen Rohproducte, aus denen sie Segeltuch, Taue, Lein¬
wand u. s. w. arbeiten, ungerechnet die prächtigen Schiffbaustämme ihrer eig¬
nen Wälder, den Theer u. s. w. Damals zeigten , die Leuchtfeuer auf Nargen,
Wu-isf und Kökschär den tollkühnen finnischen Schiffern genau jene Breite der
esthnischen Küste, die sie am meisten zu meiden hatten, um wohlfeiles Getreide
gegen unversteuerte Waaren zu vertauschen. In die rauhen Buchten und Ein¬
schnitte östlich von Neval reichte dagegen der Späherblick der grauen „Strand¬
reiter", welche das schmuggeln verhindern sollen, selten herunter. Und wenn
nöthig, versenkte sie reichlicher Branntwein in Schlummer oder es blendete
die Freude über kaiserliche Silberruöel ihren Blick. Seit 1850 ist alles anders.


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[0209] Helsingfors mit Stveaborg. Wenn Sir Napier nicht im finnischen Busen herumschwimmt, lebt zwischen der esthnischen und finnischen Küste ein ziemlich reger Verkehr. Man muß dies natürlich verhältnißmäßig verstehen; denn Esthland zählt kaum mehr als 800 Einwohner aus einer Quadratmeile und Finnland ist auf der Tabelle des Se, Petersburger Kalenders der Akademie, welche die Reichsprovinzen nach ihrer Bevölkerungsdichtigkeit verzeichnet, gänzlich weggelassen. Trifft die An¬ gabe, daß das russische Finnland 1,430,000 Menschen auf 6400 Quadratmeilen umsaßt, so kommen etwa 224 auf die Meile. Doch selbst diese Rechnung ist blos theoretisch richtig. Denn in einem Lande, welches vom nördlichen Polar¬ kreis ungefähr in seiner Mitte durchzogen wird, versteht es sich von selbst, daß das an den westlichen und südlichen Seeküsten zusammengedrängte Menschen¬ leben eine öde Wüste umsäumt. Auch dieser Saum ist zum allergrößten Theile felsig, ohne Bodenbau, ohne Felder,'ohne die Möglichkeit eines Lebens aus den Mitteln des Landes. Von Esthland, dem selbst armen, welches kaum ein Fünftel seiner Oberfläche für alle seine Aecker, Heuschläge und Viehweiden be¬ nutzen kann, — von Esthland muß Finnland beinahe jeden Bissen Brot kaufen. Man stand sich trotzdem gegenseitig gut dabei, solange Finnland noch vom russischen Zoll befreit war, obgleich damals die weißen Segel scheinbar seltener zwischen beiden Ufern des Meerbusens wechselten, als heute. Denn oben in Finnland hatten sie die Waaren des Auslandes ohne russischen Zollzuschlag und ebenso die russischen Rohproducte, aus denen sie Segeltuch, Taue, Lein¬ wand u. s. w. arbeiten, ungerechnet die prächtigen Schiffbaustämme ihrer eig¬ nen Wälder, den Theer u. s. w. Damals zeigten , die Leuchtfeuer auf Nargen, Wu-isf und Kökschär den tollkühnen finnischen Schiffern genau jene Breite der esthnischen Küste, die sie am meisten zu meiden hatten, um wohlfeiles Getreide gegen unversteuerte Waaren zu vertauschen. In die rauhen Buchten und Ein¬ schnitte östlich von Neval reichte dagegen der Späherblick der grauen „Strand¬ reiter", welche das schmuggeln verhindern sollen, selten herunter. Und wenn nöthig, versenkte sie reichlicher Branntwein in Schlummer oder es blendete die Freude über kaiserliche Silberruöel ihren Blick. Seit 1850 ist alles anders. Gre»zi>oder. I. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/209>, abgerufen am 17.06.2024.