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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Auch Finnland gehört seitdem ins russische Zollbereich. Seitdem ist das Brot
und Leben theurer, der Verkehr mit Esthland weniger nutzbringend. Seitdem
ist auch ein großer Theil der waghalsigen Gesellen, welche früher den nächt¬
lichen Austausch zwischen beiden Ländern besorgten, in die Mannschaft der
unfindbaren Ostseeflotte Rußlands eingezwungen. Nun lohnts die Nachtfahrten
nicht mehr und russische Lobsänger können behaupten, der vermehrte Ver¬
kehr zwischen Finn- und Esthland sei ein Beweis dafür, wie sehr sich beide
Lander durch die gemeinsamen Zollfesseln gehoben. Daß ihre Haupthandels¬
plätze grade in den Artikeln des Wechselverkehrs seit dieser Zeit auffallend ge¬
sunken, gilt als Gerede des unpatriotischen Egoismus. Rußland hat Mari-
niers und ein paar tausend Rubel an Zollgefällen gewonnen -- das andere
ist gleichgiltig.

Seit die Seebadanstalt in Neval zur Petersburger Mode geworden, hat
man von dort aus einen regelmäßigen Dampfbootcourö nach Helsingfors ein¬
gerichtet. Und damit ist der Personenverkehr vollends von den schmalen fin¬
nischen Segelschiffchen gewichen, welche so geschäftig über den Meerbusen hin¬
flattern, aber dazu freilich, abhängig von Wind und Wetter, meistens viel
länger als sechs Stunden brauchen. Wie jedoch Wind und Wetter grade in
dieser Enge Hausen, werden die englisch-französischen Kreuzer bezeugen. -- Die
Seefahrt ist kaum interessant, für eine bloße Spazierfahrt zu lang, als Reise
zu kurz. Das esthnische User bietet im Rückblick dem Auge kaum einen Ruhe¬
punkt, außer dem Dömberge in Neval, welcher sehr bald hinter der eintönigen
Bewaldung der den Hafen umkränzenden Inseln versinkt. Dann kommt eine
Strecke Wasser und Himmel. Nirgends das tiefe Dunkelgrün der Nordsee,
sondern ein mehr olivenfarbiger Ton der ziemlich klaren Fluten breitet sich bei
ruhigem Wetter wie ein Wiesengrund um das Schiff und trägt eine Himmels-
wölbung, welche auch in ihrer größten Heiterkeit selten anders als weißlich blau
erscheint. Dann liegt eine drückende Hitze über dem dampfenden Schiff, welches
selbst bei tiefer Windstille in seinem Gange den Kampf mit verschiedenen hier
gegeneinanderstoßenden Strömungen fühlbar macht. Solche schöne Tage sind
aber selten, eine so ruhige Fahrt auf diesem Cours noch seltener, gewöhnlich
dagegen ein trübumnebeltes Wetter mit kurzen, scharfen Windstößen und spitzen,
steilen Wellen. Auch wenn man nicht an Seekrankheit leidet, begrüßt man
freudig den aufsteigenden Saum des finnischen Landes.

Ein undeutliches Glitzern und Flattern erkennt der Nahende zuerst, bevor
er einzelnes an der nackten Küste unterscheidet, welche nur durch einen feinen
Duftstreifen verräth, daß Gott hier oben und tiefer landeinwärts noch weite
Wälder wachsen läßt. Dies Blinken, Glitzern und Flattern leuchtet auch nicht
auf dem Festlande selbst, sondern auf dem von unzähligen Möven besetzten
Klippensaume, vor seinem Beginn den unregelmäßig hingestreutem Ausläufern


Auch Finnland gehört seitdem ins russische Zollbereich. Seitdem ist das Brot
und Leben theurer, der Verkehr mit Esthland weniger nutzbringend. Seitdem
ist auch ein großer Theil der waghalsigen Gesellen, welche früher den nächt¬
lichen Austausch zwischen beiden Ländern besorgten, in die Mannschaft der
unfindbaren Ostseeflotte Rußlands eingezwungen. Nun lohnts die Nachtfahrten
nicht mehr und russische Lobsänger können behaupten, der vermehrte Ver¬
kehr zwischen Finn- und Esthland sei ein Beweis dafür, wie sehr sich beide
Lander durch die gemeinsamen Zollfesseln gehoben. Daß ihre Haupthandels¬
plätze grade in den Artikeln des Wechselverkehrs seit dieser Zeit auffallend ge¬
sunken, gilt als Gerede des unpatriotischen Egoismus. Rußland hat Mari-
niers und ein paar tausend Rubel an Zollgefällen gewonnen — das andere
ist gleichgiltig.

Seit die Seebadanstalt in Neval zur Petersburger Mode geworden, hat
man von dort aus einen regelmäßigen Dampfbootcourö nach Helsingfors ein¬
gerichtet. Und damit ist der Personenverkehr vollends von den schmalen fin¬
nischen Segelschiffchen gewichen, welche so geschäftig über den Meerbusen hin¬
flattern, aber dazu freilich, abhängig von Wind und Wetter, meistens viel
länger als sechs Stunden brauchen. Wie jedoch Wind und Wetter grade in
dieser Enge Hausen, werden die englisch-französischen Kreuzer bezeugen. — Die
Seefahrt ist kaum interessant, für eine bloße Spazierfahrt zu lang, als Reise
zu kurz. Das esthnische User bietet im Rückblick dem Auge kaum einen Ruhe¬
punkt, außer dem Dömberge in Neval, welcher sehr bald hinter der eintönigen
Bewaldung der den Hafen umkränzenden Inseln versinkt. Dann kommt eine
Strecke Wasser und Himmel. Nirgends das tiefe Dunkelgrün der Nordsee,
sondern ein mehr olivenfarbiger Ton der ziemlich klaren Fluten breitet sich bei
ruhigem Wetter wie ein Wiesengrund um das Schiff und trägt eine Himmels-
wölbung, welche auch in ihrer größten Heiterkeit selten anders als weißlich blau
erscheint. Dann liegt eine drückende Hitze über dem dampfenden Schiff, welches
selbst bei tiefer Windstille in seinem Gange den Kampf mit verschiedenen hier
gegeneinanderstoßenden Strömungen fühlbar macht. Solche schöne Tage sind
aber selten, eine so ruhige Fahrt auf diesem Cours noch seltener, gewöhnlich
dagegen ein trübumnebeltes Wetter mit kurzen, scharfen Windstößen und spitzen,
steilen Wellen. Auch wenn man nicht an Seekrankheit leidet, begrüßt man
freudig den aufsteigenden Saum des finnischen Landes.

Ein undeutliches Glitzern und Flattern erkennt der Nahende zuerst, bevor
er einzelnes an der nackten Küste unterscheidet, welche nur durch einen feinen
Duftstreifen verräth, daß Gott hier oben und tiefer landeinwärts noch weite
Wälder wachsen läßt. Dies Blinken, Glitzern und Flattern leuchtet auch nicht
auf dem Festlande selbst, sondern auf dem von unzähligen Möven besetzten
Klippensaume, vor seinem Beginn den unregelmäßig hingestreutem Ausläufern


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[0210] Auch Finnland gehört seitdem ins russische Zollbereich. Seitdem ist das Brot und Leben theurer, der Verkehr mit Esthland weniger nutzbringend. Seitdem ist auch ein großer Theil der waghalsigen Gesellen, welche früher den nächt¬ lichen Austausch zwischen beiden Ländern besorgten, in die Mannschaft der unfindbaren Ostseeflotte Rußlands eingezwungen. Nun lohnts die Nachtfahrten nicht mehr und russische Lobsänger können behaupten, der vermehrte Ver¬ kehr zwischen Finn- und Esthland sei ein Beweis dafür, wie sehr sich beide Lander durch die gemeinsamen Zollfesseln gehoben. Daß ihre Haupthandels¬ plätze grade in den Artikeln des Wechselverkehrs seit dieser Zeit auffallend ge¬ sunken, gilt als Gerede des unpatriotischen Egoismus. Rußland hat Mari- niers und ein paar tausend Rubel an Zollgefällen gewonnen — das andere ist gleichgiltig. Seit die Seebadanstalt in Neval zur Petersburger Mode geworden, hat man von dort aus einen regelmäßigen Dampfbootcourö nach Helsingfors ein¬ gerichtet. Und damit ist der Personenverkehr vollends von den schmalen fin¬ nischen Segelschiffchen gewichen, welche so geschäftig über den Meerbusen hin¬ flattern, aber dazu freilich, abhängig von Wind und Wetter, meistens viel länger als sechs Stunden brauchen. Wie jedoch Wind und Wetter grade in dieser Enge Hausen, werden die englisch-französischen Kreuzer bezeugen. — Die Seefahrt ist kaum interessant, für eine bloße Spazierfahrt zu lang, als Reise zu kurz. Das esthnische User bietet im Rückblick dem Auge kaum einen Ruhe¬ punkt, außer dem Dömberge in Neval, welcher sehr bald hinter der eintönigen Bewaldung der den Hafen umkränzenden Inseln versinkt. Dann kommt eine Strecke Wasser und Himmel. Nirgends das tiefe Dunkelgrün der Nordsee, sondern ein mehr olivenfarbiger Ton der ziemlich klaren Fluten breitet sich bei ruhigem Wetter wie ein Wiesengrund um das Schiff und trägt eine Himmels- wölbung, welche auch in ihrer größten Heiterkeit selten anders als weißlich blau erscheint. Dann liegt eine drückende Hitze über dem dampfenden Schiff, welches selbst bei tiefer Windstille in seinem Gange den Kampf mit verschiedenen hier gegeneinanderstoßenden Strömungen fühlbar macht. Solche schöne Tage sind aber selten, eine so ruhige Fahrt auf diesem Cours noch seltener, gewöhnlich dagegen ein trübumnebeltes Wetter mit kurzen, scharfen Windstößen und spitzen, steilen Wellen. Auch wenn man nicht an Seekrankheit leidet, begrüßt man freudig den aufsteigenden Saum des finnischen Landes. Ein undeutliches Glitzern und Flattern erkennt der Nahende zuerst, bevor er einzelnes an der nackten Küste unterscheidet, welche nur durch einen feinen Duftstreifen verräth, daß Gott hier oben und tiefer landeinwärts noch weite Wälder wachsen läßt. Dies Blinken, Glitzern und Flattern leuchtet auch nicht auf dem Festlande selbst, sondern auf dem von unzähligen Möven besetzten Klippensaume, vor seinem Beginn den unregelmäßig hingestreutem Ausläufern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/210>, abgerufen am 17.06.2024.