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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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fere Wasserfläche liegt ruhig; Tonnen, Barken, Flaggen schaukeln sich allent¬
halben über verdeckten Nissen und Untiefen. Allerdings schwimmen auch viel
Boote dazwischen, dort auch ein Miniatursteamer; aber die Menschen sind überall
unisormirt bis zum letzten und ihre Ziele sind kasernenhaste Bauten, offenbar
blos für den Kriegszweck berechnet. Dazu fortwährendes Trommeln, Blasen,
Pfeifen und Schießen nah und fern, der freie, frische Lärm unmilitärischer
Hafenplätze fehlt, höchstens gellt dazwischen der langgezogene Ablösungsschrei
einer Schildwache oder das Krächzen der Seemöven, welche dem Dampfschiff
scharenweise folgen.

Man fragt sich lange, zu welchem Zwecke dieser kriegerische Apparat? Konn¬
ten die bewaffneten Schiffskolosse nicht einen Hafen finden, in welchem sie zu¬
gleich eine Stadt, ein wirkliches Bürgerleben schützten? Denn das des arm¬
seligen Städtchens Sweaborg erscheint so großer Anstrengungen wahrlich nicht
werth. Und Helsingfors erblickt man erst, wenn die Schaufelräder ihre Um¬
drehungen schon langsamer machen, um am'Hasenkai stillzustehen.

Es ist wahr, Helsingfors bietet eine prächtige Ueberraschung. Man hatte
sicherlich nicht erwartet, in diesen Riffen ein Petersburg wiederzufinden. Diesen
Eindruck macht aber sein Anblick. Amphitheatralisch heben sich vom Hafensaum
aus weitgedehnte Bauten jenes imponirenden Petersburger Stiles, der zwischen
modern italienischer Palastarchitektur und Berliner Kasernengeschmack eine blen¬
dende Mittelhaltung herausgefunden hat. Man darf dabei nicht an die Prüfung
der einzelnen Häuser, vollends nicht an die kritische Betrachtung ihrer einzelnen
Verhältnisse gehen. Es ist nur, wie im ganzen Austreten alles dessen, was Pe¬
tersburger Einfluß schafft, aus die Wirkung mit Massen und Decorationen
abgesehen. Jene wunderbare Gleichmäßigkeit, welche die Fronten aller russischen
Staatsschöpfungen charakterisirt, jene in der That staunenswerte Uniformirung
des Ganzen, welche ihr Inneres so trefflich zu umhüllen weiß -- ihr findet sie
auch hier ausgeprägt und ihr begreift jetzt, warum auf den Felsen von Swea¬
borg der achtköpfige Cerberus seine feuerathmenden Nachen öffnet. Er bewacht
eine herrliche Perle der Zarenkrone mit unermeßlichen Reichthümern, sicherlich
blos aus Vorsicht in diesen öden Klippen verborgen. Ihr erwartet natürlich
hinter diesen prächtigen Ballustraden auch das Leben und Treiben einer Stadt
wie Petersburg; dort der mächtige griechische Dom ist sicherlich der Sammelpunkt
unzählbarer Tausende von Rechtgläubigen, da die stolze Sternwarte zeugt
sicherlich für das reiche Geistesleben einer blühenden Hochschule und die
triumphirende Flagge auf dem Palaste des Generalgonverncurs verkündet sicher¬
lich das Walten einer durch Gesittung und Segen im Herzen der Bevölkerung
festgewurzelten Herrschaftsmacht.....

Wieviel Einwohner hat dies Neupeteröburg unter dem sechzigsten Grade
n. Br. und dem zweiundvierzigsten söll. L. zusammengehäuft? Selbst Herr Un-


fere Wasserfläche liegt ruhig; Tonnen, Barken, Flaggen schaukeln sich allent¬
halben über verdeckten Nissen und Untiefen. Allerdings schwimmen auch viel
Boote dazwischen, dort auch ein Miniatursteamer; aber die Menschen sind überall
unisormirt bis zum letzten und ihre Ziele sind kasernenhaste Bauten, offenbar
blos für den Kriegszweck berechnet. Dazu fortwährendes Trommeln, Blasen,
Pfeifen und Schießen nah und fern, der freie, frische Lärm unmilitärischer
Hafenplätze fehlt, höchstens gellt dazwischen der langgezogene Ablösungsschrei
einer Schildwache oder das Krächzen der Seemöven, welche dem Dampfschiff
scharenweise folgen.

Man fragt sich lange, zu welchem Zwecke dieser kriegerische Apparat? Konn¬
ten die bewaffneten Schiffskolosse nicht einen Hafen finden, in welchem sie zu¬
gleich eine Stadt, ein wirkliches Bürgerleben schützten? Denn das des arm¬
seligen Städtchens Sweaborg erscheint so großer Anstrengungen wahrlich nicht
werth. Und Helsingfors erblickt man erst, wenn die Schaufelräder ihre Um¬
drehungen schon langsamer machen, um am'Hasenkai stillzustehen.

Es ist wahr, Helsingfors bietet eine prächtige Ueberraschung. Man hatte
sicherlich nicht erwartet, in diesen Riffen ein Petersburg wiederzufinden. Diesen
Eindruck macht aber sein Anblick. Amphitheatralisch heben sich vom Hafensaum
aus weitgedehnte Bauten jenes imponirenden Petersburger Stiles, der zwischen
modern italienischer Palastarchitektur und Berliner Kasernengeschmack eine blen¬
dende Mittelhaltung herausgefunden hat. Man darf dabei nicht an die Prüfung
der einzelnen Häuser, vollends nicht an die kritische Betrachtung ihrer einzelnen
Verhältnisse gehen. Es ist nur, wie im ganzen Austreten alles dessen, was Pe¬
tersburger Einfluß schafft, aus die Wirkung mit Massen und Decorationen
abgesehen. Jene wunderbare Gleichmäßigkeit, welche die Fronten aller russischen
Staatsschöpfungen charakterisirt, jene in der That staunenswerte Uniformirung
des Ganzen, welche ihr Inneres so trefflich zu umhüllen weiß — ihr findet sie
auch hier ausgeprägt und ihr begreift jetzt, warum auf den Felsen von Swea¬
borg der achtköpfige Cerberus seine feuerathmenden Nachen öffnet. Er bewacht
eine herrliche Perle der Zarenkrone mit unermeßlichen Reichthümern, sicherlich
blos aus Vorsicht in diesen öden Klippen verborgen. Ihr erwartet natürlich
hinter diesen prächtigen Ballustraden auch das Leben und Treiben einer Stadt
wie Petersburg; dort der mächtige griechische Dom ist sicherlich der Sammelpunkt
unzählbarer Tausende von Rechtgläubigen, da die stolze Sternwarte zeugt
sicherlich für das reiche Geistesleben einer blühenden Hochschule und die
triumphirende Flagge auf dem Palaste des Generalgonverncurs verkündet sicher¬
lich das Walten einer durch Gesittung und Segen im Herzen der Bevölkerung
festgewurzelten Herrschaftsmacht.....

Wieviel Einwohner hat dies Neupeteröburg unter dem sechzigsten Grade
n. Br. und dem zweiundvierzigsten söll. L. zusammengehäuft? Selbst Herr Un-


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[0212] fere Wasserfläche liegt ruhig; Tonnen, Barken, Flaggen schaukeln sich allent¬ halben über verdeckten Nissen und Untiefen. Allerdings schwimmen auch viel Boote dazwischen, dort auch ein Miniatursteamer; aber die Menschen sind überall unisormirt bis zum letzten und ihre Ziele sind kasernenhaste Bauten, offenbar blos für den Kriegszweck berechnet. Dazu fortwährendes Trommeln, Blasen, Pfeifen und Schießen nah und fern, der freie, frische Lärm unmilitärischer Hafenplätze fehlt, höchstens gellt dazwischen der langgezogene Ablösungsschrei einer Schildwache oder das Krächzen der Seemöven, welche dem Dampfschiff scharenweise folgen. Man fragt sich lange, zu welchem Zwecke dieser kriegerische Apparat? Konn¬ ten die bewaffneten Schiffskolosse nicht einen Hafen finden, in welchem sie zu¬ gleich eine Stadt, ein wirkliches Bürgerleben schützten? Denn das des arm¬ seligen Städtchens Sweaborg erscheint so großer Anstrengungen wahrlich nicht werth. Und Helsingfors erblickt man erst, wenn die Schaufelräder ihre Um¬ drehungen schon langsamer machen, um am'Hasenkai stillzustehen. Es ist wahr, Helsingfors bietet eine prächtige Ueberraschung. Man hatte sicherlich nicht erwartet, in diesen Riffen ein Petersburg wiederzufinden. Diesen Eindruck macht aber sein Anblick. Amphitheatralisch heben sich vom Hafensaum aus weitgedehnte Bauten jenes imponirenden Petersburger Stiles, der zwischen modern italienischer Palastarchitektur und Berliner Kasernengeschmack eine blen¬ dende Mittelhaltung herausgefunden hat. Man darf dabei nicht an die Prüfung der einzelnen Häuser, vollends nicht an die kritische Betrachtung ihrer einzelnen Verhältnisse gehen. Es ist nur, wie im ganzen Austreten alles dessen, was Pe¬ tersburger Einfluß schafft, aus die Wirkung mit Massen und Decorationen abgesehen. Jene wunderbare Gleichmäßigkeit, welche die Fronten aller russischen Staatsschöpfungen charakterisirt, jene in der That staunenswerte Uniformirung des Ganzen, welche ihr Inneres so trefflich zu umhüllen weiß — ihr findet sie auch hier ausgeprägt und ihr begreift jetzt, warum auf den Felsen von Swea¬ borg der achtköpfige Cerberus seine feuerathmenden Nachen öffnet. Er bewacht eine herrliche Perle der Zarenkrone mit unermeßlichen Reichthümern, sicherlich blos aus Vorsicht in diesen öden Klippen verborgen. Ihr erwartet natürlich hinter diesen prächtigen Ballustraden auch das Leben und Treiben einer Stadt wie Petersburg; dort der mächtige griechische Dom ist sicherlich der Sammelpunkt unzählbarer Tausende von Rechtgläubigen, da die stolze Sternwarte zeugt sicherlich für das reiche Geistesleben einer blühenden Hochschule und die triumphirende Flagge auf dem Palaste des Generalgonverncurs verkündet sicher¬ lich das Walten einer durch Gesittung und Segen im Herzen der Bevölkerung festgewurzelten Herrschaftsmacht..... Wieviel Einwohner hat dies Neupeteröburg unter dem sechzigsten Grade n. Br. und dem zweiundvierzigsten söll. L. zusammengehäuft? Selbst Herr Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/212>, abgerufen am 17.06.2024.