Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

er fast souveräne Macht. Und als 1809 Finnland mit Nußland vereinigt ward,
erging jenes Zarcnmanifest, welches dem Lande die Erhaltung seiner lutherischen
Konfession, seiner Institutionen und Gesetze, Rechte und Vorrechte für ewige
Zeiten zusicherte. Aber -184 6 befahl der Zar -- und es eristirte fernerhin nur
noch ein "kaiserlicher finnischer Senat." Am 24. December 182S wiederholte
trotzdem Nikolaus des Bruders Kaiserschwur. Und wenige Jahre später setzte
er einen Generalgouvemeur russischen Stammes über den Senat. Aus der
alten Landeshauptstadt hinweg mußte dieser nach der Festung Helsingfors; ihm
nach sendete man die finnische Hochschule, welche seit zwei Jahrhunderten in
Abo als Pflanzstätte hoher Bildung und freier Wissenschaft für den ganzen
skandinavischen Norden geblüht hatte und nun dieselben Einschränkungen in der
Zahl der Facultäten, der Lehr- und Lernfreiheiten erfuhr, welche die andern
Universitäten Rußlands charakterisiren. Fünfzig uniformirte Professoren unter
dem Obercommando eines Generallieutenants der Infanterie, Namens Ro-
kassewöki, bilden den Generalstab, welcher ein blauuniformirtes Studentenregiment
von !>00 Mann in fünf Hörsälen und einer Klinik einerercirt, um halbjährlich in
der Aula ein Parademanöver zu erecutiren und nach einer gewissen Reihe von
Semestern ins große Triebrad der Staatsmaschine zu liefern. Cain, Coloniuö,
Menander, Tergström, Schulter, Portano sind aus der Aboschen Universität
hervorgegangen -- welchen Nachwuchs hat nun Helsingfors seit seinem zwan¬
zigjährigen Bestehen mit seinen 40,000 Bibliothekbänden, mit seinen Physika¬
lischen, mineralogischen Münz- und Kunstcabineten dem harrenden Europa ge¬
geben?

Dafür füllt sich die prachtvolle Nikolaikirche alljährlich reicher mit russischen
Betern des altprotestantischen Landes, und ihre Glocken übertönen das schwache
Geläute der lutherischen Bethäuser .....

Helsingfors ist übrigens so recht die Stadt, um Rußland in Finnland,
einzuimpfen -- einzuimpfen mit lauter Wohlthaten. So alt sie ist, sie hat
keine historische Erinnerung, die über etwa hundert Jahre zurückgeht. Ja,
selbst ihre jetzige Lage ist kaum älter als zwei Jahrhunderte. Gustav Wasa
hatte sie fast eine Meile nördlicher am - Wasserfalle des Wandaflusscs an¬
gelegt; aber ihr Hafen wurde seicht und Peter Brahe hieß die Bürger (1642)
herunterwandern unmittelbar an den so wohlgeschirmten Fjord. Von jener
alten Stadt blieb heute nur ein verödetes Fischerdörfchen, das selbst vom
Namen Helsingfors blos die unbestimmte Bezeichnung Gammalstad, d. i. Alt¬
stadt behielt; das neue Helsingfors schien dagegen in der ersten Zeit seines
Bestehens dem Hungertode kaum entgehen zu sollen. Langsam erholte es sich,
da verwüstete es (1728) eine Feuersbrunst bis auf wenige Häuser. Dann
stürzte (1742) die erste russische Eroberung verheerend darüber hinweg. Während
Sweaborg zur Abwehr einer Wiederholung gleichen Unheils seinen Festungs-


er fast souveräne Macht. Und als 1809 Finnland mit Nußland vereinigt ward,
erging jenes Zarcnmanifest, welches dem Lande die Erhaltung seiner lutherischen
Konfession, seiner Institutionen und Gesetze, Rechte und Vorrechte für ewige
Zeiten zusicherte. Aber -184 6 befahl der Zar — und es eristirte fernerhin nur
noch ein „kaiserlicher finnischer Senat." Am 24. December 182S wiederholte
trotzdem Nikolaus des Bruders Kaiserschwur. Und wenige Jahre später setzte
er einen Generalgouvemeur russischen Stammes über den Senat. Aus der
alten Landeshauptstadt hinweg mußte dieser nach der Festung Helsingfors; ihm
nach sendete man die finnische Hochschule, welche seit zwei Jahrhunderten in
Abo als Pflanzstätte hoher Bildung und freier Wissenschaft für den ganzen
skandinavischen Norden geblüht hatte und nun dieselben Einschränkungen in der
Zahl der Facultäten, der Lehr- und Lernfreiheiten erfuhr, welche die andern
Universitäten Rußlands charakterisiren. Fünfzig uniformirte Professoren unter
dem Obercommando eines Generallieutenants der Infanterie, Namens Ro-
kassewöki, bilden den Generalstab, welcher ein blauuniformirtes Studentenregiment
von !>00 Mann in fünf Hörsälen und einer Klinik einerercirt, um halbjährlich in
der Aula ein Parademanöver zu erecutiren und nach einer gewissen Reihe von
Semestern ins große Triebrad der Staatsmaschine zu liefern. Cain, Coloniuö,
Menander, Tergström, Schulter, Portano sind aus der Aboschen Universität
hervorgegangen — welchen Nachwuchs hat nun Helsingfors seit seinem zwan¬
zigjährigen Bestehen mit seinen 40,000 Bibliothekbänden, mit seinen Physika¬
lischen, mineralogischen Münz- und Kunstcabineten dem harrenden Europa ge¬
geben?

Dafür füllt sich die prachtvolle Nikolaikirche alljährlich reicher mit russischen
Betern des altprotestantischen Landes, und ihre Glocken übertönen das schwache
Geläute der lutherischen Bethäuser .....

Helsingfors ist übrigens so recht die Stadt, um Rußland in Finnland,
einzuimpfen — einzuimpfen mit lauter Wohlthaten. So alt sie ist, sie hat
keine historische Erinnerung, die über etwa hundert Jahre zurückgeht. Ja,
selbst ihre jetzige Lage ist kaum älter als zwei Jahrhunderte. Gustav Wasa
hatte sie fast eine Meile nördlicher am - Wasserfalle des Wandaflusscs an¬
gelegt; aber ihr Hafen wurde seicht und Peter Brahe hieß die Bürger (1642)
herunterwandern unmittelbar an den so wohlgeschirmten Fjord. Von jener
alten Stadt blieb heute nur ein verödetes Fischerdörfchen, das selbst vom
Namen Helsingfors blos die unbestimmte Bezeichnung Gammalstad, d. i. Alt¬
stadt behielt; das neue Helsingfors schien dagegen in der ersten Zeit seines
Bestehens dem Hungertode kaum entgehen zu sollen. Langsam erholte es sich,
da verwüstete es (1728) eine Feuersbrunst bis auf wenige Häuser. Dann
stürzte (1742) die erste russische Eroberung verheerend darüber hinweg. Während
Sweaborg zur Abwehr einer Wiederholung gleichen Unheils seinen Festungs-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99066"/>
          <p xml:id="ID_725" prev="#ID_724"> er fast souveräne Macht. Und als 1809 Finnland mit Nußland vereinigt ward,<lb/>
erging jenes Zarcnmanifest, welches dem Lande die Erhaltung seiner lutherischen<lb/>
Konfession, seiner Institutionen und Gesetze, Rechte und Vorrechte für ewige<lb/>
Zeiten zusicherte. Aber -184 6 befahl der Zar &#x2014; und es eristirte fernerhin nur<lb/>
noch ein &#x201E;kaiserlicher finnischer Senat." Am 24. December 182S wiederholte<lb/>
trotzdem Nikolaus des Bruders Kaiserschwur. Und wenige Jahre später setzte<lb/>
er einen Generalgouvemeur russischen Stammes über den Senat. Aus der<lb/>
alten Landeshauptstadt hinweg mußte dieser nach der Festung Helsingfors; ihm<lb/>
nach sendete man die finnische Hochschule, welche seit zwei Jahrhunderten in<lb/>
Abo als Pflanzstätte hoher Bildung und freier Wissenschaft für den ganzen<lb/>
skandinavischen Norden geblüht hatte und nun dieselben Einschränkungen in der<lb/>
Zahl der Facultäten, der Lehr- und Lernfreiheiten erfuhr, welche die andern<lb/>
Universitäten Rußlands charakterisiren. Fünfzig uniformirte Professoren unter<lb/>
dem Obercommando eines Generallieutenants der Infanterie, Namens Ro-<lb/>
kassewöki, bilden den Generalstab, welcher ein blauuniformirtes Studentenregiment<lb/>
von !&gt;00 Mann in fünf Hörsälen und einer Klinik einerercirt, um halbjährlich in<lb/>
der Aula ein Parademanöver zu erecutiren und nach einer gewissen Reihe von<lb/>
Semestern ins große Triebrad der Staatsmaschine zu liefern. Cain, Coloniuö,<lb/>
Menander, Tergström, Schulter, Portano sind aus der Aboschen Universität<lb/>
hervorgegangen &#x2014; welchen Nachwuchs hat nun Helsingfors seit seinem zwan¬<lb/>
zigjährigen Bestehen mit seinen 40,000 Bibliothekbänden, mit seinen Physika¬<lb/>
lischen, mineralogischen Münz- und Kunstcabineten dem harrenden Europa ge¬<lb/>
geben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_726"> Dafür füllt sich die prachtvolle Nikolaikirche alljährlich reicher mit russischen<lb/>
Betern des altprotestantischen Landes, und ihre Glocken übertönen das schwache<lb/>
Geläute der lutherischen Bethäuser .....</p><lb/>
          <p xml:id="ID_727" next="#ID_728"> Helsingfors ist übrigens so recht die Stadt, um Rußland in Finnland,<lb/>
einzuimpfen &#x2014; einzuimpfen mit lauter Wohlthaten. So alt sie ist, sie hat<lb/>
keine historische Erinnerung, die über etwa hundert Jahre zurückgeht. Ja,<lb/>
selbst ihre jetzige Lage ist kaum älter als zwei Jahrhunderte. Gustav Wasa<lb/>
hatte sie fast eine Meile nördlicher am - Wasserfalle des Wandaflusscs an¬<lb/>
gelegt; aber ihr Hafen wurde seicht und Peter Brahe hieß die Bürger (1642)<lb/>
herunterwandern unmittelbar an den so wohlgeschirmten Fjord. Von jener<lb/>
alten Stadt blieb heute nur ein verödetes Fischerdörfchen, das selbst vom<lb/>
Namen Helsingfors blos die unbestimmte Bezeichnung Gammalstad, d. i. Alt¬<lb/>
stadt behielt; das neue Helsingfors schien dagegen in der ersten Zeit seines<lb/>
Bestehens dem Hungertode kaum entgehen zu sollen. Langsam erholte es sich,<lb/>
da verwüstete es (1728) eine Feuersbrunst bis auf wenige Häuser. Dann<lb/>
stürzte (1742) die erste russische Eroberung verheerend darüber hinweg. Während<lb/>
Sweaborg zur Abwehr einer Wiederholung gleichen Unheils seinen Festungs-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] er fast souveräne Macht. Und als 1809 Finnland mit Nußland vereinigt ward, erging jenes Zarcnmanifest, welches dem Lande die Erhaltung seiner lutherischen Konfession, seiner Institutionen und Gesetze, Rechte und Vorrechte für ewige Zeiten zusicherte. Aber -184 6 befahl der Zar — und es eristirte fernerhin nur noch ein „kaiserlicher finnischer Senat." Am 24. December 182S wiederholte trotzdem Nikolaus des Bruders Kaiserschwur. Und wenige Jahre später setzte er einen Generalgouvemeur russischen Stammes über den Senat. Aus der alten Landeshauptstadt hinweg mußte dieser nach der Festung Helsingfors; ihm nach sendete man die finnische Hochschule, welche seit zwei Jahrhunderten in Abo als Pflanzstätte hoher Bildung und freier Wissenschaft für den ganzen skandinavischen Norden geblüht hatte und nun dieselben Einschränkungen in der Zahl der Facultäten, der Lehr- und Lernfreiheiten erfuhr, welche die andern Universitäten Rußlands charakterisiren. Fünfzig uniformirte Professoren unter dem Obercommando eines Generallieutenants der Infanterie, Namens Ro- kassewöki, bilden den Generalstab, welcher ein blauuniformirtes Studentenregiment von !>00 Mann in fünf Hörsälen und einer Klinik einerercirt, um halbjährlich in der Aula ein Parademanöver zu erecutiren und nach einer gewissen Reihe von Semestern ins große Triebrad der Staatsmaschine zu liefern. Cain, Coloniuö, Menander, Tergström, Schulter, Portano sind aus der Aboschen Universität hervorgegangen — welchen Nachwuchs hat nun Helsingfors seit seinem zwan¬ zigjährigen Bestehen mit seinen 40,000 Bibliothekbänden, mit seinen Physika¬ lischen, mineralogischen Münz- und Kunstcabineten dem harrenden Europa ge¬ geben? Dafür füllt sich die prachtvolle Nikolaikirche alljährlich reicher mit russischen Betern des altprotestantischen Landes, und ihre Glocken übertönen das schwache Geläute der lutherischen Bethäuser ..... Helsingfors ist übrigens so recht die Stadt, um Rußland in Finnland, einzuimpfen — einzuimpfen mit lauter Wohlthaten. So alt sie ist, sie hat keine historische Erinnerung, die über etwa hundert Jahre zurückgeht. Ja, selbst ihre jetzige Lage ist kaum älter als zwei Jahrhunderte. Gustav Wasa hatte sie fast eine Meile nördlicher am - Wasserfalle des Wandaflusscs an¬ gelegt; aber ihr Hafen wurde seicht und Peter Brahe hieß die Bürger (1642) herunterwandern unmittelbar an den so wohlgeschirmten Fjord. Von jener alten Stadt blieb heute nur ein verödetes Fischerdörfchen, das selbst vom Namen Helsingfors blos die unbestimmte Bezeichnung Gammalstad, d. i. Alt¬ stadt behielt; das neue Helsingfors schien dagegen in der ersten Zeit seines Bestehens dem Hungertode kaum entgehen zu sollen. Langsam erholte es sich, da verwüstete es (1728) eine Feuersbrunst bis auf wenige Häuser. Dann stürzte (1742) die erste russische Eroberung verheerend darüber hinweg. Während Sweaborg zur Abwehr einer Wiederholung gleichen Unheils seinen Festungs-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/214>, abgerufen am 17.06.2024.