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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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"Glückliche Zeiten! O mein schwarzes Thal! O Corinna! O Bernardin
de Se. Pierre! O Jliade! O Millevoye! O Atala! O Weiden am Flusse! O
verronnene Jugend! O du mein alter Hund, der du nie die Stunde des Abend¬
mahls vergaßest und auf den entfernten Schall der Glocke durch schmerzliches
Gebelle des Bedauerns und der Genäschigkeit antwortetest!"

Georges Sand bedauerte die Großmutter, ihr schwarzes Thal, ihre reiche
Bibliothek. Die Büchersammlung ihrer Großmutter, welche sie noch auf ihrem
Schlosse von Nohaut besitzt, hat, im Vorbeigehe" gesagt, die bezeichnende
Eigenthümlichkeit, daß in ihr kein Roman fehlt, der bis zu jener Zeit von
Frauenhand geschrieben ist.

. Daß Georges Sand nicht alles lesen durste, beweist die rührende Schil¬
derung ihrer Abendbeichte, aber die Censur war keine puritanische, Corinna
und Atala konnten der guten Großmutter nicht gefährlich dünken.

Die Erzählung von Georges Sands schneller Bekehrung im Kloster des
AnglaiseS von ihrer übertriebenen Frömmigkeit hat nichts Unwahrscheinliches,
aber es wird doch kaum mehr als eine der vielen Fabeln sein, die ihre Bio¬
graphen zu erfinden sich erlaubten.

Sie verließ das Kloster blos, um ihrer geliebten Großmutter die Augen
zuzudrücken, kehrte nach deren Tode wieder dahin zurück, um davon als sechzehn¬
jähriges Mädchen zur Zeit ihrer Verheiratung an Herrn Franz Dupin für
immer Abschied zu nehmen.

Wie unglücklich diese Ehe gewesen, ist bekannt, ein berühmt gewordener
Proceß hat davon Zeugniß abgelegt. Seit Georges Sand ihre Scheidung
bewirkt hat, vertheidigt sie ihren Mann gegen die Angriffe ihrer Freunde. Sie
thut es aus Schonung für ihre Kinder oder in dem Gefühle des beleidigten
Stolzes auf Kosten anderer gerechtfertigt und bemitleidet zu sein. Ich will
mir keinen Vorwurf dieser von mir geachteten und geliebten Schriftstellerin
zuziehen und schweige daher über ihre Leidensjahre im Hause des Gatten, aber
die Bemerkung mag ich nicht unterdrücken, daß alle, die Georges Sand und ihr
Leben während jener Zeit näher kannten, einig in ihrem Urtheile über den
Charakter des Herrn Düdevant und sein Benehmen gegen seine junge Frau
sind. Madame Sand hatte sich keinen Vorwurf zu machen, als sie im Jahre
4 831 das Haus des Gatten mit ihren beiden Kindern verließ und sich nach
Paris begab.. Die Trennung geschah übrigens mit Einwilligung des Herrn
Düdevant und dieser zahlte der Frau, die ihm ein großes Vermögen zuge¬
bracht hatte, eine Pension von zwölfhundert Franken jährlich. Diese geringe
Summegenügte natürlich nicht zur Erhaltung einer Frau mit zwei Kindern,
obgleich sie eine armselige Mansardenwohnung auf dem Quai Se. Michel
bezog.

Als Madame Sand noch mit ihrem Manne lebte, machte sie die Be-


„Glückliche Zeiten! O mein schwarzes Thal! O Corinna! O Bernardin
de Se. Pierre! O Jliade! O Millevoye! O Atala! O Weiden am Flusse! O
verronnene Jugend! O du mein alter Hund, der du nie die Stunde des Abend¬
mahls vergaßest und auf den entfernten Schall der Glocke durch schmerzliches
Gebelle des Bedauerns und der Genäschigkeit antwortetest!"

Georges Sand bedauerte die Großmutter, ihr schwarzes Thal, ihre reiche
Bibliothek. Die Büchersammlung ihrer Großmutter, welche sie noch auf ihrem
Schlosse von Nohaut besitzt, hat, im Vorbeigehe» gesagt, die bezeichnende
Eigenthümlichkeit, daß in ihr kein Roman fehlt, der bis zu jener Zeit von
Frauenhand geschrieben ist.

. Daß Georges Sand nicht alles lesen durste, beweist die rührende Schil¬
derung ihrer Abendbeichte, aber die Censur war keine puritanische, Corinna
und Atala konnten der guten Großmutter nicht gefährlich dünken.

Die Erzählung von Georges Sands schneller Bekehrung im Kloster des
AnglaiseS von ihrer übertriebenen Frömmigkeit hat nichts Unwahrscheinliches,
aber es wird doch kaum mehr als eine der vielen Fabeln sein, die ihre Bio¬
graphen zu erfinden sich erlaubten.

Sie verließ das Kloster blos, um ihrer geliebten Großmutter die Augen
zuzudrücken, kehrte nach deren Tode wieder dahin zurück, um davon als sechzehn¬
jähriges Mädchen zur Zeit ihrer Verheiratung an Herrn Franz Dupin für
immer Abschied zu nehmen.

Wie unglücklich diese Ehe gewesen, ist bekannt, ein berühmt gewordener
Proceß hat davon Zeugniß abgelegt. Seit Georges Sand ihre Scheidung
bewirkt hat, vertheidigt sie ihren Mann gegen die Angriffe ihrer Freunde. Sie
thut es aus Schonung für ihre Kinder oder in dem Gefühle des beleidigten
Stolzes auf Kosten anderer gerechtfertigt und bemitleidet zu sein. Ich will
mir keinen Vorwurf dieser von mir geachteten und geliebten Schriftstellerin
zuziehen und schweige daher über ihre Leidensjahre im Hause des Gatten, aber
die Bemerkung mag ich nicht unterdrücken, daß alle, die Georges Sand und ihr
Leben während jener Zeit näher kannten, einig in ihrem Urtheile über den
Charakter des Herrn Düdevant und sein Benehmen gegen seine junge Frau
sind. Madame Sand hatte sich keinen Vorwurf zu machen, als sie im Jahre
4 831 das Haus des Gatten mit ihren beiden Kindern verließ und sich nach
Paris begab.. Die Trennung geschah übrigens mit Einwilligung des Herrn
Düdevant und dieser zahlte der Frau, die ihm ein großes Vermögen zuge¬
bracht hatte, eine Pension von zwölfhundert Franken jährlich. Diese geringe
Summegenügte natürlich nicht zur Erhaltung einer Frau mit zwei Kindern,
obgleich sie eine armselige Mansardenwohnung auf dem Quai Se. Michel
bezog.

Als Madame Sand noch mit ihrem Manne lebte, machte sie die Be-


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[0223] „Glückliche Zeiten! O mein schwarzes Thal! O Corinna! O Bernardin de Se. Pierre! O Jliade! O Millevoye! O Atala! O Weiden am Flusse! O verronnene Jugend! O du mein alter Hund, der du nie die Stunde des Abend¬ mahls vergaßest und auf den entfernten Schall der Glocke durch schmerzliches Gebelle des Bedauerns und der Genäschigkeit antwortetest!" Georges Sand bedauerte die Großmutter, ihr schwarzes Thal, ihre reiche Bibliothek. Die Büchersammlung ihrer Großmutter, welche sie noch auf ihrem Schlosse von Nohaut besitzt, hat, im Vorbeigehe» gesagt, die bezeichnende Eigenthümlichkeit, daß in ihr kein Roman fehlt, der bis zu jener Zeit von Frauenhand geschrieben ist. . Daß Georges Sand nicht alles lesen durste, beweist die rührende Schil¬ derung ihrer Abendbeichte, aber die Censur war keine puritanische, Corinna und Atala konnten der guten Großmutter nicht gefährlich dünken. Die Erzählung von Georges Sands schneller Bekehrung im Kloster des AnglaiseS von ihrer übertriebenen Frömmigkeit hat nichts Unwahrscheinliches, aber es wird doch kaum mehr als eine der vielen Fabeln sein, die ihre Bio¬ graphen zu erfinden sich erlaubten. Sie verließ das Kloster blos, um ihrer geliebten Großmutter die Augen zuzudrücken, kehrte nach deren Tode wieder dahin zurück, um davon als sechzehn¬ jähriges Mädchen zur Zeit ihrer Verheiratung an Herrn Franz Dupin für immer Abschied zu nehmen. Wie unglücklich diese Ehe gewesen, ist bekannt, ein berühmt gewordener Proceß hat davon Zeugniß abgelegt. Seit Georges Sand ihre Scheidung bewirkt hat, vertheidigt sie ihren Mann gegen die Angriffe ihrer Freunde. Sie thut es aus Schonung für ihre Kinder oder in dem Gefühle des beleidigten Stolzes auf Kosten anderer gerechtfertigt und bemitleidet zu sein. Ich will mir keinen Vorwurf dieser von mir geachteten und geliebten Schriftstellerin zuziehen und schweige daher über ihre Leidensjahre im Hause des Gatten, aber die Bemerkung mag ich nicht unterdrücken, daß alle, die Georges Sand und ihr Leben während jener Zeit näher kannten, einig in ihrem Urtheile über den Charakter des Herrn Düdevant und sein Benehmen gegen seine junge Frau sind. Madame Sand hatte sich keinen Vorwurf zu machen, als sie im Jahre 4 831 das Haus des Gatten mit ihren beiden Kindern verließ und sich nach Paris begab.. Die Trennung geschah übrigens mit Einwilligung des Herrn Düdevant und dieser zahlte der Frau, die ihm ein großes Vermögen zuge¬ bracht hatte, eine Pension von zwölfhundert Franken jährlich. Diese geringe Summegenügte natürlich nicht zur Erhaltung einer Frau mit zwei Kindern, obgleich sie eine armselige Mansardenwohnung auf dem Quai Se. Michel bezog. Als Madame Sand noch mit ihrem Manne lebte, machte sie die Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/223>, abgerufen am 17.06.2024.