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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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fingen auch die Erdichtungen an, die seither nicht aufgehört haben, sowie von
Georges Sand die Rede ist.

Das innige Verhältniß zu Jules Sandeau war indessen lockerer geworden
und dieser suchte in einer Reise nach Italien den Trost des Vergessens. In
den Briefen eines Reisenden lesen wir die von allen Biographen citirte Stelle,
die des ehemaligen Freundes in so rührender Weise gedenkt: "Es kümmert
mich wenig, daß ich alt werde, aber es läge mir viel daran, nicht allein alt
zu werden. Allein ich habe nicht das Wesen gefunden, mit dem ich hätte leben
und sterben mögen, oder wenn ich es gefunden habe, so verstand ich nicht, es
zu behalten. . Höre eine Geschichte an und weine."

"Es war ein tüchtiger Künstler, den man Watetet nannte und der besser
radirte als' irgendjemaud seiner Zeit. Er liebte Marguerite Leconte und lehrte
sie radiren so gut wie er selbst. Sie verließ ihren Mann, ihre Güter und
ihr Land, um mit Watetet zu leben."

"Zuerst verdammte sie die Welt, und dann da sie arm und bescheiden
waren, vergaß sie die Welt."

"Vierzig Jahre später entdeckte man in einem Häuschen der Umgebung
von Paris, "die schöne Mühle" genannt, einen alten Mann, der radirte, mit
einer alten Frau, welche er seine Müllerin nannte, am selben Tische sitzend
und radirend wie er."

"Der erste Müßige, der dieses Wunder entdeckte, kündigte eS den andern
an und die schöne Welt wallfahrtete zur schönen Mühle, um die seltene Er¬
scheinung zu sehen: eine Liebe von vierzig Jahren, eine stets anhaltende ge¬
liebte Arbeit, ein Zwillingstalent, Philemon und Baucis zur Zeit der Damen
Pompadour und Dübarry! Das machte Epoche und das wunderbare Paar
hatte seine Schmeichler, seine Freunde, seine Bewunderer, seine Sänger."

"Glücklicherweise starb das Paar wenige Tage darauf, denn die Welt hätte
alles verdorben."

"Die letzte Zeichnung, die sie radirten, stellte die schöne Mühle vor.
Margueritens Haus mit der Inschrift: ,Mr palis perwuwre Kahira ctlvitias
opörosicii'Sö

"Sie hängt in meinem Zimmer eingerahmt über einem Bildnisse, dessen
Original niemand hier gesehen hat. Während eines Jahres saß die Person,
die mir das Bildniß vermacht hat, jede Nacht an meinem Tische und lebte von
derselben Arbeit wie ich. Beim Anbruch des Tages besprachen wir uns über
unser Werk, wir aßen am selben Tischchen, indem wir von Kunst, von Liebe
und von Zukunft redeten. Die Zukunft hat uns nicht Wort gehalten. O
Marguerite Leconte bete für mich."

Wie rührend klingt nicht dieser Nachruf an den geschiedenen Freund . - -


fingen auch die Erdichtungen an, die seither nicht aufgehört haben, sowie von
Georges Sand die Rede ist.

Das innige Verhältniß zu Jules Sandeau war indessen lockerer geworden
und dieser suchte in einer Reise nach Italien den Trost des Vergessens. In
den Briefen eines Reisenden lesen wir die von allen Biographen citirte Stelle,
die des ehemaligen Freundes in so rührender Weise gedenkt: „Es kümmert
mich wenig, daß ich alt werde, aber es läge mir viel daran, nicht allein alt
zu werden. Allein ich habe nicht das Wesen gefunden, mit dem ich hätte leben
und sterben mögen, oder wenn ich es gefunden habe, so verstand ich nicht, es
zu behalten. . Höre eine Geschichte an und weine."

„Es war ein tüchtiger Künstler, den man Watetet nannte und der besser
radirte als' irgendjemaud seiner Zeit. Er liebte Marguerite Leconte und lehrte
sie radiren so gut wie er selbst. Sie verließ ihren Mann, ihre Güter und
ihr Land, um mit Watetet zu leben."

„Zuerst verdammte sie die Welt, und dann da sie arm und bescheiden
waren, vergaß sie die Welt."

„Vierzig Jahre später entdeckte man in einem Häuschen der Umgebung
von Paris, „die schöne Mühle" genannt, einen alten Mann, der radirte, mit
einer alten Frau, welche er seine Müllerin nannte, am selben Tische sitzend
und radirend wie er."

„Der erste Müßige, der dieses Wunder entdeckte, kündigte eS den andern
an und die schöne Welt wallfahrtete zur schönen Mühle, um die seltene Er¬
scheinung zu sehen: eine Liebe von vierzig Jahren, eine stets anhaltende ge¬
liebte Arbeit, ein Zwillingstalent, Philemon und Baucis zur Zeit der Damen
Pompadour und Dübarry! Das machte Epoche und das wunderbare Paar
hatte seine Schmeichler, seine Freunde, seine Bewunderer, seine Sänger."

„Glücklicherweise starb das Paar wenige Tage darauf, denn die Welt hätte
alles verdorben."

„Die letzte Zeichnung, die sie radirten, stellte die schöne Mühle vor.
Margueritens Haus mit der Inschrift: ,Mr palis perwuwre Kahira ctlvitias
opörosicii'Sö

„Sie hängt in meinem Zimmer eingerahmt über einem Bildnisse, dessen
Original niemand hier gesehen hat. Während eines Jahres saß die Person,
die mir das Bildniß vermacht hat, jede Nacht an meinem Tische und lebte von
derselben Arbeit wie ich. Beim Anbruch des Tages besprachen wir uns über
unser Werk, wir aßen am selben Tischchen, indem wir von Kunst, von Liebe
und von Zukunft redeten. Die Zukunft hat uns nicht Wort gehalten. O
Marguerite Leconte bete für mich."

Wie rührend klingt nicht dieser Nachruf an den geschiedenen Freund . - -


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[0226] fingen auch die Erdichtungen an, die seither nicht aufgehört haben, sowie von Georges Sand die Rede ist. Das innige Verhältniß zu Jules Sandeau war indessen lockerer geworden und dieser suchte in einer Reise nach Italien den Trost des Vergessens. In den Briefen eines Reisenden lesen wir die von allen Biographen citirte Stelle, die des ehemaligen Freundes in so rührender Weise gedenkt: „Es kümmert mich wenig, daß ich alt werde, aber es läge mir viel daran, nicht allein alt zu werden. Allein ich habe nicht das Wesen gefunden, mit dem ich hätte leben und sterben mögen, oder wenn ich es gefunden habe, so verstand ich nicht, es zu behalten. . Höre eine Geschichte an und weine." „Es war ein tüchtiger Künstler, den man Watetet nannte und der besser radirte als' irgendjemaud seiner Zeit. Er liebte Marguerite Leconte und lehrte sie radiren so gut wie er selbst. Sie verließ ihren Mann, ihre Güter und ihr Land, um mit Watetet zu leben." „Zuerst verdammte sie die Welt, und dann da sie arm und bescheiden waren, vergaß sie die Welt." „Vierzig Jahre später entdeckte man in einem Häuschen der Umgebung von Paris, „die schöne Mühle" genannt, einen alten Mann, der radirte, mit einer alten Frau, welche er seine Müllerin nannte, am selben Tische sitzend und radirend wie er." „Der erste Müßige, der dieses Wunder entdeckte, kündigte eS den andern an und die schöne Welt wallfahrtete zur schönen Mühle, um die seltene Er¬ scheinung zu sehen: eine Liebe von vierzig Jahren, eine stets anhaltende ge¬ liebte Arbeit, ein Zwillingstalent, Philemon und Baucis zur Zeit der Damen Pompadour und Dübarry! Das machte Epoche und das wunderbare Paar hatte seine Schmeichler, seine Freunde, seine Bewunderer, seine Sänger." „Glücklicherweise starb das Paar wenige Tage darauf, denn die Welt hätte alles verdorben." „Die letzte Zeichnung, die sie radirten, stellte die schöne Mühle vor. Margueritens Haus mit der Inschrift: ,Mr palis perwuwre Kahira ctlvitias opörosicii'Sö „Sie hängt in meinem Zimmer eingerahmt über einem Bildnisse, dessen Original niemand hier gesehen hat. Während eines Jahres saß die Person, die mir das Bildniß vermacht hat, jede Nacht an meinem Tische und lebte von derselben Arbeit wie ich. Beim Anbruch des Tages besprachen wir uns über unser Werk, wir aßen am selben Tischchen, indem wir von Kunst, von Liebe und von Zukunft redeten. Die Zukunft hat uns nicht Wort gehalten. O Marguerite Leconte bete für mich." Wie rührend klingt nicht dieser Nachruf an den geschiedenen Freund . - -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/226>, abgerufen am 17.06.2024.