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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Wenn ich mich recht erinnere, nahm ich bis dahin noch nicht Gelegenheit,
über hiesige Preßzustände zu sprechen. Sie sind lange Zeit hindurch ohne
Bedeutung gewesen; gewinnen aber eine solche mehr und mehr unter dem
Einfluß der Ereignisse und mögen dereinst eine wichtige Stellung im Vorder¬
grunde der Stambuler öffentlichen Interessen einnehmen.

Die Türkei ist in keiner Hinsicht ein censurfreier Staat; die Schere und
der Rothstift des Censors gehörten mit zu den frühesten Jmportationen, die
aus dem Abendlande hierher gelangten, aber aus leicht erklärlichen Gründen
ist ihre Handhabung eine ausnehmend beschränkte. Dem Gesetze nach soll jedes
Buch, welches von auswärts eingeführt wird, aus der Mauth zu Galata und
Stambul in Betreff seines Inhalts von einer dazu bestimmten Commission
eraminirt werden. Soviel ich weiß, setzt sich dieser Ausschuß indeß nur aus
zwei Personen zusammen und seine Functionen beschränken sich daraus, den
Stempel der Negierung, durch welchen die unbehinderte Aushändigung an de'n
Besitzer des Buchs ausgesprochen wird, auf jedwede Schrift zu drucken, weß
Inhalts sie auch immerhin sein mögen. Für auswärtige Zeitungen eristirt
gar keine Beaufsichtigung der Art, wodurch es erklärlich wird, daß einzelne süd¬
deutsche Zeitungen von entschieden ausgesprochener türkenfeindlicher Tendenz
seither deßungeachtet stets freien Zugang hatten.

Andern Verhältnissen sind diejenigen Blätter unterworfen, welche hier am
Orte selbst redigirt und gedruckt werden. Abgesehen von den in neugriechischer
Sprache geschriebenen bin ich der Ansicht, daß kein Journal in Stambul'
eristirt, welches nicht in einer gewissen Abhängigkeit von der Regierung steht.
Diese Abhängigkeit ist eine directe bei dem Journal de Konstantinople; die
Presse dOrient ist indirect abhängig.

Wenn man bedenkt, welchen Reiz ein unabhängig von der Negierung da¬
stehendes Blatt unter allen Umständen für das Publicum hat, und wie gelesen
ein solches namentlich unter den besonderen hier obwaltenden Verhältnissen sein
müßte, so wird man leicht zu dem Schluß gelangen, daß der Eröffnung eines
derartigen Journals in Stambul unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen.

Die Unternehmer der Presse dOrient scheinen es sich zum Vorwurf ge¬
nommen zu haben: diesen Hindernissen soviel wie möglich abzugewinnen, dicht
an die Grenze des Erlaubten heranzugehen und sich nach Möglichkeit eine
freie Discussion der Thatsachen zu wahren. Mindestens finden sich diese Prin¬
cipien ziemlich unverblümt in dem Programm des Blattes, welches die erste
Nummer bringt, ausgesprochen. Ich kann von dem neuen Blatt nicht rühmen,
daß es aus diesem Wege schon bedeutende Fortschritte gemacht habe. Die
Artikel, welche hiesige Verhältnisse berühren, sind mit einer gewissen ängstlichen
Reserve geschrieben, und wo von höhergestellten Persönlichkeiten die Rede ist,
wird die Sprache nicht selten servil. Dennoch kann nicht in Abrede gestellt


Wenn ich mich recht erinnere, nahm ich bis dahin noch nicht Gelegenheit,
über hiesige Preßzustände zu sprechen. Sie sind lange Zeit hindurch ohne
Bedeutung gewesen; gewinnen aber eine solche mehr und mehr unter dem
Einfluß der Ereignisse und mögen dereinst eine wichtige Stellung im Vorder¬
grunde der Stambuler öffentlichen Interessen einnehmen.

Die Türkei ist in keiner Hinsicht ein censurfreier Staat; die Schere und
der Rothstift des Censors gehörten mit zu den frühesten Jmportationen, die
aus dem Abendlande hierher gelangten, aber aus leicht erklärlichen Gründen
ist ihre Handhabung eine ausnehmend beschränkte. Dem Gesetze nach soll jedes
Buch, welches von auswärts eingeführt wird, aus der Mauth zu Galata und
Stambul in Betreff seines Inhalts von einer dazu bestimmten Commission
eraminirt werden. Soviel ich weiß, setzt sich dieser Ausschuß indeß nur aus
zwei Personen zusammen und seine Functionen beschränken sich daraus, den
Stempel der Negierung, durch welchen die unbehinderte Aushändigung an de'n
Besitzer des Buchs ausgesprochen wird, auf jedwede Schrift zu drucken, weß
Inhalts sie auch immerhin sein mögen. Für auswärtige Zeitungen eristirt
gar keine Beaufsichtigung der Art, wodurch es erklärlich wird, daß einzelne süd¬
deutsche Zeitungen von entschieden ausgesprochener türkenfeindlicher Tendenz
seither deßungeachtet stets freien Zugang hatten.

Andern Verhältnissen sind diejenigen Blätter unterworfen, welche hier am
Orte selbst redigirt und gedruckt werden. Abgesehen von den in neugriechischer
Sprache geschriebenen bin ich der Ansicht, daß kein Journal in Stambul'
eristirt, welches nicht in einer gewissen Abhängigkeit von der Regierung steht.
Diese Abhängigkeit ist eine directe bei dem Journal de Konstantinople; die
Presse dOrient ist indirect abhängig.

Wenn man bedenkt, welchen Reiz ein unabhängig von der Negierung da¬
stehendes Blatt unter allen Umständen für das Publicum hat, und wie gelesen
ein solches namentlich unter den besonderen hier obwaltenden Verhältnissen sein
müßte, so wird man leicht zu dem Schluß gelangen, daß der Eröffnung eines
derartigen Journals in Stambul unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen.

Die Unternehmer der Presse dOrient scheinen es sich zum Vorwurf ge¬
nommen zu haben: diesen Hindernissen soviel wie möglich abzugewinnen, dicht
an die Grenze des Erlaubten heranzugehen und sich nach Möglichkeit eine
freie Discussion der Thatsachen zu wahren. Mindestens finden sich diese Prin¬
cipien ziemlich unverblümt in dem Programm des Blattes, welches die erste
Nummer bringt, ausgesprochen. Ich kann von dem neuen Blatt nicht rühmen,
daß es aus diesem Wege schon bedeutende Fortschritte gemacht habe. Die
Artikel, welche hiesige Verhältnisse berühren, sind mit einer gewissen ängstlichen
Reserve geschrieben, und wo von höhergestellten Persönlichkeiten die Rede ist,
wird die Sprache nicht selten servil. Dennoch kann nicht in Abrede gestellt


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[0236] Wenn ich mich recht erinnere, nahm ich bis dahin noch nicht Gelegenheit, über hiesige Preßzustände zu sprechen. Sie sind lange Zeit hindurch ohne Bedeutung gewesen; gewinnen aber eine solche mehr und mehr unter dem Einfluß der Ereignisse und mögen dereinst eine wichtige Stellung im Vorder¬ grunde der Stambuler öffentlichen Interessen einnehmen. Die Türkei ist in keiner Hinsicht ein censurfreier Staat; die Schere und der Rothstift des Censors gehörten mit zu den frühesten Jmportationen, die aus dem Abendlande hierher gelangten, aber aus leicht erklärlichen Gründen ist ihre Handhabung eine ausnehmend beschränkte. Dem Gesetze nach soll jedes Buch, welches von auswärts eingeführt wird, aus der Mauth zu Galata und Stambul in Betreff seines Inhalts von einer dazu bestimmten Commission eraminirt werden. Soviel ich weiß, setzt sich dieser Ausschuß indeß nur aus zwei Personen zusammen und seine Functionen beschränken sich daraus, den Stempel der Negierung, durch welchen die unbehinderte Aushändigung an de'n Besitzer des Buchs ausgesprochen wird, auf jedwede Schrift zu drucken, weß Inhalts sie auch immerhin sein mögen. Für auswärtige Zeitungen eristirt gar keine Beaufsichtigung der Art, wodurch es erklärlich wird, daß einzelne süd¬ deutsche Zeitungen von entschieden ausgesprochener türkenfeindlicher Tendenz seither deßungeachtet stets freien Zugang hatten. Andern Verhältnissen sind diejenigen Blätter unterworfen, welche hier am Orte selbst redigirt und gedruckt werden. Abgesehen von den in neugriechischer Sprache geschriebenen bin ich der Ansicht, daß kein Journal in Stambul' eristirt, welches nicht in einer gewissen Abhängigkeit von der Regierung steht. Diese Abhängigkeit ist eine directe bei dem Journal de Konstantinople; die Presse dOrient ist indirect abhängig. Wenn man bedenkt, welchen Reiz ein unabhängig von der Negierung da¬ stehendes Blatt unter allen Umständen für das Publicum hat, und wie gelesen ein solches namentlich unter den besonderen hier obwaltenden Verhältnissen sein müßte, so wird man leicht zu dem Schluß gelangen, daß der Eröffnung eines derartigen Journals in Stambul unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen. Die Unternehmer der Presse dOrient scheinen es sich zum Vorwurf ge¬ nommen zu haben: diesen Hindernissen soviel wie möglich abzugewinnen, dicht an die Grenze des Erlaubten heranzugehen und sich nach Möglichkeit eine freie Discussion der Thatsachen zu wahren. Mindestens finden sich diese Prin¬ cipien ziemlich unverblümt in dem Programm des Blattes, welches die erste Nummer bringt, ausgesprochen. Ich kann von dem neuen Blatt nicht rühmen, daß es aus diesem Wege schon bedeutende Fortschritte gemacht habe. Die Artikel, welche hiesige Verhältnisse berühren, sind mit einer gewissen ängstlichen Reserve geschrieben, und wo von höhergestellten Persönlichkeiten die Rede ist, wird die Sprache nicht selten servil. Dennoch kann nicht in Abrede gestellt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/236>, abgerufen am 17.06.2024.