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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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werden, daß diese Zeitung eine ungleich höhere Stellung wie das Journal
de Konstantinople einnimmt; auch in Hinsicht auf positive Nachrichten ist sie
reichhaltiger und es scheinen ihr nicht unbedeutende literarische Kräfte zur
Verfügung zu stehen, wie dünn gesäet dieselben auch immerhin am hiesigen
Orte im allgemeinen sind.

Das hiesige höhere, geistige Leben hat vor allem durch den Mangel eines
einigenden und Ton wie Richtung angehenden Mittelpunktes zu leiden; unter
den hier in Wirksamkeit stehenden Gesandten und diplomatischen Chefs ist nicht
einer, von dem man sagen könnte, daß ein irgendwie hervortretendes literarisches
Interesse ihn beseele; Lord Stratford subscribirte eines Tages auf vierzig
Exemplare des Layardschen Prachtwerkes über Niniveh; Herr v. Brück hat
einen sehr gewandten im Umgange gesuchten Privatsecretär (Jsidor Heller),
welcher beiläufig bemerkt die Mittheilungen zu redigiren hat, welche der
östreichische Staatsmann einer alten Gewohnheit folgend in jeder Woche der
Triester Zeitung zugehen läßt; endlich verkehrt Baron Terco, der Gesandte'
Sardiniens, vielfach mit Herrn Simpson, dem Agenten des Londoner Morning
Chronicle -- aber damit sind auch ziemlich die Beziehungen erschöpft, in wel¬
cher die hiesige officielle und vfficiöse Welt mit der Presse steht.

Ein anderer Mangel ist der, daß sich thatsächlich hier keine in literarischer
Hinsicht irgendetwas Größeres bedeutende Persönlichkeit vorfindet. Unsre
Tage sind in dieser Hinsicht ärmer, wie die vor zwanzig Jahren, wo Joseph
v. Hammer-Purgstall auf dem Felde der geistigen Interessen hier eine so ehren¬
volle und bedeutende Stellung eingenommen hatte.

Die geringe Anziehungskraft, welche Konstantinopel nach außen hin in
geistiger Beziehung ausübt, und vermöge welcher eigentliche literarische Cele-
britäten hier fehlen, hat ihren Grund vielleicht insbesondere in der Schwierig¬
keit, sich in dieser Hauptstadt die Mittel für Studien und die Fortentwicklung
des Geistes zu verschaffen. Bibliotheken eristiren nicht; dagegen sind hier be¬
deutende Archive vorhanden, und man weiß genugsam, welche Schätze der
Nestor der süddeutschen Orientalisten aus denselben zu holen verstanden hat.
Vielleicht ist das berühmte Werk Hammers über die Geschichte des osmani-
schen Reiches ein geringerer Beleg dafür wie seine "Fundgruben".

Ihren lebendigen Mittelpunkt hat die hiesige sprachliche und historische
Forschung derzeit in dem sehr ehrenwerthen Repräsentanten der Hansestädte,
Dr. v. Mordtmann, der zugleich Präsident der orientalischen Gesellschaft und
zu Konstantinopel ohne Frage der erste Gelehrte ist. Neben ihm stand vordem
or. George Rosen; derselbe ist seit nach Jerusalem versetzt worden, wo
er als preußischer Konsul fungirt.

Im vergangenen Herbst und Winter hatte der historische Moment eine
große Anzahl Journalisten aus England und Frankreich, auch viele aus


werden, daß diese Zeitung eine ungleich höhere Stellung wie das Journal
de Konstantinople einnimmt; auch in Hinsicht auf positive Nachrichten ist sie
reichhaltiger und es scheinen ihr nicht unbedeutende literarische Kräfte zur
Verfügung zu stehen, wie dünn gesäet dieselben auch immerhin am hiesigen
Orte im allgemeinen sind.

Das hiesige höhere, geistige Leben hat vor allem durch den Mangel eines
einigenden und Ton wie Richtung angehenden Mittelpunktes zu leiden; unter
den hier in Wirksamkeit stehenden Gesandten und diplomatischen Chefs ist nicht
einer, von dem man sagen könnte, daß ein irgendwie hervortretendes literarisches
Interesse ihn beseele; Lord Stratford subscribirte eines Tages auf vierzig
Exemplare des Layardschen Prachtwerkes über Niniveh; Herr v. Brück hat
einen sehr gewandten im Umgange gesuchten Privatsecretär (Jsidor Heller),
welcher beiläufig bemerkt die Mittheilungen zu redigiren hat, welche der
östreichische Staatsmann einer alten Gewohnheit folgend in jeder Woche der
Triester Zeitung zugehen läßt; endlich verkehrt Baron Terco, der Gesandte'
Sardiniens, vielfach mit Herrn Simpson, dem Agenten des Londoner Morning
Chronicle — aber damit sind auch ziemlich die Beziehungen erschöpft, in wel¬
cher die hiesige officielle und vfficiöse Welt mit der Presse steht.

Ein anderer Mangel ist der, daß sich thatsächlich hier keine in literarischer
Hinsicht irgendetwas Größeres bedeutende Persönlichkeit vorfindet. Unsre
Tage sind in dieser Hinsicht ärmer, wie die vor zwanzig Jahren, wo Joseph
v. Hammer-Purgstall auf dem Felde der geistigen Interessen hier eine so ehren¬
volle und bedeutende Stellung eingenommen hatte.

Die geringe Anziehungskraft, welche Konstantinopel nach außen hin in
geistiger Beziehung ausübt, und vermöge welcher eigentliche literarische Cele-
britäten hier fehlen, hat ihren Grund vielleicht insbesondere in der Schwierig¬
keit, sich in dieser Hauptstadt die Mittel für Studien und die Fortentwicklung
des Geistes zu verschaffen. Bibliotheken eristiren nicht; dagegen sind hier be¬
deutende Archive vorhanden, und man weiß genugsam, welche Schätze der
Nestor der süddeutschen Orientalisten aus denselben zu holen verstanden hat.
Vielleicht ist das berühmte Werk Hammers über die Geschichte des osmani-
schen Reiches ein geringerer Beleg dafür wie seine „Fundgruben".

Ihren lebendigen Mittelpunkt hat die hiesige sprachliche und historische
Forschung derzeit in dem sehr ehrenwerthen Repräsentanten der Hansestädte,
Dr. v. Mordtmann, der zugleich Präsident der orientalischen Gesellschaft und
zu Konstantinopel ohne Frage der erste Gelehrte ist. Neben ihm stand vordem
or. George Rosen; derselbe ist seit nach Jerusalem versetzt worden, wo
er als preußischer Konsul fungirt.

Im vergangenen Herbst und Winter hatte der historische Moment eine
große Anzahl Journalisten aus England und Frankreich, auch viele aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/237>, abgerufen am 17.06.2024.