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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Mehr als andere Völker sind wir geneigt, uns Ideale zu bilden und Götzen
zu setzen, und wenn wir im Theater sind, vermag die dürftigste Andeutung des
Verfassers oder Schauspielers uns über den Charakter der dargestellten Person
zu beruhigen.

Und bei Halm kommt eine Reihe brillanter und dramatisch wirksamer
Momente dazu. Von je war dies seine Stärke. Seine Erfindung darin ist
nicht immer großartig, aber seine Wirkungen sind immer ernst gemeint, in einer
warmen Dichterseele lebendig empfunden und verfehlen deshalb nicht, auch den
Zuschauer zu erwärmen. Im vorliegenden Stück sind dieselben zum Theil
noch raffinirter, drastischer, wie durch französischen Einfluß hervorgebracht, und
wenn ein Unterschied zwischen diesem und den früheren Stücken voll ihm zu
finden ist, ein Unterschied, aber kein Fortschritt, so liegt er in der Art, wie er
seine Handlung pointirt hat. Das Herausstreichen der Fechter durch ihren
Vogt, das Vorzeigen ihrer nackten Glieder, die vor den Augen des Publicums
gezüchtigt werden; die kecke Frivolität des Blumenmädchens, welches dem Thu-
melicus in Gegenwart seiner Mutter zunickt: hellt Abend! der Einfall, daß
Thumelicus den Merowig (mit Eulenflügeln auf dem Helm und in Wolfsfell)
in dem Moment, wo der würdige Mann ihn zu einem großen Entschluß fort¬
reißen will, für nichts.Anderes hält, als ein Modell, das ihm der Kaiser zu
seinem Costüm schickt; die Ermahnung des Fechtervogts an seinen Liebling
Thumelicus, im Circus in der rechten Attitüde zu sterben, wenn er ja unterliegen
sollte, das alles sind außerordentlich wirksame Momente, zum Theil ästhetisch be¬
denklich, zum Theil schön erfunden. Sie sind, wie in allen seinen Stücken, so auch
in diesem, das Reizende. Ueber ihnen wird Unwahrscheinliches vergessen. Es ist
unwahrscheinlich, daß der Gladiator am Tage vor dem Kampf in lustiger Gesell¬
schaft mit Wein und seinem Mädchen eine Orgie feiert, es ist trivial, daß Thus¬
nelda vor dem Blumenmädchen den' obligaten Fußfall thut, es ist physiologisch
unmöglich, daß ein junger Gladiator unmittelbar vor seinem ersten Kampf im
Circus eine angenehme Mattigkeit fühlt und harmlos einschläft, es ist unbe¬
friedigend und dramatisch unerlaubt, daß beim Fallen des Vorhangs das Publi-
cum durch die Verschwornen darauf vertröstet wird, daß Caligula am nächsten
Tage sterben soll. Vielleicht stirbt er, vielleicht auch die Verschwornen, die
Sache bleibt zweifelhaft. -

Da dieser letzte Fehler des Stücks die Bühnemvirkung in der That be- '
nachtheilige, so sei hier bemerkt, daß er wenigstens sich leicht vermeiden ließ-
Caligula/muß sterben. Zwar ist auch er nur eine Episode, aber man darf
soviel Scheußlichkeit nicht am Schluß eines Stückes lebendig lassen. Auf
der andern Seite hatte der Dichter sich davor zu hüten, daß er dem Publicum
die Empfindung beibrachte, mit dem Tode dieses Kaisers ziehe für die Römer
eine bessere Zeit heran. Nun aber wäre es leicht gewesen, im zweiten


Mehr als andere Völker sind wir geneigt, uns Ideale zu bilden und Götzen
zu setzen, und wenn wir im Theater sind, vermag die dürftigste Andeutung des
Verfassers oder Schauspielers uns über den Charakter der dargestellten Person
zu beruhigen.

Und bei Halm kommt eine Reihe brillanter und dramatisch wirksamer
Momente dazu. Von je war dies seine Stärke. Seine Erfindung darin ist
nicht immer großartig, aber seine Wirkungen sind immer ernst gemeint, in einer
warmen Dichterseele lebendig empfunden und verfehlen deshalb nicht, auch den
Zuschauer zu erwärmen. Im vorliegenden Stück sind dieselben zum Theil
noch raffinirter, drastischer, wie durch französischen Einfluß hervorgebracht, und
wenn ein Unterschied zwischen diesem und den früheren Stücken voll ihm zu
finden ist, ein Unterschied, aber kein Fortschritt, so liegt er in der Art, wie er
seine Handlung pointirt hat. Das Herausstreichen der Fechter durch ihren
Vogt, das Vorzeigen ihrer nackten Glieder, die vor den Augen des Publicums
gezüchtigt werden; die kecke Frivolität des Blumenmädchens, welches dem Thu-
melicus in Gegenwart seiner Mutter zunickt: hellt Abend! der Einfall, daß
Thumelicus den Merowig (mit Eulenflügeln auf dem Helm und in Wolfsfell)
in dem Moment, wo der würdige Mann ihn zu einem großen Entschluß fort¬
reißen will, für nichts.Anderes hält, als ein Modell, das ihm der Kaiser zu
seinem Costüm schickt; die Ermahnung des Fechtervogts an seinen Liebling
Thumelicus, im Circus in der rechten Attitüde zu sterben, wenn er ja unterliegen
sollte, das alles sind außerordentlich wirksame Momente, zum Theil ästhetisch be¬
denklich, zum Theil schön erfunden. Sie sind, wie in allen seinen Stücken, so auch
in diesem, das Reizende. Ueber ihnen wird Unwahrscheinliches vergessen. Es ist
unwahrscheinlich, daß der Gladiator am Tage vor dem Kampf in lustiger Gesell¬
schaft mit Wein und seinem Mädchen eine Orgie feiert, es ist trivial, daß Thus¬
nelda vor dem Blumenmädchen den' obligaten Fußfall thut, es ist physiologisch
unmöglich, daß ein junger Gladiator unmittelbar vor seinem ersten Kampf im
Circus eine angenehme Mattigkeit fühlt und harmlos einschläft, es ist unbe¬
friedigend und dramatisch unerlaubt, daß beim Fallen des Vorhangs das Publi-
cum durch die Verschwornen darauf vertröstet wird, daß Caligula am nächsten
Tage sterben soll. Vielleicht stirbt er, vielleicht auch die Verschwornen, die
Sache bleibt zweifelhaft. -

Da dieser letzte Fehler des Stücks die Bühnemvirkung in der That be- '
nachtheilige, so sei hier bemerkt, daß er wenigstens sich leicht vermeiden ließ-
Caligula/muß sterben. Zwar ist auch er nur eine Episode, aber man darf
soviel Scheußlichkeit nicht am Schluß eines Stückes lebendig lassen. Auf
der andern Seite hatte der Dichter sich davor zu hüten, daß er dem Publicum
die Empfindung beibrachte, mit dem Tode dieses Kaisers ziehe für die Römer
eine bessere Zeit heran. Nun aber wäre es leicht gewesen, im zweiten


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[0244] Mehr als andere Völker sind wir geneigt, uns Ideale zu bilden und Götzen zu setzen, und wenn wir im Theater sind, vermag die dürftigste Andeutung des Verfassers oder Schauspielers uns über den Charakter der dargestellten Person zu beruhigen. Und bei Halm kommt eine Reihe brillanter und dramatisch wirksamer Momente dazu. Von je war dies seine Stärke. Seine Erfindung darin ist nicht immer großartig, aber seine Wirkungen sind immer ernst gemeint, in einer warmen Dichterseele lebendig empfunden und verfehlen deshalb nicht, auch den Zuschauer zu erwärmen. Im vorliegenden Stück sind dieselben zum Theil noch raffinirter, drastischer, wie durch französischen Einfluß hervorgebracht, und wenn ein Unterschied zwischen diesem und den früheren Stücken voll ihm zu finden ist, ein Unterschied, aber kein Fortschritt, so liegt er in der Art, wie er seine Handlung pointirt hat. Das Herausstreichen der Fechter durch ihren Vogt, das Vorzeigen ihrer nackten Glieder, die vor den Augen des Publicums gezüchtigt werden; die kecke Frivolität des Blumenmädchens, welches dem Thu- melicus in Gegenwart seiner Mutter zunickt: hellt Abend! der Einfall, daß Thumelicus den Merowig (mit Eulenflügeln auf dem Helm und in Wolfsfell) in dem Moment, wo der würdige Mann ihn zu einem großen Entschluß fort¬ reißen will, für nichts.Anderes hält, als ein Modell, das ihm der Kaiser zu seinem Costüm schickt; die Ermahnung des Fechtervogts an seinen Liebling Thumelicus, im Circus in der rechten Attitüde zu sterben, wenn er ja unterliegen sollte, das alles sind außerordentlich wirksame Momente, zum Theil ästhetisch be¬ denklich, zum Theil schön erfunden. Sie sind, wie in allen seinen Stücken, so auch in diesem, das Reizende. Ueber ihnen wird Unwahrscheinliches vergessen. Es ist unwahrscheinlich, daß der Gladiator am Tage vor dem Kampf in lustiger Gesell¬ schaft mit Wein und seinem Mädchen eine Orgie feiert, es ist trivial, daß Thus¬ nelda vor dem Blumenmädchen den' obligaten Fußfall thut, es ist physiologisch unmöglich, daß ein junger Gladiator unmittelbar vor seinem ersten Kampf im Circus eine angenehme Mattigkeit fühlt und harmlos einschläft, es ist unbe¬ friedigend und dramatisch unerlaubt, daß beim Fallen des Vorhangs das Publi- cum durch die Verschwornen darauf vertröstet wird, daß Caligula am nächsten Tage sterben soll. Vielleicht stirbt er, vielleicht auch die Verschwornen, die Sache bleibt zweifelhaft. - Da dieser letzte Fehler des Stücks die Bühnemvirkung in der That be- ' nachtheilige, so sei hier bemerkt, daß er wenigstens sich leicht vermeiden ließ- Caligula/muß sterben. Zwar ist auch er nur eine Episode, aber man darf soviel Scheußlichkeit nicht am Schluß eines Stückes lebendig lassen. Auf der andern Seite hatte der Dichter sich davor zu hüten, daß er dem Publicum die Empfindung beibrachte, mit dem Tode dieses Kaisers ziehe für die Römer eine bessere Zeit heran. Nun aber wäre es leicht gewesen, im zweiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/244>, abgerufen am 17.06.2024.