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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Act unter die Momente, welche den Cäsarenhvf charakterisiren sollen, den
Nachfolger Caligulas, den blöden Pedanten Claudius aufzunehmen. Unter
den Kaiseranekdoten der römischen Historiker hatte der Dichter eine sehr pas¬
sende, .Claudius wird allein unter allen mannbaren Mitgliedern des Kaiser¬
geschlechts von Caligula verschont, weil dieser sich das Vergnügen macht,
ihn als kläglichen Narren zu höhnen. Wenn also z. B. der Unsinnige
den armen Teufel von Vetter, der armselig und verachtet lebte und dessen
Hauptgedanke damals vielleicht war, das römische Alphabet mit ein paar
neuen unnützen Buchstaben zu versehen, auf einige Momente höhnend sich
selbst gegenüberstellte, so war am Ende des Stückes den Verschwornen bequeme
Gelegenheit gegeben, den Caligula nach seiner bekannten Phrase: "Ich wollte,
das römische Volk hätte nur einen Kopf," im Hintergründe niederzustoßen.
Wenn dann Cassius Chärea den Leib des Todten mit einem Fußtritt der
Gosse empfahl und den Claudius zum Kaiser ausrief, so konnte durch wenig
Worte im Sinn und Charakter dieses Stücks poetische Gerechtigkeit geübt und
die angemessene Perspektive auf die Zukunft Roms vor Augen geführt werden.

Die Sprache des Trauerspiels hat dieselben Eigenthümlichkeiten, welche
so wesentlich zu der Wirkung früherer Stücke Halms beigetragen haben.
Sie ist tönend, schwungvoll, reich an Bildern; in rednerischer Pracht läuft
sie langathmig hin, kurze Gegenreden sind sententiös und scharf pointirt.
Nicht immer sind die Bilder correct ausgeführt, aber fast immer sind sie poe¬
tisch empfunden,, viele sind schön und edel. Die poetische Begabung Halms
zeigt sich nicht zum wenigsten darin, daß er allein unter den Dichtern der
Gegenwart einen dramatischen Vers von so eigenthümlichem Satzbau und
Klang gefunden hat, daß man ihn daraus erkennen kann. -- Faßt man so den
Eindruck zusammen, welchen das Stück macht, so wird man nicht günstig
urtheile" können über den dramatischen Bau der Handlung, nicht günstig
über die Charaktere, bei beiden ist Unbehilflichkeit, ja Armuth sichtbar, da¬
gegen darf man Anerkennung nicht versagen der glänzenden Ausführung vieler
Einzelheiten, dem Geschick im Arrangement der Scenen und im Gegenüberstellen
imponirender Gegensätze wie der brillirenden Diction, und was das Beste ist,
und dem Erfolge des Stückes die meiste Berechtigung gibt, man muß rühmen,
daß es höchst ernst und ehrlich gemeint und aus einem Dichterherzen geflossen
ist, welches den Glauben an sich und seine Gebilde, ein ehrliches Ringen
nach dem Hohen und Schönen nicht aufgegeben hat.




Korrespondenzen.

Aus Berlin. -- In der vorletzten Woche ist durch Abstimmung der zwei¬
ten Kammer ein ministerieller Gesetzentwurf über Erweiterung des Schutzes gegen


Act unter die Momente, welche den Cäsarenhvf charakterisiren sollen, den
Nachfolger Caligulas, den blöden Pedanten Claudius aufzunehmen. Unter
den Kaiseranekdoten der römischen Historiker hatte der Dichter eine sehr pas¬
sende, .Claudius wird allein unter allen mannbaren Mitgliedern des Kaiser¬
geschlechts von Caligula verschont, weil dieser sich das Vergnügen macht,
ihn als kläglichen Narren zu höhnen. Wenn also z. B. der Unsinnige
den armen Teufel von Vetter, der armselig und verachtet lebte und dessen
Hauptgedanke damals vielleicht war, das römische Alphabet mit ein paar
neuen unnützen Buchstaben zu versehen, auf einige Momente höhnend sich
selbst gegenüberstellte, so war am Ende des Stückes den Verschwornen bequeme
Gelegenheit gegeben, den Caligula nach seiner bekannten Phrase: „Ich wollte,
das römische Volk hätte nur einen Kopf," im Hintergründe niederzustoßen.
Wenn dann Cassius Chärea den Leib des Todten mit einem Fußtritt der
Gosse empfahl und den Claudius zum Kaiser ausrief, so konnte durch wenig
Worte im Sinn und Charakter dieses Stücks poetische Gerechtigkeit geübt und
die angemessene Perspektive auf die Zukunft Roms vor Augen geführt werden.

Die Sprache des Trauerspiels hat dieselben Eigenthümlichkeiten, welche
so wesentlich zu der Wirkung früherer Stücke Halms beigetragen haben.
Sie ist tönend, schwungvoll, reich an Bildern; in rednerischer Pracht läuft
sie langathmig hin, kurze Gegenreden sind sententiös und scharf pointirt.
Nicht immer sind die Bilder correct ausgeführt, aber fast immer sind sie poe¬
tisch empfunden,, viele sind schön und edel. Die poetische Begabung Halms
zeigt sich nicht zum wenigsten darin, daß er allein unter den Dichtern der
Gegenwart einen dramatischen Vers von so eigenthümlichem Satzbau und
Klang gefunden hat, daß man ihn daraus erkennen kann. — Faßt man so den
Eindruck zusammen, welchen das Stück macht, so wird man nicht günstig
urtheile» können über den dramatischen Bau der Handlung, nicht günstig
über die Charaktere, bei beiden ist Unbehilflichkeit, ja Armuth sichtbar, da¬
gegen darf man Anerkennung nicht versagen der glänzenden Ausführung vieler
Einzelheiten, dem Geschick im Arrangement der Scenen und im Gegenüberstellen
imponirender Gegensätze wie der brillirenden Diction, und was das Beste ist,
und dem Erfolge des Stückes die meiste Berechtigung gibt, man muß rühmen,
daß es höchst ernst und ehrlich gemeint und aus einem Dichterherzen geflossen
ist, welches den Glauben an sich und seine Gebilde, ein ehrliches Ringen
nach dem Hohen und Schönen nicht aufgegeben hat.




Korrespondenzen.

Aus Berlin. — In der vorletzten Woche ist durch Abstimmung der zwei¬
ten Kammer ein ministerieller Gesetzentwurf über Erweiterung des Schutzes gegen


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[0245] Act unter die Momente, welche den Cäsarenhvf charakterisiren sollen, den Nachfolger Caligulas, den blöden Pedanten Claudius aufzunehmen. Unter den Kaiseranekdoten der römischen Historiker hatte der Dichter eine sehr pas¬ sende, .Claudius wird allein unter allen mannbaren Mitgliedern des Kaiser¬ geschlechts von Caligula verschont, weil dieser sich das Vergnügen macht, ihn als kläglichen Narren zu höhnen. Wenn also z. B. der Unsinnige den armen Teufel von Vetter, der armselig und verachtet lebte und dessen Hauptgedanke damals vielleicht war, das römische Alphabet mit ein paar neuen unnützen Buchstaben zu versehen, auf einige Momente höhnend sich selbst gegenüberstellte, so war am Ende des Stückes den Verschwornen bequeme Gelegenheit gegeben, den Caligula nach seiner bekannten Phrase: „Ich wollte, das römische Volk hätte nur einen Kopf," im Hintergründe niederzustoßen. Wenn dann Cassius Chärea den Leib des Todten mit einem Fußtritt der Gosse empfahl und den Claudius zum Kaiser ausrief, so konnte durch wenig Worte im Sinn und Charakter dieses Stücks poetische Gerechtigkeit geübt und die angemessene Perspektive auf die Zukunft Roms vor Augen geführt werden. Die Sprache des Trauerspiels hat dieselben Eigenthümlichkeiten, welche so wesentlich zu der Wirkung früherer Stücke Halms beigetragen haben. Sie ist tönend, schwungvoll, reich an Bildern; in rednerischer Pracht läuft sie langathmig hin, kurze Gegenreden sind sententiös und scharf pointirt. Nicht immer sind die Bilder correct ausgeführt, aber fast immer sind sie poe¬ tisch empfunden,, viele sind schön und edel. Die poetische Begabung Halms zeigt sich nicht zum wenigsten darin, daß er allein unter den Dichtern der Gegenwart einen dramatischen Vers von so eigenthümlichem Satzbau und Klang gefunden hat, daß man ihn daraus erkennen kann. — Faßt man so den Eindruck zusammen, welchen das Stück macht, so wird man nicht günstig urtheile» können über den dramatischen Bau der Handlung, nicht günstig über die Charaktere, bei beiden ist Unbehilflichkeit, ja Armuth sichtbar, da¬ gegen darf man Anerkennung nicht versagen der glänzenden Ausführung vieler Einzelheiten, dem Geschick im Arrangement der Scenen und im Gegenüberstellen imponirender Gegensätze wie der brillirenden Diction, und was das Beste ist, und dem Erfolge des Stückes die meiste Berechtigung gibt, man muß rühmen, daß es höchst ernst und ehrlich gemeint und aus einem Dichterherzen geflossen ist, welches den Glauben an sich und seine Gebilde, ein ehrliches Ringen nach dem Hohen und Schönen nicht aufgegeben hat. Korrespondenzen. Aus Berlin. — In der vorletzten Woche ist durch Abstimmung der zwei¬ ten Kammer ein ministerieller Gesetzentwurf über Erweiterung des Schutzes gegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/245>, abgerufen am 17.06.2024.