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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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KriegscomMissar, bringt Hieronymus in einem Colleg unter, ladet Joseph zu
sich nach Paris ein, schickt seiner Familie 50 -- 60,000 Franken Geld n. s. w.
Rasch steigt er nun empor und mit ihm seine Familie; 1796 erhält er den
Oberbefehl über die Armee in Italien, und wird in diesem Feldzug meistens
von seinem Bruder begleitet, weshalb aus diesem Jahre nur wenig Briefe vor¬
handen sind. -1797 ist Joseph Gesandter in Nom, und nun verliert der Brief¬
wechsel zwischen den beiden Brüdern seinen vertraulichen Ton, und an die
Stelle des gemüthlichen'Du tritt das steife, officielle Sie. Einige Anwand¬
lungen der alten Vertraulichkeit finden sich erst wieder in den leider sehr wenig'
zahlreichen Briefen aus Aegypten, wo Napoleon hauptsächlich die leichtsinnige
Aufführung seiner in Paris zurückgebliebenen Gemahlin, Josephine Beauharnais,
Sorge gemacht zu haben scheint, und in denen sich oft , trotz der glorreichen
Laufbahn, die sich ihm im Orient öffnet, eine düstere Schwermuth aubspricht.
"Ich kann in zwei Monaten in Frankreich sein," schreibt er aus Kairo. "Ich
empfehle Dir meine Interessen. Ich habe viel häuslichen Kummer . . . Deine
Freundschaft ist mir sehr theuer; es fehlt mir, um Menschenfeind zu werden,
daß ich sie verliere und mich von Dir verrathen sehe. Es ist traurig, zu gleicher
Zeit alle Gefühle für eine und. dieselbe Person in einem einzigen Herzen zu
haben. Sorge dafür, daß ich bei meiner Ankunft ein Landhaus bei Paris
oder Boulogne beziehe. Ich gedenke dort den Winter zuzubringen und mich
daselbst einzuschließen. Die menschliche Natur ist mir zuwider. Ich bedarf der
Einsamkeit und Abgeschiedenheit; die Größe ist mir verleidet; das Gefühl ver¬
trocknet; der Ruhm hat mit 29 Jahren allen Reiz für mich verloren. Ich
habe alles ausgekostet; es bleibt mir nichts mehr übrig als ein ganz entschie¬
dener Egoist zu werden. Ich denke mein Haus zu behalten. Nie werde ich
es an jemanden abtreten. Ich habe blos noch soviel, um grade davon zu le¬
ben. Leb wohl, mein einziger Freund." Der Rückkehr des siegreichen Generals
folgte der Sturz des Direktoriums, das durch seine Schwäche und Korruption
den Haß uno die Verachtung aller auf sich gezogen hatte, und die Erhebung
zum Consul und Kaiser. Während dieser ganzen Zeit wird Joseph, als der
einzige der Brüder, der mit Napoleon in beständigem guten Einvernehmen ge¬
blieben, mit mannigfachen wichtigen Aufträgen betraut, wie er sich venu als
Unterhändler der Verträge von Morsontaine, Luneville und Amiens die Zu¬
friedenheit des Consuls in hohem Grade erwarb. Hervorzuheben sind besonders
die vertraulichen Instruktionen wegen der Verhandlungen in Luneville. Die
Tendenz derselben geht dahin, Oestreich soviel als möglich abzubringen, und es
durch Drohungen so einzuschüchtern, daß es so rasch als möglich sich über seine
äußersten Concessionen erklärt, während Frankreich sich seine Erklärungen vor¬
behält, bis das Verhältniß Rußlands zu Frankreich, das damals sich dem
Consul zu nähern schien, klar geworden ist, mit einem Worte von Oestreich die


KriegscomMissar, bringt Hieronymus in einem Colleg unter, ladet Joseph zu
sich nach Paris ein, schickt seiner Familie 50 — 60,000 Franken Geld n. s. w.
Rasch steigt er nun empor und mit ihm seine Familie; 1796 erhält er den
Oberbefehl über die Armee in Italien, und wird in diesem Feldzug meistens
von seinem Bruder begleitet, weshalb aus diesem Jahre nur wenig Briefe vor¬
handen sind. -1797 ist Joseph Gesandter in Nom, und nun verliert der Brief¬
wechsel zwischen den beiden Brüdern seinen vertraulichen Ton, und an die
Stelle des gemüthlichen'Du tritt das steife, officielle Sie. Einige Anwand¬
lungen der alten Vertraulichkeit finden sich erst wieder in den leider sehr wenig'
zahlreichen Briefen aus Aegypten, wo Napoleon hauptsächlich die leichtsinnige
Aufführung seiner in Paris zurückgebliebenen Gemahlin, Josephine Beauharnais,
Sorge gemacht zu haben scheint, und in denen sich oft , trotz der glorreichen
Laufbahn, die sich ihm im Orient öffnet, eine düstere Schwermuth aubspricht.
„Ich kann in zwei Monaten in Frankreich sein," schreibt er aus Kairo. „Ich
empfehle Dir meine Interessen. Ich habe viel häuslichen Kummer . . . Deine
Freundschaft ist mir sehr theuer; es fehlt mir, um Menschenfeind zu werden,
daß ich sie verliere und mich von Dir verrathen sehe. Es ist traurig, zu gleicher
Zeit alle Gefühle für eine und. dieselbe Person in einem einzigen Herzen zu
haben. Sorge dafür, daß ich bei meiner Ankunft ein Landhaus bei Paris
oder Boulogne beziehe. Ich gedenke dort den Winter zuzubringen und mich
daselbst einzuschließen. Die menschliche Natur ist mir zuwider. Ich bedarf der
Einsamkeit und Abgeschiedenheit; die Größe ist mir verleidet; das Gefühl ver¬
trocknet; der Ruhm hat mit 29 Jahren allen Reiz für mich verloren. Ich
habe alles ausgekostet; es bleibt mir nichts mehr übrig als ein ganz entschie¬
dener Egoist zu werden. Ich denke mein Haus zu behalten. Nie werde ich
es an jemanden abtreten. Ich habe blos noch soviel, um grade davon zu le¬
ben. Leb wohl, mein einziger Freund." Der Rückkehr des siegreichen Generals
folgte der Sturz des Direktoriums, das durch seine Schwäche und Korruption
den Haß uno die Verachtung aller auf sich gezogen hatte, und die Erhebung
zum Consul und Kaiser. Während dieser ganzen Zeit wird Joseph, als der
einzige der Brüder, der mit Napoleon in beständigem guten Einvernehmen ge¬
blieben, mit mannigfachen wichtigen Aufträgen betraut, wie er sich venu als
Unterhändler der Verträge von Morsontaine, Luneville und Amiens die Zu¬
friedenheit des Consuls in hohem Grade erwarb. Hervorzuheben sind besonders
die vertraulichen Instruktionen wegen der Verhandlungen in Luneville. Die
Tendenz derselben geht dahin, Oestreich soviel als möglich abzubringen, und es
durch Drohungen so einzuschüchtern, daß es so rasch als möglich sich über seine
äußersten Concessionen erklärt, während Frankreich sich seine Erklärungen vor¬
behält, bis das Verhältniß Rußlands zu Frankreich, das damals sich dem
Consul zu nähern schien, klar geworden ist, mit einem Worte von Oestreich die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/53>, abgerufen am 17.06.2024.