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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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allerbestimmtesten Zusicherungen zu verlangen, ohne daß Frankreich irgendwelche
Verpflichtungen über die Ordnung der Verhältnisse in Italien und Deutschland
übernahm, und sich über die Fassung der Paragraphen herumzustreiten, um
Zeit zur Verständigung mit Paul l. zu gewinnen. Letzterer starb aber zu einer
ungelegener Zeit "an einem Schlaganfalle", wie sowol Napoleon als Joseph
und der Moniteur am 27. Germinal berichtet. Wie der Horizont von Na¬
poleons Politik sich immer unabsehbarer ausdehnte, sah sich auch Joseph zu
immer wichtigeren Stellungen berufen, nicht sehr zu seiner Befriedigung, denn
er besaß keinen Ehrgeiz und hätte lieber ein ruhiges, durch physischen und
intellectuellen Genuß erheitertes Leben geführt, als das eines Staatsman¬
nes und noch dazu als Werkzeug eines so gebieterischen, jede selbstständige
Regung ausschließenden Herrschers, wie Napoleon war, und die Opfer, die er
diesem hierin gebracht hat, sind lediglich seiner brüderlichen Liebe anzurechnen.
Es war damals der Zeitpunkt, wo im Lager von Boulogne die große Erpedition
gegen England vorbereitet wurde, und der Consul drang in seinen Bruder, die
Stelle eines Kanzlers des Senats zu übernehmen, eine Stelle, gegen die Joseph
eine besondere Abneigung hatte. Mit allen seinen Kräften, aber zugleich mit.
Betheuerungen seiner innigsten Anhänglichkeit an seinen Bruder sträubt er sich
dagegen, und dies Mal mit Erfolg; dafür muß er aber eine Uniform anziehen
und das Commando eines Regiments im Lager von Boulogne übernehmen,
sowie später eine Reise zur Besichtigung der militärischen Etablissements an der
neuen Nord- und Ostgrenze des Reichs, die zugleich eine Repräsentationsreise
sein sollte, machen. Als nun der neue Krieg mit Oestreich ausbricht, sehen
wir Joseph als Grandelecteur und Stellvertreter seines Bruders in Paris zu¬
rückbleiben und in täglichem Briefwechsel mit dem Kaiser. Die Briefe Josephs
sprechen von der Conscription, der Geldkrisis und der infolge derselben halb
bangen und halb unruhigen Stimmung der Hauptstadt, die sich erst nach der
Nachricht von den ersten Siegen erholt; die des Kaisers sind kurz, gewichtig,
unter dem Eindruck der Ereignisse geschrieben, und dadurch interessant, obgleich
ihre Skizzenhaftigkeit wenig Neues lehrt. Von Interesse ist eine Aeußerung
des Kaisers über Massen", mir dessen Tapferkeit, aber nicht mit dessen Talenten
bei Caldiero er zufrieden ist; und der in Verona auf eigne Hand und eigne
Rechnung eine Kontribution von 400,000 Franken erhoben hatte. "Meine
Absicht ist", schreibt bei dieser Gelegenheit der Kaiser, "die Generale und Offi¬
ziere, die mir gut gedient haben, so reich zu machen, daß ich nicht einsehen
kann, wie sie das edelste Gewerbe durch Habgier entehren und sich die Mi߬
achtung der Soldaten zuziehen können." In demselben Briefe klagt der Kaiser
über Bernadotte, dessen Säumigkeit und Mangel an Eifer den Frind habe ent¬
wischen lassen. Obgleich Napoleon die großartigen militärischen Operationen,
welche in diesem Feldzuge stattfanden, nicht wenig Sorge gemacht haben mögen,


allerbestimmtesten Zusicherungen zu verlangen, ohne daß Frankreich irgendwelche
Verpflichtungen über die Ordnung der Verhältnisse in Italien und Deutschland
übernahm, und sich über die Fassung der Paragraphen herumzustreiten, um
Zeit zur Verständigung mit Paul l. zu gewinnen. Letzterer starb aber zu einer
ungelegener Zeit „an einem Schlaganfalle", wie sowol Napoleon als Joseph
und der Moniteur am 27. Germinal berichtet. Wie der Horizont von Na¬
poleons Politik sich immer unabsehbarer ausdehnte, sah sich auch Joseph zu
immer wichtigeren Stellungen berufen, nicht sehr zu seiner Befriedigung, denn
er besaß keinen Ehrgeiz und hätte lieber ein ruhiges, durch physischen und
intellectuellen Genuß erheitertes Leben geführt, als das eines Staatsman¬
nes und noch dazu als Werkzeug eines so gebieterischen, jede selbstständige
Regung ausschließenden Herrschers, wie Napoleon war, und die Opfer, die er
diesem hierin gebracht hat, sind lediglich seiner brüderlichen Liebe anzurechnen.
Es war damals der Zeitpunkt, wo im Lager von Boulogne die große Erpedition
gegen England vorbereitet wurde, und der Consul drang in seinen Bruder, die
Stelle eines Kanzlers des Senats zu übernehmen, eine Stelle, gegen die Joseph
eine besondere Abneigung hatte. Mit allen seinen Kräften, aber zugleich mit.
Betheuerungen seiner innigsten Anhänglichkeit an seinen Bruder sträubt er sich
dagegen, und dies Mal mit Erfolg; dafür muß er aber eine Uniform anziehen
und das Commando eines Regiments im Lager von Boulogne übernehmen,
sowie später eine Reise zur Besichtigung der militärischen Etablissements an der
neuen Nord- und Ostgrenze des Reichs, die zugleich eine Repräsentationsreise
sein sollte, machen. Als nun der neue Krieg mit Oestreich ausbricht, sehen
wir Joseph als Grandelecteur und Stellvertreter seines Bruders in Paris zu¬
rückbleiben und in täglichem Briefwechsel mit dem Kaiser. Die Briefe Josephs
sprechen von der Conscription, der Geldkrisis und der infolge derselben halb
bangen und halb unruhigen Stimmung der Hauptstadt, die sich erst nach der
Nachricht von den ersten Siegen erholt; die des Kaisers sind kurz, gewichtig,
unter dem Eindruck der Ereignisse geschrieben, und dadurch interessant, obgleich
ihre Skizzenhaftigkeit wenig Neues lehrt. Von Interesse ist eine Aeußerung
des Kaisers über Massen«, mir dessen Tapferkeit, aber nicht mit dessen Talenten
bei Caldiero er zufrieden ist; und der in Verona auf eigne Hand und eigne
Rechnung eine Kontribution von 400,000 Franken erhoben hatte. „Meine
Absicht ist", schreibt bei dieser Gelegenheit der Kaiser, „die Generale und Offi¬
ziere, die mir gut gedient haben, so reich zu machen, daß ich nicht einsehen
kann, wie sie das edelste Gewerbe durch Habgier entehren und sich die Mi߬
achtung der Soldaten zuziehen können." In demselben Briefe klagt der Kaiser
über Bernadotte, dessen Säumigkeit und Mangel an Eifer den Frind habe ent¬
wischen lassen. Obgleich Napoleon die großartigen militärischen Operationen,
welche in diesem Feldzuge stattfanden, nicht wenig Sorge gemacht haben mögen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/54>, abgerufen am 17.06.2024.