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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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findet er doch noch Zeit, selbst den Moniteur vom Lager aus zu redigiren,
und nicht nur die militärischen, sondern auch die politischen Notizen von dort
aus fertig einzuschicken. Ueberhaupt hat der Kaiser ein scharfes Auge auf
die Presse, und wiederholt spricht er sich tadelnd über das Journal de Paris
aus (es hatte seine Freude über den Frieden, der allerdings in ungewisser Aussicht
stand, an den Tag gelegt) und dasselbe wird sofort unter strengere Censur
gestellt. Auch als Joseph schreibt, daß ganz Paris den Frieden herbeiwünscht,
erfolgt eine sehr herbe Rüge. "Mein Bruder," heißt es in dem betreffenden
Briefe, "ich bin nicht gewohnt, meine Politik nach den Klatschereien in Paris
einzurichten, und ich bedaure, daß Sie denselben so große Wichtigkeit beigelegt
haben. Mein Volk hat sich wohl dabei befunden, wenn es mir Vertrauen ge¬
schenkt hat, und die Frage ist gegenwärtig zu verwickelt, als daß ein Pariser
Spießbürger sie beurtheilen könnte... Ich werde Frieden schließen, wenn ich
glaube, daß der Abschluß desselben im Interesse meines Volkes liegt, und das
Raisonniren einiger Intriguanten wird ihn weder um eine Stunde fördern oder
hinausschiebe". Mein Volk wird stets einstimmig sein, wenn es weiß, daß ich
zufrieden bin, weil es darin den Beweis erblickt, daß seine Interessen gewahrt
sind. Die Zeit, wo man in den Sectionen delibrirte, ist vorüber. Ich würde
nöthigenfalls noch mehr als eine Schlacht liefern, um zu einem sichern Frieden
zu gelangen. Ich überlasse nichts dem Zufall; was ich sage, führe ich aus,
oder ich sterbe." Selbst daß Joseph in Paris die Absendung von Bevollmäch¬
tigten zur Unterhandlung des Friedens "mit so großem Pomp" hat ankündigen
und mit Kanonenschüssen feiern lassen, tadelt der Kaiser mißmuthig, als ein
Zeichen von Sehnsucht nach Frieden um jeden Preis.

Jmmermehr gewöhnt sich jetzt Napoleon, die Mitglieder seines Hauses
nur als willenlose Werkzeuge seiner Politik zu betrachten; er verfügt über ihre
Personen und ihre Zukunft, ohne sich um ihre etwaigen Neigungen zu be¬
kümmern, und die Schreiben, in denen er dem Bruder seine Arrangements
ankündigt, haben die Trockenheit und Kürze von kaufmännischen Geschäfts¬
briefen, in denen über ein Faß Rosinen disponirt wird. In einem Briefe von
einem Dutzend Zeilen (nach dem Frieden von Preßburg) meldet er die Ver¬
lobung des Prinzen Eugen mit der Prinzessin Auguste von Baiern, die bevor¬
stehende Verlobung Jeromes "mit einer andern Prinzessin", und ein Eheproject
für Josephs älteste Tochter "mit einem kleinen Fürsten, der mit der Zeit ein
großer Fürst werden wird". Ueber Joseph selbst und das Königreich Neapel
wird höchst lakonisch mit folgenden Worten verfügt: "Meine Absicht ist, mich
des Königreichs Neapel zu bemächtigen, und ich habe Sie zu meinem Lieutenant
Oberbefehlshaber der Armee von Neapel gemacht. Reisen Sie iO Stunden
nach Empfang dieses Briefs ab, und melden Sie mir in Ihrer ersten Depesche,
daß Sie in Neapel eingezogen sind und den treulosen Hof verjagt haben."


findet er doch noch Zeit, selbst den Moniteur vom Lager aus zu redigiren,
und nicht nur die militärischen, sondern auch die politischen Notizen von dort
aus fertig einzuschicken. Ueberhaupt hat der Kaiser ein scharfes Auge auf
die Presse, und wiederholt spricht er sich tadelnd über das Journal de Paris
aus (es hatte seine Freude über den Frieden, der allerdings in ungewisser Aussicht
stand, an den Tag gelegt) und dasselbe wird sofort unter strengere Censur
gestellt. Auch als Joseph schreibt, daß ganz Paris den Frieden herbeiwünscht,
erfolgt eine sehr herbe Rüge. „Mein Bruder," heißt es in dem betreffenden
Briefe, „ich bin nicht gewohnt, meine Politik nach den Klatschereien in Paris
einzurichten, und ich bedaure, daß Sie denselben so große Wichtigkeit beigelegt
haben. Mein Volk hat sich wohl dabei befunden, wenn es mir Vertrauen ge¬
schenkt hat, und die Frage ist gegenwärtig zu verwickelt, als daß ein Pariser
Spießbürger sie beurtheilen könnte... Ich werde Frieden schließen, wenn ich
glaube, daß der Abschluß desselben im Interesse meines Volkes liegt, und das
Raisonniren einiger Intriguanten wird ihn weder um eine Stunde fördern oder
hinausschiebe«. Mein Volk wird stets einstimmig sein, wenn es weiß, daß ich
zufrieden bin, weil es darin den Beweis erblickt, daß seine Interessen gewahrt
sind. Die Zeit, wo man in den Sectionen delibrirte, ist vorüber. Ich würde
nöthigenfalls noch mehr als eine Schlacht liefern, um zu einem sichern Frieden
zu gelangen. Ich überlasse nichts dem Zufall; was ich sage, führe ich aus,
oder ich sterbe." Selbst daß Joseph in Paris die Absendung von Bevollmäch¬
tigten zur Unterhandlung des Friedens „mit so großem Pomp" hat ankündigen
und mit Kanonenschüssen feiern lassen, tadelt der Kaiser mißmuthig, als ein
Zeichen von Sehnsucht nach Frieden um jeden Preis.

Jmmermehr gewöhnt sich jetzt Napoleon, die Mitglieder seines Hauses
nur als willenlose Werkzeuge seiner Politik zu betrachten; er verfügt über ihre
Personen und ihre Zukunft, ohne sich um ihre etwaigen Neigungen zu be¬
kümmern, und die Schreiben, in denen er dem Bruder seine Arrangements
ankündigt, haben die Trockenheit und Kürze von kaufmännischen Geschäfts¬
briefen, in denen über ein Faß Rosinen disponirt wird. In einem Briefe von
einem Dutzend Zeilen (nach dem Frieden von Preßburg) meldet er die Ver¬
lobung des Prinzen Eugen mit der Prinzessin Auguste von Baiern, die bevor¬
stehende Verlobung Jeromes „mit einer andern Prinzessin", und ein Eheproject
für Josephs älteste Tochter „mit einem kleinen Fürsten, der mit der Zeit ein
großer Fürst werden wird". Ueber Joseph selbst und das Königreich Neapel
wird höchst lakonisch mit folgenden Worten verfügt: „Meine Absicht ist, mich
des Königreichs Neapel zu bemächtigen, und ich habe Sie zu meinem Lieutenant
Oberbefehlshaber der Armee von Neapel gemacht. Reisen Sie iO Stunden
nach Empfang dieses Briefs ab, und melden Sie mir in Ihrer ersten Depesche,
daß Sie in Neapel eingezogen sind und den treulosen Hof verjagt haben."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/55>, abgerufen am 17.06.2024.