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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Die neapolitanische Regierung hatte einen Neutralitätsvertrag mit Frank¬
reich abgeschlossen, und war kühn genug, denselben nach der Schlacht von
Trafalgar und der Bildung der neuen Koalition zu brechen, und mehren
tausend englischen und russischen Truppen den Einmarsch zu gestatten.. Dieser
Vertragsbruch war der Anlaß zu Napoleons obenerwähnten Entschluß, aber
in demselben trat eine Aenderung ein, ehe Joseph noch Neapel erreicht hatte,
indem bereits am 19. Jan. 1806 Napoleon aus Stuttgart schrieb: "Mein
Wille ist, daß die Bourbonen aufgehört haben, in Neapel zu regieren; ich ge¬
denke auf diesen Thron einen Prinzen meines Hauses zu setzen; zuerst Sie,
wenn er Ihnen zusagt, oder wenn dies nicht der Fall ist, einen andern." Joseph
nahm die neue Würde ohne Widerstreben an, denn er brauchte deshalb seine
Anwartschaft auf die Thronfolge in Frankreich nicht aufzugeben, und ahnte
wol auch nicht, welche schwere Sorgen ihm sein neues Königreich machen
werde, das er selbst zwar zum Wohl seiner Unterthanen zu regieren den auf¬
richtige" Willen t)atte, das aber Napoleon nur als eine Art Satrapie be¬
trachtete, welche Joseph als eine Art Gcneralpächter lediglich im Interesse Na¬
poleons bewirthschaften und ausbeuten sollte. Joseph gedachte eine regelrechte
Civilregieruug einzurichten und seine Herrschaft durch Gerechtigkeit, Milde und
Sparsamkeit zu befestige"; Napoleon betrachtete Neapel als ein militärisch
besetztes Land, das man mit mobilem Corps, Standrecht, Fusiladen und Bom¬
bardements regieren müsse; Sparsamkeit und Ordnung in den Finanzen empfahl
auch er, aber nur um die Hilfsmittel des Landes zusammenzuhalten und soviel
als möglich Militär halten zu können, ohne daß'Frankreich etwas beisteuerte,
obgleich eigentlich Joseph in Neapel die Kriege Napoleons führte. Joseph
bemühte sich, den Neapolitanern zu zeigen, welche Vortheile ihnen die Ver¬
bindung mit Frankreich bringen könnte, um sie dadurch der neuen Dynastie
geneigt zu machen; Napoleon wollte sie unter der Wucht seiner Macht erdrücken,
um jeden Widerstand unmöglich zu macheu: so tief war die Kluft, welche die
Ansichten der beiden Brüder über die Regierung des neuerworbenen Landes
trennte. Erwägt man den damaligen Zustand beider Sicilien, so muß der
Unparteiische nicht nur Joseph die richtigere Würdigung des Zieles, sondern
auch die Möglichkeit, dasselbe zu erreichen, zugestehen. Die wechselvollen Schicksale
des Königreichs seit mehren Jahrhunderten hatten keiner Dynastie Zeit und Ge¬
legenheit gegeben, im Herzen des Volks tiefere Wurzeln zu schlagen, und die
zuletzt gestürzte Dynastie der Bourbonen galt in den Augen der Neapolitaner
sogut wie jede andere als eine fremde, und am allerwenigsten war die gewesene
Königin von Neapel, die Seele der vorigen Regierung, die nach dem Fall der
ephemeren von den Franzosen gegründeten Republik mit Hilfe der Hefe deS Volks
eine blutige, ausschließlich die gebildeten Classen treffende Reaction hatte eintreten
lassen, geeignet gewesen, dem bourbonischen Throne Anhänger zu verschaffen.


Die neapolitanische Regierung hatte einen Neutralitätsvertrag mit Frank¬
reich abgeschlossen, und war kühn genug, denselben nach der Schlacht von
Trafalgar und der Bildung der neuen Koalition zu brechen, und mehren
tausend englischen und russischen Truppen den Einmarsch zu gestatten.. Dieser
Vertragsbruch war der Anlaß zu Napoleons obenerwähnten Entschluß, aber
in demselben trat eine Aenderung ein, ehe Joseph noch Neapel erreicht hatte,
indem bereits am 19. Jan. 1806 Napoleon aus Stuttgart schrieb: „Mein
Wille ist, daß die Bourbonen aufgehört haben, in Neapel zu regieren; ich ge¬
denke auf diesen Thron einen Prinzen meines Hauses zu setzen; zuerst Sie,
wenn er Ihnen zusagt, oder wenn dies nicht der Fall ist, einen andern." Joseph
nahm die neue Würde ohne Widerstreben an, denn er brauchte deshalb seine
Anwartschaft auf die Thronfolge in Frankreich nicht aufzugeben, und ahnte
wol auch nicht, welche schwere Sorgen ihm sein neues Königreich machen
werde, das er selbst zwar zum Wohl seiner Unterthanen zu regieren den auf¬
richtige» Willen t)atte, das aber Napoleon nur als eine Art Satrapie be¬
trachtete, welche Joseph als eine Art Gcneralpächter lediglich im Interesse Na¬
poleons bewirthschaften und ausbeuten sollte. Joseph gedachte eine regelrechte
Civilregieruug einzurichten und seine Herrschaft durch Gerechtigkeit, Milde und
Sparsamkeit zu befestige«; Napoleon betrachtete Neapel als ein militärisch
besetztes Land, das man mit mobilem Corps, Standrecht, Fusiladen und Bom¬
bardements regieren müsse; Sparsamkeit und Ordnung in den Finanzen empfahl
auch er, aber nur um die Hilfsmittel des Landes zusammenzuhalten und soviel
als möglich Militär halten zu können, ohne daß'Frankreich etwas beisteuerte,
obgleich eigentlich Joseph in Neapel die Kriege Napoleons führte. Joseph
bemühte sich, den Neapolitanern zu zeigen, welche Vortheile ihnen die Ver¬
bindung mit Frankreich bringen könnte, um sie dadurch der neuen Dynastie
geneigt zu machen; Napoleon wollte sie unter der Wucht seiner Macht erdrücken,
um jeden Widerstand unmöglich zu macheu: so tief war die Kluft, welche die
Ansichten der beiden Brüder über die Regierung des neuerworbenen Landes
trennte. Erwägt man den damaligen Zustand beider Sicilien, so muß der
Unparteiische nicht nur Joseph die richtigere Würdigung des Zieles, sondern
auch die Möglichkeit, dasselbe zu erreichen, zugestehen. Die wechselvollen Schicksale
des Königreichs seit mehren Jahrhunderten hatten keiner Dynastie Zeit und Ge¬
legenheit gegeben, im Herzen des Volks tiefere Wurzeln zu schlagen, und die
zuletzt gestürzte Dynastie der Bourbonen galt in den Augen der Neapolitaner
sogut wie jede andere als eine fremde, und am allerwenigsten war die gewesene
Königin von Neapel, die Seele der vorigen Regierung, die nach dem Fall der
ephemeren von den Franzosen gegründeten Republik mit Hilfe der Hefe deS Volks
eine blutige, ausschließlich die gebildeten Classen treffende Reaction hatte eintreten
lassen, geeignet gewesen, dem bourbonischen Throne Anhänger zu verschaffen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/56>, abgerufen am 17.06.2024.