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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Die Verwaltung war ohnmächtig oder verderbt, die Finanzen, da der geflohene
Hof alle Kassen geleert und die Abgaben aus Jahre voraus verpachtet hatte,
in der ärgsten Verwirrung, die Einziehung der Abgaben entweder in den
Händen selbstsüchtiger Pächter oder -- da die zahlreichen Feudalherrn einen
großen Theil in Beschlag nahmen -- der Intendanten der Gutsbesitzer, und
der Ertrag entsprach diesen Einrichtungen. Die Geistlichkeit schmachtete in
tiefster Armuth trotz ihres ansehnlichen Grundbesitzes, da auch dieser unter der
allgemeinen Anarchie der Verwaltung litt. Der Adel, obgleich im Besitz von
14--1300 factisch souveränen Fürstentümern, Herzogtümern und Baronien,
genoß, von seinen Intendanten betrogen, wenig Einkünfte von denselben, und
durfte sie nicht einmal veräußern, während sie in Ermangelung directer Erben
an die Krone heimfielen. So fand eine geordnete, nach dem Muster der fran¬
zösischen eingerichtete Verwaltung ein fruchtbares Feld und wenig Interessen,
die sie hätte verletzen können. Auch für die Verwaltung der Justiz blieb alles
zu thun übrig, denn eS bestanden zwar Gerichtshöfe, aber der Polizeiminister
konnte jedes ihrer Urtheile für nichtig erklären, und ohne alle Controle Strafen
jeder Art, einschließlich der Todesstrafe, auferlegen. Unter diesen Umständen
mußte natürlich die Aussicht auf Reformen, wie sie Napoleon selbst in Frank¬
reich durchgeführt, viel Verlockendes für die Neapolitaner haben, und Joseph,
fand selbst unter dem Adel und unter den Beamten nicht wenige einflußreiche
Anhänger. Der neue König ging auch sogleich an die Abschaffung der ärgsten
Mißbräuche: er schaffte das Lehnswesen ab, stellte die geistlichen Güter unter
eine andere Verwaltung, die sie einträglicher machen sollte, führte ein besseres Ab-
gabensystem ein, und begann eine Reform der Justiz. Die Ausführung blieb
leider hinter seinem guten Willen zurück. Denn nicht einmal die nöthige Zeit
war ihm gegönnt. Die Abgaben wurden zwar etwas einträglicher, blieben
aber wegen der Feilheit und Habsucht der Beamten, die er meistens aus Frank¬
reich mitgebracht, ebenso drückend sür das Volk wie früher; die Finanzen blieben
zerrüttet wegen der ungeheuren Kosten des Heeres, das außer allen Verhältnissen
mit den Kräften des Landes stand; die Gerichte sollten strenge Gerechtigkeit
üben und die persönliche Freiheit unverletzt erhalten, sahen sich aber in ihrer
Wirksamkeit nur zu oft durch die nach reiner Willkür verfahrenden Kriegsgerichte
beschränkt. Das kostspielige Heer, das nur die Interessen Frankreichs in Neapel
vertheidigte, und das Standrecht waren Ausflüsse des Napoleonischen Systems,
der seinen aus Se. Helena erfundenen Wahlspruch: Man müsse die Völker
mit eiserner Hand, aber mit sammetnem Handschuh regieren, nur halb an¬
wendete, denn er vergaß meistens den sammetnen Handschuh anzuziehen. Trotz
der Verachtung, die Napoleon stets gegen jede nationale Kraft zur Schau trug,
muß er sich innerlich ihrer auf die Länge unwiderstehlichen Macht recht wohl
bewußt gewesen sein, sonst hätte er nicht so riesenhafte, die eignen Kräfte ver-
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Die Verwaltung war ohnmächtig oder verderbt, die Finanzen, da der geflohene
Hof alle Kassen geleert und die Abgaben aus Jahre voraus verpachtet hatte,
in der ärgsten Verwirrung, die Einziehung der Abgaben entweder in den
Händen selbstsüchtiger Pächter oder — da die zahlreichen Feudalherrn einen
großen Theil in Beschlag nahmen — der Intendanten der Gutsbesitzer, und
der Ertrag entsprach diesen Einrichtungen. Die Geistlichkeit schmachtete in
tiefster Armuth trotz ihres ansehnlichen Grundbesitzes, da auch dieser unter der
allgemeinen Anarchie der Verwaltung litt. Der Adel, obgleich im Besitz von
14—1300 factisch souveränen Fürstentümern, Herzogtümern und Baronien,
genoß, von seinen Intendanten betrogen, wenig Einkünfte von denselben, und
durfte sie nicht einmal veräußern, während sie in Ermangelung directer Erben
an die Krone heimfielen. So fand eine geordnete, nach dem Muster der fran¬
zösischen eingerichtete Verwaltung ein fruchtbares Feld und wenig Interessen,
die sie hätte verletzen können. Auch für die Verwaltung der Justiz blieb alles
zu thun übrig, denn eS bestanden zwar Gerichtshöfe, aber der Polizeiminister
konnte jedes ihrer Urtheile für nichtig erklären, und ohne alle Controle Strafen
jeder Art, einschließlich der Todesstrafe, auferlegen. Unter diesen Umständen
mußte natürlich die Aussicht auf Reformen, wie sie Napoleon selbst in Frank¬
reich durchgeführt, viel Verlockendes für die Neapolitaner haben, und Joseph,
fand selbst unter dem Adel und unter den Beamten nicht wenige einflußreiche
Anhänger. Der neue König ging auch sogleich an die Abschaffung der ärgsten
Mißbräuche: er schaffte das Lehnswesen ab, stellte die geistlichen Güter unter
eine andere Verwaltung, die sie einträglicher machen sollte, führte ein besseres Ab-
gabensystem ein, und begann eine Reform der Justiz. Die Ausführung blieb
leider hinter seinem guten Willen zurück. Denn nicht einmal die nöthige Zeit
war ihm gegönnt. Die Abgaben wurden zwar etwas einträglicher, blieben
aber wegen der Feilheit und Habsucht der Beamten, die er meistens aus Frank¬
reich mitgebracht, ebenso drückend sür das Volk wie früher; die Finanzen blieben
zerrüttet wegen der ungeheuren Kosten des Heeres, das außer allen Verhältnissen
mit den Kräften des Landes stand; die Gerichte sollten strenge Gerechtigkeit
üben und die persönliche Freiheit unverletzt erhalten, sahen sich aber in ihrer
Wirksamkeit nur zu oft durch die nach reiner Willkür verfahrenden Kriegsgerichte
beschränkt. Das kostspielige Heer, das nur die Interessen Frankreichs in Neapel
vertheidigte, und das Standrecht waren Ausflüsse des Napoleonischen Systems,
der seinen aus Se. Helena erfundenen Wahlspruch: Man müsse die Völker
mit eiserner Hand, aber mit sammetnem Handschuh regieren, nur halb an¬
wendete, denn er vergaß meistens den sammetnen Handschuh anzuziehen. Trotz
der Verachtung, die Napoleon stets gegen jede nationale Kraft zur Schau trug,
muß er sich innerlich ihrer auf die Länge unwiderstehlichen Macht recht wohl
bewußt gewesen sein, sonst hätte er nicht so riesenhafte, die eignen Kräfte ver-
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[0057] Die Verwaltung war ohnmächtig oder verderbt, die Finanzen, da der geflohene Hof alle Kassen geleert und die Abgaben aus Jahre voraus verpachtet hatte, in der ärgsten Verwirrung, die Einziehung der Abgaben entweder in den Händen selbstsüchtiger Pächter oder — da die zahlreichen Feudalherrn einen großen Theil in Beschlag nahmen — der Intendanten der Gutsbesitzer, und der Ertrag entsprach diesen Einrichtungen. Die Geistlichkeit schmachtete in tiefster Armuth trotz ihres ansehnlichen Grundbesitzes, da auch dieser unter der allgemeinen Anarchie der Verwaltung litt. Der Adel, obgleich im Besitz von 14—1300 factisch souveränen Fürstentümern, Herzogtümern und Baronien, genoß, von seinen Intendanten betrogen, wenig Einkünfte von denselben, und durfte sie nicht einmal veräußern, während sie in Ermangelung directer Erben an die Krone heimfielen. So fand eine geordnete, nach dem Muster der fran¬ zösischen eingerichtete Verwaltung ein fruchtbares Feld und wenig Interessen, die sie hätte verletzen können. Auch für die Verwaltung der Justiz blieb alles zu thun übrig, denn eS bestanden zwar Gerichtshöfe, aber der Polizeiminister konnte jedes ihrer Urtheile für nichtig erklären, und ohne alle Controle Strafen jeder Art, einschließlich der Todesstrafe, auferlegen. Unter diesen Umständen mußte natürlich die Aussicht auf Reformen, wie sie Napoleon selbst in Frank¬ reich durchgeführt, viel Verlockendes für die Neapolitaner haben, und Joseph, fand selbst unter dem Adel und unter den Beamten nicht wenige einflußreiche Anhänger. Der neue König ging auch sogleich an die Abschaffung der ärgsten Mißbräuche: er schaffte das Lehnswesen ab, stellte die geistlichen Güter unter eine andere Verwaltung, die sie einträglicher machen sollte, führte ein besseres Ab- gabensystem ein, und begann eine Reform der Justiz. Die Ausführung blieb leider hinter seinem guten Willen zurück. Denn nicht einmal die nöthige Zeit war ihm gegönnt. Die Abgaben wurden zwar etwas einträglicher, blieben aber wegen der Feilheit und Habsucht der Beamten, die er meistens aus Frank¬ reich mitgebracht, ebenso drückend sür das Volk wie früher; die Finanzen blieben zerrüttet wegen der ungeheuren Kosten des Heeres, das außer allen Verhältnissen mit den Kräften des Landes stand; die Gerichte sollten strenge Gerechtigkeit üben und die persönliche Freiheit unverletzt erhalten, sahen sich aber in ihrer Wirksamkeit nur zu oft durch die nach reiner Willkür verfahrenden Kriegsgerichte beschränkt. Das kostspielige Heer, das nur die Interessen Frankreichs in Neapel vertheidigte, und das Standrecht waren Ausflüsse des Napoleonischen Systems, der seinen aus Se. Helena erfundenen Wahlspruch: Man müsse die Völker mit eiserner Hand, aber mit sammetnem Handschuh regieren, nur halb an¬ wendete, denn er vergaß meistens den sammetnen Handschuh anzuziehen. Trotz der Verachtung, die Napoleon stets gegen jede nationale Kraft zur Schau trug, muß er sich innerlich ihrer auf die Länge unwiderstehlichen Macht recht wohl bewußt gewesen sein, sonst hätte er nicht so riesenhafte, die eignen Kräfte ver- ' Grenzbotcn, I. ->8L,°>. . 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/57>, abgerufen am 17.06.2024.