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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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der Erfolg immer zweifelhaft bleibt. Was nützt eS, wenn im Scherzo die
Bässe so elcphantenlalberhaft mit der Thür ins Haus fallen, zu vermuthen,
daß Wallrosse, Seelöwen und ähnliche Meerbewohner sich auf ihre Weise einen
Spaß machen sollen, da man doch nicht gewiß weiß, ob man sich in den Geist
des Componisten hineingedacht hat? Ganz unklar sind die choralartigen Melo¬
dien des letzten Satzes, wenn man sie mit dem Ocean in Verbindung setzen
soll. Sonderbar, daß der Choral in neuerer Zeit so ost, und zumal von nicht¬
protestantischen Componisten, als eine rein musikalische Form angewandt wird,
wie man Distichen oder Sonette macht. Meistens fehlt dann doch das Gefühl
für den wesentlichen Charakter des Chorals, und so auch bei Rubinstein, was
namentlich in dem Bau und der Gliederung der einzelnen Abschnitte, sozu¬
sagen der Zeilen bemerkbar ist, so daß es den Eindruck von etwas äußerlich
Angelerntem, nicht innerlich Empfundenen macht. Die Sinfonie, deren ein¬
zelne Sätze sehr lang sind, schließt sich an die breite Form der späteren
Beethovenschen Sinfonien an; bis auf den letzten Satz, der ziemlich formlos
auseinandergeht, ist die übliche formelle Darstellung zugrundegelegt, aber
ziemlich frei behandelt. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn diese
Freiheit aus einer inneren Nothwendigkeit hervorgegangen und die Verarbei¬
tung der einzelnen Motive in dieser Form eine organische wäre. Allein das
ist nicht der Fall, die logische und grammatische Verknüpfung der einzelnen
Gedanken ist vielfach springend und confus. Ebensowenig zeigt sich eine be¬
deutende und geniale Erfindung in schönen oder mächtig ergreifenden Motiven,
oder in der neuen und überraschenden Verwendung und Durchführung derselben.
So ist z. B. das Hauptthema des zweiten Satzes, welches einen einfach großarti¬
gen Charakter haben soll, nichts weniger als frei und kühn entworfen; es
macht vielmehr den Eindruck, als sei es erst zu der Begleitung erfunden und
nicht ohne Mühe mit ihr zusammengepaßt. Sonst sind Mühseligkeit und Dif-
telei nicht die Fehler, welche man Rubinstein machen kann, sondern das Beste
an seiner Composition ist eine gewisse rücksichtslose Entschlossenheit, mit welcher
er ins Zeug geht, Frische kann man es nicht nennen, dazu geht es zu toll
und wüst her. Auch in der Jnstrumentation spricht sich das aus. Der Vor¬
wurf, welchen Rubinstein gewählt hat, bringt die Malerei mit den Klangfarben
mit sich, und nach dieser Seite ist manches, auch Neues und Glänzendes ge¬
leistet; allein in der Art aus lauter einzelnen Effecten und Effectchen zusammen¬
gerechnet ist seine Jnstrumentation nicht, wie man es bei anderen Tageshelden
findet, hier ist mehr aus dem Vollen gewirthschaftet, freilich ohne daß der Erfolg
grade erfreulich wäre, denn eine harmonische Schönheit wird auch nicht gewonnen.
Noch weniger tröstlich war die Phantasie für Pianoforte und Orchester compo-
nirt und vorgetragen von Rubinstein. Hier kam eine durchaus ernte Ver¬
mischung sehr verschiedener Elemente zu Tage, neben sehr trivialen Ge-


8 *

der Erfolg immer zweifelhaft bleibt. Was nützt eS, wenn im Scherzo die
Bässe so elcphantenlalberhaft mit der Thür ins Haus fallen, zu vermuthen,
daß Wallrosse, Seelöwen und ähnliche Meerbewohner sich auf ihre Weise einen
Spaß machen sollen, da man doch nicht gewiß weiß, ob man sich in den Geist
des Componisten hineingedacht hat? Ganz unklar sind die choralartigen Melo¬
dien des letzten Satzes, wenn man sie mit dem Ocean in Verbindung setzen
soll. Sonderbar, daß der Choral in neuerer Zeit so ost, und zumal von nicht¬
protestantischen Componisten, als eine rein musikalische Form angewandt wird,
wie man Distichen oder Sonette macht. Meistens fehlt dann doch das Gefühl
für den wesentlichen Charakter des Chorals, und so auch bei Rubinstein, was
namentlich in dem Bau und der Gliederung der einzelnen Abschnitte, sozu¬
sagen der Zeilen bemerkbar ist, so daß es den Eindruck von etwas äußerlich
Angelerntem, nicht innerlich Empfundenen macht. Die Sinfonie, deren ein¬
zelne Sätze sehr lang sind, schließt sich an die breite Form der späteren
Beethovenschen Sinfonien an; bis auf den letzten Satz, der ziemlich formlos
auseinandergeht, ist die übliche formelle Darstellung zugrundegelegt, aber
ziemlich frei behandelt. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn diese
Freiheit aus einer inneren Nothwendigkeit hervorgegangen und die Verarbei¬
tung der einzelnen Motive in dieser Form eine organische wäre. Allein das
ist nicht der Fall, die logische und grammatische Verknüpfung der einzelnen
Gedanken ist vielfach springend und confus. Ebensowenig zeigt sich eine be¬
deutende und geniale Erfindung in schönen oder mächtig ergreifenden Motiven,
oder in der neuen und überraschenden Verwendung und Durchführung derselben.
So ist z. B. das Hauptthema des zweiten Satzes, welches einen einfach großarti¬
gen Charakter haben soll, nichts weniger als frei und kühn entworfen; es
macht vielmehr den Eindruck, als sei es erst zu der Begleitung erfunden und
nicht ohne Mühe mit ihr zusammengepaßt. Sonst sind Mühseligkeit und Dif-
telei nicht die Fehler, welche man Rubinstein machen kann, sondern das Beste
an seiner Composition ist eine gewisse rücksichtslose Entschlossenheit, mit welcher
er ins Zeug geht, Frische kann man es nicht nennen, dazu geht es zu toll
und wüst her. Auch in der Jnstrumentation spricht sich das aus. Der Vor¬
wurf, welchen Rubinstein gewählt hat, bringt die Malerei mit den Klangfarben
mit sich, und nach dieser Seite ist manches, auch Neues und Glänzendes ge¬
leistet; allein in der Art aus lauter einzelnen Effecten und Effectchen zusammen¬
gerechnet ist seine Jnstrumentation nicht, wie man es bei anderen Tageshelden
findet, hier ist mehr aus dem Vollen gewirthschaftet, freilich ohne daß der Erfolg
grade erfreulich wäre, denn eine harmonische Schönheit wird auch nicht gewonnen.
Noch weniger tröstlich war die Phantasie für Pianoforte und Orchester compo-
nirt und vorgetragen von Rubinstein. Hier kam eine durchaus ernte Ver¬
mischung sehr verschiedener Elemente zu Tage, neben sehr trivialen Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/67>, abgerufen am 17.06.2024.