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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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danken in gewöhnlicher, ja zopfiger Form, nur mit einiger Prätension aufgeputzt,
die barocksten Extravaganzen, die gar kein Verdienst beanspruchen können als
übelklingend zu sein, dann wieder elegante salonmäßige Klavierkunststückchen,
ein mit Meyerbeerscher Sentimentalität verhimmelndes Ventiltrompelensolo, ein
Walzerthema, das auf den Tanzboden und nicht ins Gewandhaus gehörte,
das alles nicht wie aus einem Guß, aber wie aus einem Topf, und von dem
Componisten mit einer Begeisterung vorgetragen, daß man nicht zweifeln konnte,
es sei ihm völliger Ernst damit. Es ist begreiflich, daß die stark ausgesprochenen
Extravaganzen Rubinsteins sür die Propheten der Zukunftsmusik ausreichen,
ihn zu den ihrigen zu zählen; ihre Blätter haben es ausgesprochen und der
Beifall, den diese Compositionen fanden, ward von einer mäßigen Zahl handfester
Kunstjünger erklatscht, denen ihr Herr und Meister den Takt schlug mit einer
Virtuosität auch im physischen Klatschen, die ihm seinen Posten noch auf
lange sichert. Ob diese Extravaganzen in der That eine Bürgschaft bieten für
die künftige Entwicklung Rubinsteins scheint sehr zweifelhaft, da sich des Po¬
sitiven, eigentlich Entwicklungsfähigen nur wenig in seinen C.ompositionen
zeigt. In einer Hinsicht aber ist er jedenfalls eine interessante Erscheinung;
er ist ein geborner Russe, und seine Musik trägt allerdings den Charakter der
russischen Kunst. Wer von bildender Kunst der Russen auch nur die Pferde¬
bändiger in Berlin gesehen, nur einige Werke russischer Dichter gelesen hat,
wird leicht erkennen, daß sich in dieser Kunst eine gewisse wilde ungestüme
Kraft ausspricht, die den Kampf mit großen Schwierigkeiten mit leidenschaft^
licher Lust unternimmt und mit Geschicklichkeit und Gewandheit ausführt, die
aber weder schöpferisch, noch edel, noch gebildet ist. Denn die Cultur und Ver¬
feinerung, welche sie zur -Schau trägt, wurzelt nicht wie jene Kraft im natio¬
nalen Charakter, ist nicht aus demselben herausgearbeitet, sondern ist der gerade
Gegensatz desselben; die von Fremden erborgten Resultate einer gesteigerten
Bildung, am liebsten einer verderbten Ueberbildung, sind wie eine Schminke auf¬
getragen, welche die natürliche Rohheit nur zum Schein schmückt, in der That
aber um so greller hervortreten läßt.

Rul'instein führt uns ganz natürlich zu den Virtuosen über,, da er auch
als Klavierspieler sich hören ließ. Seine Fertigkeit, namentlich seine Kraft und
Ausdauer, ist wahrhaft erstaunenswerth und eine Etude, in welcher er diese
in fast unerhörter Weise an den Tag legte, riß das gesammte Publicum hin,
das überhaupt trotz seiner classischen Bildung durch technische Virtuosität am
lebhaftesten ergriffen und begeistert wird. Ob diese Art der Anerkennung
Rubinstein willkommen war, mag zweifelhaft sein; wenigstens spielt er so, als
ob er selbst diese Virtuosität verachte, und stürmt mit einer Art leidenschaftlicher
Wuth hinein. Dadurch erhält sein Spiel ein gewisses Interesse, denn man
sieht, daß es ihm Ernst ist, allein wohlthuend ist es nicht, es fehlt demselben


danken in gewöhnlicher, ja zopfiger Form, nur mit einiger Prätension aufgeputzt,
die barocksten Extravaganzen, die gar kein Verdienst beanspruchen können als
übelklingend zu sein, dann wieder elegante salonmäßige Klavierkunststückchen,
ein mit Meyerbeerscher Sentimentalität verhimmelndes Ventiltrompelensolo, ein
Walzerthema, das auf den Tanzboden und nicht ins Gewandhaus gehörte,
das alles nicht wie aus einem Guß, aber wie aus einem Topf, und von dem
Componisten mit einer Begeisterung vorgetragen, daß man nicht zweifeln konnte,
es sei ihm völliger Ernst damit. Es ist begreiflich, daß die stark ausgesprochenen
Extravaganzen Rubinsteins sür die Propheten der Zukunftsmusik ausreichen,
ihn zu den ihrigen zu zählen; ihre Blätter haben es ausgesprochen und der
Beifall, den diese Compositionen fanden, ward von einer mäßigen Zahl handfester
Kunstjünger erklatscht, denen ihr Herr und Meister den Takt schlug mit einer
Virtuosität auch im physischen Klatschen, die ihm seinen Posten noch auf
lange sichert. Ob diese Extravaganzen in der That eine Bürgschaft bieten für
die künftige Entwicklung Rubinsteins scheint sehr zweifelhaft, da sich des Po¬
sitiven, eigentlich Entwicklungsfähigen nur wenig in seinen C.ompositionen
zeigt. In einer Hinsicht aber ist er jedenfalls eine interessante Erscheinung;
er ist ein geborner Russe, und seine Musik trägt allerdings den Charakter der
russischen Kunst. Wer von bildender Kunst der Russen auch nur die Pferde¬
bändiger in Berlin gesehen, nur einige Werke russischer Dichter gelesen hat,
wird leicht erkennen, daß sich in dieser Kunst eine gewisse wilde ungestüme
Kraft ausspricht, die den Kampf mit großen Schwierigkeiten mit leidenschaft^
licher Lust unternimmt und mit Geschicklichkeit und Gewandheit ausführt, die
aber weder schöpferisch, noch edel, noch gebildet ist. Denn die Cultur und Ver¬
feinerung, welche sie zur -Schau trägt, wurzelt nicht wie jene Kraft im natio¬
nalen Charakter, ist nicht aus demselben herausgearbeitet, sondern ist der gerade
Gegensatz desselben; die von Fremden erborgten Resultate einer gesteigerten
Bildung, am liebsten einer verderbten Ueberbildung, sind wie eine Schminke auf¬
getragen, welche die natürliche Rohheit nur zum Schein schmückt, in der That
aber um so greller hervortreten läßt.

Rul'instein führt uns ganz natürlich zu den Virtuosen über,, da er auch
als Klavierspieler sich hören ließ. Seine Fertigkeit, namentlich seine Kraft und
Ausdauer, ist wahrhaft erstaunenswerth und eine Etude, in welcher er diese
in fast unerhörter Weise an den Tag legte, riß das gesammte Publicum hin,
das überhaupt trotz seiner classischen Bildung durch technische Virtuosität am
lebhaftesten ergriffen und begeistert wird. Ob diese Art der Anerkennung
Rubinstein willkommen war, mag zweifelhaft sein; wenigstens spielt er so, als
ob er selbst diese Virtuosität verachte, und stürmt mit einer Art leidenschaftlicher
Wuth hinein. Dadurch erhält sein Spiel ein gewisses Interesse, denn man
sieht, daß es ihm Ernst ist, allein wohlthuend ist es nicht, es fehlt demselben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/68>, abgerufen am 17.06.2024.