Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Harmonie, die edle und feine Durchbildung, auf der eine wahrhaft künst¬
lerische Darstellung beruht. Durch ihr Beispiel zeigte das Frau Clara
Schumann, welche das Zur-Concert von Beethoven, eine Komposition
von wunderbarer Anmuth und Frische, heiter wie ein schöner Frühlingstag,
herrlich spielte. Im Rondo der Weberschen (^Zur-Sonate opferte aber auch sie durch
ein unerhört rasches Tempo den Charakter des Tonstücks der Bewunderung
für die Kraft und Elasticität ihrer Finger. Bedenkt man aber, daß außer¬
dem noch W. Krüger aus Stuttgart, Frl. v. H arder aus Dresden, Alfr.
Jackl, also in zehn Concerten fünf Claviervirtuosen sich hören ließen, so
heißt das doch die Ausdauer des Publicums aus eine harte Probe setzen, be¬
sonders wenn dazu kommt, daß Krüger ein Concert eigner Komposition, Frl.
v. Harder gar eins von Charles Mayer spielte, und daß die Direction unermüdlich
aus dem Princip reitet, ein fremder Künstler müsse in ein und demselben
Concert zweimal spielen. Dafür wird ihm gestattet, im zweiten Theile zur
Abwechslung z. B. unmittelbar nach der Arie aus dem Paulus: "Jerusalem,
die du tödtest die Propheten" eine Handvoll Salonniaiserien zum Besten zu
geben, die ganz bestimmt nicht unter die Rubrik des ssverum KirucUum gehören
und nur geeignet sind, wenn ja eine künstlerische Erhebung, eine musikalische
Stimmung hervorgerufen wäre, dieselbe zu zerstören und das Publicum zu
verwirren. Allerdings konnte mit Recht allen zugestanden werden, daß sie "auf
der Höhe der Technik standen;" allein höchstens wird dadurch bewiesen, daß
diese Höhe der Technik ein "überwundener Standpunkt" sei, und dazu bedürfte
es schwerlich eines so weitläufigen Jnductionsbeweises.

Auf der Höhe der Technik standen unzweifelhaft auch die Gebrüder Franz
und Carl Doppler, welche mit einer Fertigkeit, Reinheit und Präcision die
schwierigsten Variationen über bellinisirte ungarische Nationalmelodien bliesen,
daß, wer die Augen verbunden hatte, schwören konnte/ er höre eine Spieluhr.
Die augenscheinliche Ueberzeugung, daß zwei lebendige Menschen dieses Kunst¬
stück verrichteten, war es schon werth sie einmal zu hören -- aber zweimal?
Denn schließlich behielt doch Cherubini Recht, der auf die Frage, was lang¬
weiliger sei als eine Flöte, antwortete: Zwei! Dies herrliche Orchesterinstrument
wird als Soloinstrument unwiderruflich komisch, und wäre nicht bei unsrem
Publicum das Gefühl für den Anstand viel größer als für den Humor, die
Stelle, wo die ZwillingSflöten eine pathetische Melodie in Octaven zu einem
schauerlichen Tremolo der Geigen bliesen, hätte ein homerisches Gelächter her¬
vorrufen müssen. Auch die Harfe ist eigentlich kein günstiges Concertinstrument
und kann nur unter den Händen eines genialen Meisters eine solche Bedeutung
erhalten. Wenn eine Künstlerin wie Frau Melanie Parish-A lvars "in
die Saiten blitzt", so kann Man sich das schon gefallen lassen; nur hätte die


die Harmonie, die edle und feine Durchbildung, auf der eine wahrhaft künst¬
lerische Darstellung beruht. Durch ihr Beispiel zeigte das Frau Clara
Schumann, welche das Zur-Concert von Beethoven, eine Komposition
von wunderbarer Anmuth und Frische, heiter wie ein schöner Frühlingstag,
herrlich spielte. Im Rondo der Weberschen (^Zur-Sonate opferte aber auch sie durch
ein unerhört rasches Tempo den Charakter des Tonstücks der Bewunderung
für die Kraft und Elasticität ihrer Finger. Bedenkt man aber, daß außer¬
dem noch W. Krüger aus Stuttgart, Frl. v. H arder aus Dresden, Alfr.
Jackl, also in zehn Concerten fünf Claviervirtuosen sich hören ließen, so
heißt das doch die Ausdauer des Publicums aus eine harte Probe setzen, be¬
sonders wenn dazu kommt, daß Krüger ein Concert eigner Komposition, Frl.
v. Harder gar eins von Charles Mayer spielte, und daß die Direction unermüdlich
aus dem Princip reitet, ein fremder Künstler müsse in ein und demselben
Concert zweimal spielen. Dafür wird ihm gestattet, im zweiten Theile zur
Abwechslung z. B. unmittelbar nach der Arie aus dem Paulus: „Jerusalem,
die du tödtest die Propheten" eine Handvoll Salonniaiserien zum Besten zu
geben, die ganz bestimmt nicht unter die Rubrik des ssverum KirucUum gehören
und nur geeignet sind, wenn ja eine künstlerische Erhebung, eine musikalische
Stimmung hervorgerufen wäre, dieselbe zu zerstören und das Publicum zu
verwirren. Allerdings konnte mit Recht allen zugestanden werden, daß sie „auf
der Höhe der Technik standen;" allein höchstens wird dadurch bewiesen, daß
diese Höhe der Technik ein „überwundener Standpunkt" sei, und dazu bedürfte
es schwerlich eines so weitläufigen Jnductionsbeweises.

Auf der Höhe der Technik standen unzweifelhaft auch die Gebrüder Franz
und Carl Doppler, welche mit einer Fertigkeit, Reinheit und Präcision die
schwierigsten Variationen über bellinisirte ungarische Nationalmelodien bliesen,
daß, wer die Augen verbunden hatte, schwören konnte/ er höre eine Spieluhr.
Die augenscheinliche Ueberzeugung, daß zwei lebendige Menschen dieses Kunst¬
stück verrichteten, war es schon werth sie einmal zu hören — aber zweimal?
Denn schließlich behielt doch Cherubini Recht, der auf die Frage, was lang¬
weiliger sei als eine Flöte, antwortete: Zwei! Dies herrliche Orchesterinstrument
wird als Soloinstrument unwiderruflich komisch, und wäre nicht bei unsrem
Publicum das Gefühl für den Anstand viel größer als für den Humor, die
Stelle, wo die ZwillingSflöten eine pathetische Melodie in Octaven zu einem
schauerlichen Tremolo der Geigen bliesen, hätte ein homerisches Gelächter her¬
vorrufen müssen. Auch die Harfe ist eigentlich kein günstiges Concertinstrument
und kann nur unter den Händen eines genialen Meisters eine solche Bedeutung
erhalten. Wenn eine Künstlerin wie Frau Melanie Parish-A lvars „in
die Saiten blitzt", so kann Man sich das schon gefallen lassen; nur hätte die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98921"/>
          <p xml:id="ID_214" prev="#ID_213"> die Harmonie, die edle und feine Durchbildung, auf der eine wahrhaft künst¬<lb/>
lerische Darstellung beruht. Durch ihr Beispiel zeigte das Frau Clara<lb/>
Schumann, welche das Zur-Concert von Beethoven, eine Komposition<lb/>
von wunderbarer Anmuth und Frische, heiter wie ein schöner Frühlingstag,<lb/>
herrlich spielte. Im Rondo der Weberschen (^Zur-Sonate opferte aber auch sie durch<lb/>
ein unerhört rasches Tempo den Charakter des Tonstücks der Bewunderung<lb/>
für die Kraft und Elasticität ihrer Finger. Bedenkt man aber, daß außer¬<lb/>
dem noch W. Krüger aus Stuttgart, Frl. v. H arder aus Dresden, Alfr.<lb/>
Jackl, also in zehn Concerten fünf Claviervirtuosen sich hören ließen, so<lb/>
heißt das doch die Ausdauer des Publicums aus eine harte Probe setzen, be¬<lb/>
sonders wenn dazu kommt, daß Krüger ein Concert eigner Komposition, Frl.<lb/>
v. Harder gar eins von Charles Mayer spielte, und daß die Direction unermüdlich<lb/>
aus dem Princip reitet, ein fremder Künstler müsse in ein und demselben<lb/>
Concert zweimal spielen. Dafür wird ihm gestattet, im zweiten Theile zur<lb/>
Abwechslung z. B. unmittelbar nach der Arie aus dem Paulus: &#x201E;Jerusalem,<lb/>
die du tödtest die Propheten" eine Handvoll Salonniaiserien zum Besten zu<lb/>
geben, die ganz bestimmt nicht unter die Rubrik des ssverum KirucUum gehören<lb/>
und nur geeignet sind, wenn ja eine künstlerische Erhebung, eine musikalische<lb/>
Stimmung hervorgerufen wäre, dieselbe zu zerstören und das Publicum zu<lb/>
verwirren. Allerdings konnte mit Recht allen zugestanden werden, daß sie &#x201E;auf<lb/>
der Höhe der Technik standen;" allein höchstens wird dadurch bewiesen, daß<lb/>
diese Höhe der Technik ein &#x201E;überwundener Standpunkt" sei, und dazu bedürfte<lb/>
es schwerlich eines so weitläufigen Jnductionsbeweises.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215" next="#ID_216"> Auf der Höhe der Technik standen unzweifelhaft auch die Gebrüder Franz<lb/>
und Carl Doppler, welche mit einer Fertigkeit, Reinheit und Präcision die<lb/>
schwierigsten Variationen über bellinisirte ungarische Nationalmelodien bliesen,<lb/>
daß, wer die Augen verbunden hatte, schwören konnte/ er höre eine Spieluhr.<lb/>
Die augenscheinliche Ueberzeugung, daß zwei lebendige Menschen dieses Kunst¬<lb/>
stück verrichteten, war es schon werth sie einmal zu hören &#x2014; aber zweimal?<lb/>
Denn schließlich behielt doch Cherubini Recht, der auf die Frage, was lang¬<lb/>
weiliger sei als eine Flöte, antwortete: Zwei! Dies herrliche Orchesterinstrument<lb/>
wird als Soloinstrument unwiderruflich komisch, und wäre nicht bei unsrem<lb/>
Publicum das Gefühl für den Anstand viel größer als für den Humor, die<lb/>
Stelle, wo die ZwillingSflöten eine pathetische Melodie in Octaven zu einem<lb/>
schauerlichen Tremolo der Geigen bliesen, hätte ein homerisches Gelächter her¬<lb/>
vorrufen müssen. Auch die Harfe ist eigentlich kein günstiges Concertinstrument<lb/>
und kann nur unter den Händen eines genialen Meisters eine solche Bedeutung<lb/>
erhalten. Wenn eine Künstlerin wie Frau Melanie Parish-A lvars &#x201E;in<lb/>
die Saiten blitzt", so kann Man sich das schon gefallen lassen; nur hätte die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0069] die Harmonie, die edle und feine Durchbildung, auf der eine wahrhaft künst¬ lerische Darstellung beruht. Durch ihr Beispiel zeigte das Frau Clara Schumann, welche das Zur-Concert von Beethoven, eine Komposition von wunderbarer Anmuth und Frische, heiter wie ein schöner Frühlingstag, herrlich spielte. Im Rondo der Weberschen (^Zur-Sonate opferte aber auch sie durch ein unerhört rasches Tempo den Charakter des Tonstücks der Bewunderung für die Kraft und Elasticität ihrer Finger. Bedenkt man aber, daß außer¬ dem noch W. Krüger aus Stuttgart, Frl. v. H arder aus Dresden, Alfr. Jackl, also in zehn Concerten fünf Claviervirtuosen sich hören ließen, so heißt das doch die Ausdauer des Publicums aus eine harte Probe setzen, be¬ sonders wenn dazu kommt, daß Krüger ein Concert eigner Komposition, Frl. v. Harder gar eins von Charles Mayer spielte, und daß die Direction unermüdlich aus dem Princip reitet, ein fremder Künstler müsse in ein und demselben Concert zweimal spielen. Dafür wird ihm gestattet, im zweiten Theile zur Abwechslung z. B. unmittelbar nach der Arie aus dem Paulus: „Jerusalem, die du tödtest die Propheten" eine Handvoll Salonniaiserien zum Besten zu geben, die ganz bestimmt nicht unter die Rubrik des ssverum KirucUum gehören und nur geeignet sind, wenn ja eine künstlerische Erhebung, eine musikalische Stimmung hervorgerufen wäre, dieselbe zu zerstören und das Publicum zu verwirren. Allerdings konnte mit Recht allen zugestanden werden, daß sie „auf der Höhe der Technik standen;" allein höchstens wird dadurch bewiesen, daß diese Höhe der Technik ein „überwundener Standpunkt" sei, und dazu bedürfte es schwerlich eines so weitläufigen Jnductionsbeweises. Auf der Höhe der Technik standen unzweifelhaft auch die Gebrüder Franz und Carl Doppler, welche mit einer Fertigkeit, Reinheit und Präcision die schwierigsten Variationen über bellinisirte ungarische Nationalmelodien bliesen, daß, wer die Augen verbunden hatte, schwören konnte/ er höre eine Spieluhr. Die augenscheinliche Ueberzeugung, daß zwei lebendige Menschen dieses Kunst¬ stück verrichteten, war es schon werth sie einmal zu hören — aber zweimal? Denn schließlich behielt doch Cherubini Recht, der auf die Frage, was lang¬ weiliger sei als eine Flöte, antwortete: Zwei! Dies herrliche Orchesterinstrument wird als Soloinstrument unwiderruflich komisch, und wäre nicht bei unsrem Publicum das Gefühl für den Anstand viel größer als für den Humor, die Stelle, wo die ZwillingSflöten eine pathetische Melodie in Octaven zu einem schauerlichen Tremolo der Geigen bliesen, hätte ein homerisches Gelächter her¬ vorrufen müssen. Auch die Harfe ist eigentlich kein günstiges Concertinstrument und kann nur unter den Händen eines genialen Meisters eine solche Bedeutung erhalten. Wenn eine Künstlerin wie Frau Melanie Parish-A lvars „in die Saiten blitzt", so kann Man sich das schon gefallen lassen; nur hätte die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/69
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/69>, abgerufen am 17.06.2024.