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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Zeigen unsre Concerte im Ganzen betrachtet das Bestreben, die anerkannten
Meisterwerke der Vergangenheit und Gegenwart, welche geeignet sind, einem
gebildeten Publicum einen künstlerischen Genuß zu gewähren, und die besten
Leistungen der modernen Virtuosität in einer bedeutenden, mit Einsicht und
Bewußtsein durchgeführten Uebersicht und Auswahl so zur Ausführung zu
bringen, daß die Resultate einer langjährigen Kunstentwicklung klar sich her¬
ausstellen ?

Ist Sorge darauf verwendet, daß jedes einzelne Concert womöglich ein
Ganzes bilde, oder doch einen gewissen Zusammenhang zwischen den einzelnen
Stücken zeige, und die Einsicht verrathe, daß ein Kunstgenuß nicht denkbar sei
bei einem wirren Gemengsel der verschiedenarrigsten Ingredienzen?

so muß man beide verneinen. Es gibt nichts Geistloseres als die herge¬
brachte Schablone eines Abonnementconcertö: Ouvertüre -- Arie -- Virtuosen-
stück -- Arie -- Virtuosenstück -- Sinfonie. Die Direction, aber scheint
diese Schablone für so vortrefflich zu halten, daß sie nur darauf bedacht ist,
mitunter die Farbe zu wechseln, mit welcher sie darüber hinstreicht. Wir ent¬
halten uns des beschämenden Experiments durch den Abdruck einiger Programme
zu zeigen, wie dieser Anstrich mitunter ausfällt.




Ein Blick aus Rußlands militärische Stellung gegen
Preußen.

Wir halten es, wiewenig verheißungsvoll Preußens Haltung in den
letzten Monaten gewesen sein mag, dennoch sür nicht durchaus unmöglich, daß
im kommenden Frühjahr auf dem politischen Schachbret Europas eine tief¬
greifende Umgestaltung eintritt, und jener Staat die Kluft der aus den Zeiten
der heiligen Allianz herstammenden Vorurtheile, welche ihn gegenwärtig von
den Vertretern des europäischen Völkerrechts noch trennen, kühn überschreitet,
um Hand in Hand mit England, Frankreich und Oestreich den Länderkoloß
des Zarenreiches da anzugreifen, wo er allein den Stoß empfangen kann, der
ihn zum Frieden und damit zur Aufgebung der drohenden Positionen zwingen
kann, die er gegen halb Europa und gleichzeitig gegen den Kern Asiens aus
einer Grenzlinie von mehren tausend Meilen, seit nunmehr länger als einem
halben Jahrhundert eingenommen hat.

Es geschieht von diesem Standpunkte aus, und mit den Hoffnungen, für die
er Boden gewährt, wenn wir einen Blick auf Preußens militärische Aufgabe
werfen. Zu einer tiefer eingehenden und erschöpfenden Darstellung würde ein
viel umfassenderes Material gehören, als dasjenige ist, über welches wir auf
dem Punkte, wo wir diese Zeilen niederschreiben, zu verfügen haben.


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Zeigen unsre Concerte im Ganzen betrachtet das Bestreben, die anerkannten
Meisterwerke der Vergangenheit und Gegenwart, welche geeignet sind, einem
gebildeten Publicum einen künstlerischen Genuß zu gewähren, und die besten
Leistungen der modernen Virtuosität in einer bedeutenden, mit Einsicht und
Bewußtsein durchgeführten Uebersicht und Auswahl so zur Ausführung zu
bringen, daß die Resultate einer langjährigen Kunstentwicklung klar sich her¬
ausstellen ?

Ist Sorge darauf verwendet, daß jedes einzelne Concert womöglich ein
Ganzes bilde, oder doch einen gewissen Zusammenhang zwischen den einzelnen
Stücken zeige, und die Einsicht verrathe, daß ein Kunstgenuß nicht denkbar sei
bei einem wirren Gemengsel der verschiedenarrigsten Ingredienzen?

so muß man beide verneinen. Es gibt nichts Geistloseres als die herge¬
brachte Schablone eines Abonnementconcertö: Ouvertüre — Arie — Virtuosen-
stück — Arie — Virtuosenstück — Sinfonie. Die Direction, aber scheint
diese Schablone für so vortrefflich zu halten, daß sie nur darauf bedacht ist,
mitunter die Farbe zu wechseln, mit welcher sie darüber hinstreicht. Wir ent¬
halten uns des beschämenden Experiments durch den Abdruck einiger Programme
zu zeigen, wie dieser Anstrich mitunter ausfällt.




Ein Blick aus Rußlands militärische Stellung gegen
Preußen.

Wir halten es, wiewenig verheißungsvoll Preußens Haltung in den
letzten Monaten gewesen sein mag, dennoch sür nicht durchaus unmöglich, daß
im kommenden Frühjahr auf dem politischen Schachbret Europas eine tief¬
greifende Umgestaltung eintritt, und jener Staat die Kluft der aus den Zeiten
der heiligen Allianz herstammenden Vorurtheile, welche ihn gegenwärtig von
den Vertretern des europäischen Völkerrechts noch trennen, kühn überschreitet,
um Hand in Hand mit England, Frankreich und Oestreich den Länderkoloß
des Zarenreiches da anzugreifen, wo er allein den Stoß empfangen kann, der
ihn zum Frieden und damit zur Aufgebung der drohenden Positionen zwingen
kann, die er gegen halb Europa und gleichzeitig gegen den Kern Asiens aus
einer Grenzlinie von mehren tausend Meilen, seit nunmehr länger als einem
halben Jahrhundert eingenommen hat.

Es geschieht von diesem Standpunkte aus, und mit den Hoffnungen, für die
er Boden gewährt, wenn wir einen Blick auf Preußens militärische Aufgabe
werfen. Zu einer tiefer eingehenden und erschöpfenden Darstellung würde ein
viel umfassenderes Material gehören, als dasjenige ist, über welches wir auf
dem Punkte, wo wir diese Zeilen niederschreiben, zu verfügen haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/75>, abgerufen am 17.06.2024.