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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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den stoffbegierigen Leser zu verspotten und ihm die Erlaubniß zu geben, mit
Neberschlagung der Ercurse sich rein ans Stoffliche zu halten. Wir benutzen
diese Erlaubniß, indem wir auf die Ercurse nachträglich eingehen.

Von den in dein Roman auftretenden Personen ist die eine gut gezeichnet,
die Gräfin Cicile, die Vollblutaristokratin. Diese Zeichnung beweist, daß der
Verfasser, wenn er sich concentrirt, gut beobachten und seine Beobachtungen
zu einem anschauliche" Bilde vereinigen kann. Desto schwächer sind alle übrigen
Personen. Während Cicile fast ohne Entwicklung ist, werden uns alle übrigen
jn den wunderbarsten Metamorphosen vorgeführt, ohne irgendeinen Leitfaden
für ihr Verständniß, und wir haben Mühe, sie wiederzuerkennen, da sie in
der That kein eignes Leben besitzen. Sie sind reich an geistvollen Einfällen,
aber arm an Charakter und Gemüth. Sie sind sämmtlich von der Reflexion
völlig ausgehöhlt und rufen daher auch in uns keinen Glauben an ihre Eristenz
hervor. Dabei verfallen sie zuweilen in Ercentricitäten, die alles Maß über¬
schreiten. Ein bürgerlicher Bankier, der die Besitzungen eines adligen Hauses
durch seine Machinationen in seine Hände bekommt, scheint zum Frieden geneigt,
wenn man ihm die Tochter des Hauses zur Frau geben will; eine Forderung,
die nebenbei nichts Verabscheuungswürdiges an sich hat, da der Bankier, wie
die Gräfin Cente selbst bemerkt, eine stattliche, achtunggebietende Persönlichkeit ist;
indeß ein Baron Craw, der sich für die junge Dame brüderlich interessirt, findet
die Sache dennoch unstatthaft, umsomehr, da ein zweckmäßigerer Freier vor¬
handen ist. Er veranlaßt denselben, jenen Bankier auf Pistolen zu fordern,
ohne daß irgendeine bestimmte Ursache vorliegt. Dieser Einfall wird dadurch
noch 'merkwürdiger, daß es ihm sowol als seinem jungen Freunde bekannt ist,
daß der letztere ein Sohn des Bankiers sei, den er aus Pistolen heraus¬
fordert! Solche Erfindungen streifen doch gradezu an Tollhäuslerei. -- Ferner.
Eine andere Tochter Ce'alles entläuft dem elterlichen Hause, um in Paris die
Maitresse eines geistreichen, aber kranken und verbitterten Bürgerlichen zu
werden. Sie kommt nachher mit demselben ohne weiteres ins elterliche Haus
zurück, und da jener zur rechten Zeit am Herzschlag stirbt, (die ganze Figur
scheint nur dazu erfunden zu sein, um diese Todesart ausführlicher zu schildern),
so wird sie von der Familie mit offenen Armen aufgenommen, ihre gesellige
Munterkeit wird bewundert und jener Baron Craw nimmt sie zur Frau; die
Schwierigkeiten wenden ins Gleiche gebracht, die passende" Paare heirathen
sich. -- -

"Aber die Moral?" rief Craw, "die Moral von der ganzen Sache?
Ihre Geschichte zeigt, wie die adlige Tradition, der sociale Wirrwarr, Schurken
bildet, sie weist aber auch nach, daß die Theorie der Entblößung von allem
Hergebrachten, in der Gesellschaft angewendet, Bösewichter erzieht. Haben
Sie gesiegt? Haben Ihre Pläne irgendjemand gut gemacht, haben sie Segen


den stoffbegierigen Leser zu verspotten und ihm die Erlaubniß zu geben, mit
Neberschlagung der Ercurse sich rein ans Stoffliche zu halten. Wir benutzen
diese Erlaubniß, indem wir auf die Ercurse nachträglich eingehen.

Von den in dein Roman auftretenden Personen ist die eine gut gezeichnet,
die Gräfin Cicile, die Vollblutaristokratin. Diese Zeichnung beweist, daß der
Verfasser, wenn er sich concentrirt, gut beobachten und seine Beobachtungen
zu einem anschauliche« Bilde vereinigen kann. Desto schwächer sind alle übrigen
Personen. Während Cicile fast ohne Entwicklung ist, werden uns alle übrigen
jn den wunderbarsten Metamorphosen vorgeführt, ohne irgendeinen Leitfaden
für ihr Verständniß, und wir haben Mühe, sie wiederzuerkennen, da sie in
der That kein eignes Leben besitzen. Sie sind reich an geistvollen Einfällen,
aber arm an Charakter und Gemüth. Sie sind sämmtlich von der Reflexion
völlig ausgehöhlt und rufen daher auch in uns keinen Glauben an ihre Eristenz
hervor. Dabei verfallen sie zuweilen in Ercentricitäten, die alles Maß über¬
schreiten. Ein bürgerlicher Bankier, der die Besitzungen eines adligen Hauses
durch seine Machinationen in seine Hände bekommt, scheint zum Frieden geneigt,
wenn man ihm die Tochter des Hauses zur Frau geben will; eine Forderung,
die nebenbei nichts Verabscheuungswürdiges an sich hat, da der Bankier, wie
die Gräfin Cente selbst bemerkt, eine stattliche, achtunggebietende Persönlichkeit ist;
indeß ein Baron Craw, der sich für die junge Dame brüderlich interessirt, findet
die Sache dennoch unstatthaft, umsomehr, da ein zweckmäßigerer Freier vor¬
handen ist. Er veranlaßt denselben, jenen Bankier auf Pistolen zu fordern,
ohne daß irgendeine bestimmte Ursache vorliegt. Dieser Einfall wird dadurch
noch 'merkwürdiger, daß es ihm sowol als seinem jungen Freunde bekannt ist,
daß der letztere ein Sohn des Bankiers sei, den er aus Pistolen heraus¬
fordert! Solche Erfindungen streifen doch gradezu an Tollhäuslerei. — Ferner.
Eine andere Tochter Ce'alles entläuft dem elterlichen Hause, um in Paris die
Maitresse eines geistreichen, aber kranken und verbitterten Bürgerlichen zu
werden. Sie kommt nachher mit demselben ohne weiteres ins elterliche Haus
zurück, und da jener zur rechten Zeit am Herzschlag stirbt, (die ganze Figur
scheint nur dazu erfunden zu sein, um diese Todesart ausführlicher zu schildern),
so wird sie von der Familie mit offenen Armen aufgenommen, ihre gesellige
Munterkeit wird bewundert und jener Baron Craw nimmt sie zur Frau; die
Schwierigkeiten wenden ins Gleiche gebracht, die passende» Paare heirathen
sich. — -

„Aber die Moral?" rief Craw, „die Moral von der ganzen Sache?
Ihre Geschichte zeigt, wie die adlige Tradition, der sociale Wirrwarr, Schurken
bildet, sie weist aber auch nach, daß die Theorie der Entblößung von allem
Hergebrachten, in der Gesellschaft angewendet, Bösewichter erzieht. Haben
Sie gesiegt? Haben Ihre Pläne irgendjemand gut gemacht, haben sie Segen


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[0093] den stoffbegierigen Leser zu verspotten und ihm die Erlaubniß zu geben, mit Neberschlagung der Ercurse sich rein ans Stoffliche zu halten. Wir benutzen diese Erlaubniß, indem wir auf die Ercurse nachträglich eingehen. Von den in dein Roman auftretenden Personen ist die eine gut gezeichnet, die Gräfin Cicile, die Vollblutaristokratin. Diese Zeichnung beweist, daß der Verfasser, wenn er sich concentrirt, gut beobachten und seine Beobachtungen zu einem anschauliche« Bilde vereinigen kann. Desto schwächer sind alle übrigen Personen. Während Cicile fast ohne Entwicklung ist, werden uns alle übrigen jn den wunderbarsten Metamorphosen vorgeführt, ohne irgendeinen Leitfaden für ihr Verständniß, und wir haben Mühe, sie wiederzuerkennen, da sie in der That kein eignes Leben besitzen. Sie sind reich an geistvollen Einfällen, aber arm an Charakter und Gemüth. Sie sind sämmtlich von der Reflexion völlig ausgehöhlt und rufen daher auch in uns keinen Glauben an ihre Eristenz hervor. Dabei verfallen sie zuweilen in Ercentricitäten, die alles Maß über¬ schreiten. Ein bürgerlicher Bankier, der die Besitzungen eines adligen Hauses durch seine Machinationen in seine Hände bekommt, scheint zum Frieden geneigt, wenn man ihm die Tochter des Hauses zur Frau geben will; eine Forderung, die nebenbei nichts Verabscheuungswürdiges an sich hat, da der Bankier, wie die Gräfin Cente selbst bemerkt, eine stattliche, achtunggebietende Persönlichkeit ist; indeß ein Baron Craw, der sich für die junge Dame brüderlich interessirt, findet die Sache dennoch unstatthaft, umsomehr, da ein zweckmäßigerer Freier vor¬ handen ist. Er veranlaßt denselben, jenen Bankier auf Pistolen zu fordern, ohne daß irgendeine bestimmte Ursache vorliegt. Dieser Einfall wird dadurch noch 'merkwürdiger, daß es ihm sowol als seinem jungen Freunde bekannt ist, daß der letztere ein Sohn des Bankiers sei, den er aus Pistolen heraus¬ fordert! Solche Erfindungen streifen doch gradezu an Tollhäuslerei. — Ferner. Eine andere Tochter Ce'alles entläuft dem elterlichen Hause, um in Paris die Maitresse eines geistreichen, aber kranken und verbitterten Bürgerlichen zu werden. Sie kommt nachher mit demselben ohne weiteres ins elterliche Haus zurück, und da jener zur rechten Zeit am Herzschlag stirbt, (die ganze Figur scheint nur dazu erfunden zu sein, um diese Todesart ausführlicher zu schildern), so wird sie von der Familie mit offenen Armen aufgenommen, ihre gesellige Munterkeit wird bewundert und jener Baron Craw nimmt sie zur Frau; die Schwierigkeiten wenden ins Gleiche gebracht, die passende» Paare heirathen sich. — - „Aber die Moral?" rief Craw, „die Moral von der ganzen Sache? Ihre Geschichte zeigt, wie die adlige Tradition, der sociale Wirrwarr, Schurken bildet, sie weist aber auch nach, daß die Theorie der Entblößung von allem Hergebrachten, in der Gesellschaft angewendet, Bösewichter erzieht. Haben Sie gesiegt? Haben Ihre Pläne irgendjemand gut gemacht, haben sie Segen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/93>, abgerufen am 17.06.2024.