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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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gebracht? Der Verstand hat in Ihren Feinden gethan, was er mit seinen
Prämissen thun mußte, er hat in Ihnen und Christian das Gleiche vollbracht;
jene hatten ganz bestimmt unrecht, Sie haben in Ihren Grundsätzen bis auf
den Haß allerwahrscheinlichst recht, -- und doch trafen die Antipoden in der
Kunst zu verderben zusammen. Gesiegt über beide Principe der Starrheit
und der Formfestigkeit hat das vagirende Element, das Gefühl" u, s. w.

Es ist der Verfasser selbst, der diese Frage stellt, und da er keine Antwort
findet, so können wir ihm auch nicht helfen. Und die Frage war nothwendig,
denn von einer unbefangen erzählten Novelle, die durch ihren epischen Reiz
allein hinlänglich befriedigte, ist hier keine Rede. Es tritt Tendenz gegen
Tendenz. Die Erzählung rechtfertigt, sich überall nur durch den Hintergrund
des Gedankens. Die Revolutionszeit von 18i8 wird nebst ihren Ursachen
und Wirkungen ausführlich besprochen, und die ganze Anlage des Romans
zeigt, daß der Gegensatz zwischen Aristokratie und Demokratie den Leitfaden
bilden soll. Nun hat sich der Verfasser schon dadurch vergriffen, daß er nicht
die wirkliche Demokratie, sondern nur eine fingirte schildert. Seine Proletarier¬
familie gehört eigentlich auch dem Adel an, und das Haupt derselben kann
weder seiner Geburt noch seiner Bildung nach als Repräsentant der noth¬
leidenden Classen betrachtet werden. So ist denn kein wirklicher Krieg zwischen
den beiden Gegensätzen, und auch der Friede ist nur ein scheinbarer, da die
zufällige Convenienz ihn dictirt.

Wenn die Handlung selbst uns zu 6er Absichten des Verfassers keinen
Schlüssel gibt, so suchen wir ihn auch in den Reflexionen vergebens. Wir
wollen zunächst die Ercurse über Wischnu und Brahma, über Herzkrankheiten
und Aeolsharfen, über Literatur und Kunst beiseitelassen, da diese mit dem
Gegenstand gar nichts zu thun haben und in den Roman nur eingeführt
sind, weil der Verfasser grade keinen andern Platz dafür hatte. Aber auch die
politisch-socialen Reflerienen geben uns keinen Aufschluß. "Sie -werden nun
wieder so unklar, daß es scheint, als wollten Sie uns einen recht gründlichen
Vorgeschmack des Sieges der Unklarheit geben. Wie schade, Craw, daß Sie
so grenzenlos confus sind und noch confuser reden." -- So sagt die einzige
verständige Person des Romans, die Gräfin Ce'alle (S. 179) zu demjenigen
Herrn, der dem Ideenkreis des Verfassers am nächsten zu stehen scheint, und
wir stimmen mit vollem Herzen darin ein. Was der Verfasser nicht will,
sagt er ausführlich genug. Er verspottet die Gothaer, er verachtet die Demo¬
kraten in allen ihren Nüancen, er haßt die Reaction. Was will er also eigent¬
lich? Einmal spricht er sich sehr ausführlich darüber aus, daß die Befreiung
des Menschengeschlechts nur von Nußland, von dem kräftigen Blut der Slawen
zu erwarten sei; ob im Scherz oder Ernst, das mag Gott wissen.

Kurz, wir sehen uns einer Stimmung gegenüber, die in den Rittern


gebracht? Der Verstand hat in Ihren Feinden gethan, was er mit seinen
Prämissen thun mußte, er hat in Ihnen und Christian das Gleiche vollbracht;
jene hatten ganz bestimmt unrecht, Sie haben in Ihren Grundsätzen bis auf
den Haß allerwahrscheinlichst recht, — und doch trafen die Antipoden in der
Kunst zu verderben zusammen. Gesiegt über beide Principe der Starrheit
und der Formfestigkeit hat das vagirende Element, das Gefühl" u, s. w.

Es ist der Verfasser selbst, der diese Frage stellt, und da er keine Antwort
findet, so können wir ihm auch nicht helfen. Und die Frage war nothwendig,
denn von einer unbefangen erzählten Novelle, die durch ihren epischen Reiz
allein hinlänglich befriedigte, ist hier keine Rede. Es tritt Tendenz gegen
Tendenz. Die Erzählung rechtfertigt, sich überall nur durch den Hintergrund
des Gedankens. Die Revolutionszeit von 18i8 wird nebst ihren Ursachen
und Wirkungen ausführlich besprochen, und die ganze Anlage des Romans
zeigt, daß der Gegensatz zwischen Aristokratie und Demokratie den Leitfaden
bilden soll. Nun hat sich der Verfasser schon dadurch vergriffen, daß er nicht
die wirkliche Demokratie, sondern nur eine fingirte schildert. Seine Proletarier¬
familie gehört eigentlich auch dem Adel an, und das Haupt derselben kann
weder seiner Geburt noch seiner Bildung nach als Repräsentant der noth¬
leidenden Classen betrachtet werden. So ist denn kein wirklicher Krieg zwischen
den beiden Gegensätzen, und auch der Friede ist nur ein scheinbarer, da die
zufällige Convenienz ihn dictirt.

Wenn die Handlung selbst uns zu 6er Absichten des Verfassers keinen
Schlüssel gibt, so suchen wir ihn auch in den Reflexionen vergebens. Wir
wollen zunächst die Ercurse über Wischnu und Brahma, über Herzkrankheiten
und Aeolsharfen, über Literatur und Kunst beiseitelassen, da diese mit dem
Gegenstand gar nichts zu thun haben und in den Roman nur eingeführt
sind, weil der Verfasser grade keinen andern Platz dafür hatte. Aber auch die
politisch-socialen Reflerienen geben uns keinen Aufschluß. „Sie -werden nun
wieder so unklar, daß es scheint, als wollten Sie uns einen recht gründlichen
Vorgeschmack des Sieges der Unklarheit geben. Wie schade, Craw, daß Sie
so grenzenlos confus sind und noch confuser reden." — So sagt die einzige
verständige Person des Romans, die Gräfin Ce'alle (S. 179) zu demjenigen
Herrn, der dem Ideenkreis des Verfassers am nächsten zu stehen scheint, und
wir stimmen mit vollem Herzen darin ein. Was der Verfasser nicht will,
sagt er ausführlich genug. Er verspottet die Gothaer, er verachtet die Demo¬
kraten in allen ihren Nüancen, er haßt die Reaction. Was will er also eigent¬
lich? Einmal spricht er sich sehr ausführlich darüber aus, daß die Befreiung
des Menschengeschlechts nur von Nußland, von dem kräftigen Blut der Slawen
zu erwarten sei; ob im Scherz oder Ernst, das mag Gott wissen.

Kurz, wir sehen uns einer Stimmung gegenüber, die in den Rittern


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[0094] gebracht? Der Verstand hat in Ihren Feinden gethan, was er mit seinen Prämissen thun mußte, er hat in Ihnen und Christian das Gleiche vollbracht; jene hatten ganz bestimmt unrecht, Sie haben in Ihren Grundsätzen bis auf den Haß allerwahrscheinlichst recht, — und doch trafen die Antipoden in der Kunst zu verderben zusammen. Gesiegt über beide Principe der Starrheit und der Formfestigkeit hat das vagirende Element, das Gefühl" u, s. w. Es ist der Verfasser selbst, der diese Frage stellt, und da er keine Antwort findet, so können wir ihm auch nicht helfen. Und die Frage war nothwendig, denn von einer unbefangen erzählten Novelle, die durch ihren epischen Reiz allein hinlänglich befriedigte, ist hier keine Rede. Es tritt Tendenz gegen Tendenz. Die Erzählung rechtfertigt, sich überall nur durch den Hintergrund des Gedankens. Die Revolutionszeit von 18i8 wird nebst ihren Ursachen und Wirkungen ausführlich besprochen, und die ganze Anlage des Romans zeigt, daß der Gegensatz zwischen Aristokratie und Demokratie den Leitfaden bilden soll. Nun hat sich der Verfasser schon dadurch vergriffen, daß er nicht die wirkliche Demokratie, sondern nur eine fingirte schildert. Seine Proletarier¬ familie gehört eigentlich auch dem Adel an, und das Haupt derselben kann weder seiner Geburt noch seiner Bildung nach als Repräsentant der noth¬ leidenden Classen betrachtet werden. So ist denn kein wirklicher Krieg zwischen den beiden Gegensätzen, und auch der Friede ist nur ein scheinbarer, da die zufällige Convenienz ihn dictirt. Wenn die Handlung selbst uns zu 6er Absichten des Verfassers keinen Schlüssel gibt, so suchen wir ihn auch in den Reflexionen vergebens. Wir wollen zunächst die Ercurse über Wischnu und Brahma, über Herzkrankheiten und Aeolsharfen, über Literatur und Kunst beiseitelassen, da diese mit dem Gegenstand gar nichts zu thun haben und in den Roman nur eingeführt sind, weil der Verfasser grade keinen andern Platz dafür hatte. Aber auch die politisch-socialen Reflerienen geben uns keinen Aufschluß. „Sie -werden nun wieder so unklar, daß es scheint, als wollten Sie uns einen recht gründlichen Vorgeschmack des Sieges der Unklarheit geben. Wie schade, Craw, daß Sie so grenzenlos confus sind und noch confuser reden." — So sagt die einzige verständige Person des Romans, die Gräfin Ce'alle (S. 179) zu demjenigen Herrn, der dem Ideenkreis des Verfassers am nächsten zu stehen scheint, und wir stimmen mit vollem Herzen darin ein. Was der Verfasser nicht will, sagt er ausführlich genug. Er verspottet die Gothaer, er verachtet die Demo¬ kraten in allen ihren Nüancen, er haßt die Reaction. Was will er also eigent¬ lich? Einmal spricht er sich sehr ausführlich darüber aus, daß die Befreiung des Menschengeschlechts nur von Nußland, von dem kräftigen Blut der Slawen zu erwarten sei; ob im Scherz oder Ernst, das mag Gott wissen. Kurz, wir sehen uns einer Stimmung gegenüber, die in den Rittern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/94>, abgerufen am 17.06.2024.