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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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dermann. Herausgegeben von Benedict Schellinger. Wien, N.^Lechners
Universitätsbuchhandlung. -- In dieser glänzend ausgestatteten Sammlung ist
wenigstens einiges vorhanden, was Hoffnungen erweckt, wenn man annimmt,
daß man es meistens mit jungen Dichtern zu thün hat. Doch überwiegt im
Ganzen das Mittelmäßige. --

Das Haus Picard oder Fünfmalhunderttausend Francs Renten.
Sittenroman von Dr. Louis Veron. Aus dem Französischen übersetzt von
August Schrader. Leipzig, Kollmann. -- Der Roman hat in Paris großes'
Aufsehen gemacht, wol hauptsächlich um des Verfassers willen, denn weder im
Inhalt noch in der Bearbeitung ist etwas wesentlich Neues. Daß der schwin¬
delnde Erwerb auf der Börse den glücklichen Bankier zu unsolider Wirthschaft
verleitet, und worin diese Wirthschaft besteht, das hat uns schon Balzac aus
der einen, Sue und Dumas auf der andern Seite hinreichend auseinander¬
gesetzt. Natürlich ist auch dies Mal, wie bei allen neuern französischen
Romanen, die Tendenz eine moralische. Die soliden Kaufleute sollen vor
Schwindelgeschäften gewarnt werden; aber wir fürchten, daß dieser Zweck nur
halb erreicht wird, denn die Genüsse des Lurus sind mit einem so glänzenven
Farbenaufwand dargestellt, und die Verirrungen scheinen so leicht zu umgehen,
daß man mehr die Sehnsucht nach glänzenden Reichthümern, als die Be¬
friedigung an einem beschränkten Loose aus diesem Buche schöpfen wird. Das
moderne Babel hat von Zeit zu Zeit seine moralischen Anwandlungen, aber
das sind nur flüchtige Regungen des Gewissens, die ohne Nachwirkung blei¬
ben. Der Taumel des Gewinns und des sinnlichen Genusses "ist zu mächtig
geworden, und wer nicht mit dem Reichsten wetteisern kann, hält sein Leben
für verloren. --

Einkehr und Umkehr. Roman von Julius Hammer. A Bände.
Leipzig, Brockhaus. -- Der Verfasser, der durch seine Gedichte so vielen Bei¬
fall erworben hat, ist mit seinem ersten belletristischen Versuch nicht glücklich
gewesen. Vieles wird er bei einem neuen Roman besser machen können, wenn
er sich mehr an vie Gesetze der Kunst erinnert. Der Roman ist eine Erzäh-
ümg, c>le den Leser bis zum Ende hin spannen soll. Die Einzelnheiten der¬
selben müssen alle auf diesen Zweck berechnet sein. Es ist ein Fehler, wenn,
wie es hier geschieht, schon in der Mitte des Buchs die Spannung völlig
"ufhört, wenn Detailumstände, die aus den Fortgang der Handlung keinen
Einfluß haben, und auch an sich nicht interessant sind, in breiter Ausführlich¬
keit vorgetragen werden, wenn die Handlung durch unbedeutende Kunstgespräche
retardirr wird, wenn gleich zu Anfang, wo wir erst mit der Natur der handeln¬
den Personen bekannt gemacht wervcn sollen, große Katastrophen- eintreten,
wenn der Verfasser, anstatt die Natur seiner Personen in der Handlung und
"n Gespräch zu entfalten, uns seine eignen Reflexionen über sie mittheilt u. s. w.


dermann. Herausgegeben von Benedict Schellinger. Wien, N.^Lechners
Universitätsbuchhandlung. — In dieser glänzend ausgestatteten Sammlung ist
wenigstens einiges vorhanden, was Hoffnungen erweckt, wenn man annimmt,
daß man es meistens mit jungen Dichtern zu thün hat. Doch überwiegt im
Ganzen das Mittelmäßige. —

Das Haus Picard oder Fünfmalhunderttausend Francs Renten.
Sittenroman von Dr. Louis Veron. Aus dem Französischen übersetzt von
August Schrader. Leipzig, Kollmann. — Der Roman hat in Paris großes'
Aufsehen gemacht, wol hauptsächlich um des Verfassers willen, denn weder im
Inhalt noch in der Bearbeitung ist etwas wesentlich Neues. Daß der schwin¬
delnde Erwerb auf der Börse den glücklichen Bankier zu unsolider Wirthschaft
verleitet, und worin diese Wirthschaft besteht, das hat uns schon Balzac aus
der einen, Sue und Dumas auf der andern Seite hinreichend auseinander¬
gesetzt. Natürlich ist auch dies Mal, wie bei allen neuern französischen
Romanen, die Tendenz eine moralische. Die soliden Kaufleute sollen vor
Schwindelgeschäften gewarnt werden; aber wir fürchten, daß dieser Zweck nur
halb erreicht wird, denn die Genüsse des Lurus sind mit einem so glänzenven
Farbenaufwand dargestellt, und die Verirrungen scheinen so leicht zu umgehen,
daß man mehr die Sehnsucht nach glänzenden Reichthümern, als die Be¬
friedigung an einem beschränkten Loose aus diesem Buche schöpfen wird. Das
moderne Babel hat von Zeit zu Zeit seine moralischen Anwandlungen, aber
das sind nur flüchtige Regungen des Gewissens, die ohne Nachwirkung blei¬
ben. Der Taumel des Gewinns und des sinnlichen Genusses »ist zu mächtig
geworden, und wer nicht mit dem Reichsten wetteisern kann, hält sein Leben
für verloren. —

Einkehr und Umkehr. Roman von Julius Hammer. A Bände.
Leipzig, Brockhaus. — Der Verfasser, der durch seine Gedichte so vielen Bei¬
fall erworben hat, ist mit seinem ersten belletristischen Versuch nicht glücklich
gewesen. Vieles wird er bei einem neuen Roman besser machen können, wenn
er sich mehr an vie Gesetze der Kunst erinnert. Der Roman ist eine Erzäh-
ümg, c>le den Leser bis zum Ende hin spannen soll. Die Einzelnheiten der¬
selben müssen alle auf diesen Zweck berechnet sein. Es ist ein Fehler, wenn,
wie es hier geschieht, schon in der Mitte des Buchs die Spannung völlig
"ufhört, wenn Detailumstände, die aus den Fortgang der Handlung keinen
Einfluß haben, und auch an sich nicht interessant sind, in breiter Ausführlich¬
keit vorgetragen werden, wenn die Handlung durch unbedeutende Kunstgespräche
retardirr wird, wenn gleich zu Anfang, wo wir erst mit der Natur der handeln¬
den Personen bekannt gemacht wervcn sollen, große Katastrophen- eintreten,
wenn der Verfasser, anstatt die Natur seiner Personen in der Handlung und
»n Gespräch zu entfalten, uns seine eignen Reflexionen über sie mittheilt u. s. w.


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[0111] dermann. Herausgegeben von Benedict Schellinger. Wien, N.^Lechners Universitätsbuchhandlung. — In dieser glänzend ausgestatteten Sammlung ist wenigstens einiges vorhanden, was Hoffnungen erweckt, wenn man annimmt, daß man es meistens mit jungen Dichtern zu thün hat. Doch überwiegt im Ganzen das Mittelmäßige. — Das Haus Picard oder Fünfmalhunderttausend Francs Renten. Sittenroman von Dr. Louis Veron. Aus dem Französischen übersetzt von August Schrader. Leipzig, Kollmann. — Der Roman hat in Paris großes' Aufsehen gemacht, wol hauptsächlich um des Verfassers willen, denn weder im Inhalt noch in der Bearbeitung ist etwas wesentlich Neues. Daß der schwin¬ delnde Erwerb auf der Börse den glücklichen Bankier zu unsolider Wirthschaft verleitet, und worin diese Wirthschaft besteht, das hat uns schon Balzac aus der einen, Sue und Dumas auf der andern Seite hinreichend auseinander¬ gesetzt. Natürlich ist auch dies Mal, wie bei allen neuern französischen Romanen, die Tendenz eine moralische. Die soliden Kaufleute sollen vor Schwindelgeschäften gewarnt werden; aber wir fürchten, daß dieser Zweck nur halb erreicht wird, denn die Genüsse des Lurus sind mit einem so glänzenven Farbenaufwand dargestellt, und die Verirrungen scheinen so leicht zu umgehen, daß man mehr die Sehnsucht nach glänzenden Reichthümern, als die Be¬ friedigung an einem beschränkten Loose aus diesem Buche schöpfen wird. Das moderne Babel hat von Zeit zu Zeit seine moralischen Anwandlungen, aber das sind nur flüchtige Regungen des Gewissens, die ohne Nachwirkung blei¬ ben. Der Taumel des Gewinns und des sinnlichen Genusses »ist zu mächtig geworden, und wer nicht mit dem Reichsten wetteisern kann, hält sein Leben für verloren. — Einkehr und Umkehr. Roman von Julius Hammer. A Bände. Leipzig, Brockhaus. — Der Verfasser, der durch seine Gedichte so vielen Bei¬ fall erworben hat, ist mit seinem ersten belletristischen Versuch nicht glücklich gewesen. Vieles wird er bei einem neuen Roman besser machen können, wenn er sich mehr an vie Gesetze der Kunst erinnert. Der Roman ist eine Erzäh- ümg, c>le den Leser bis zum Ende hin spannen soll. Die Einzelnheiten der¬ selben müssen alle auf diesen Zweck berechnet sein. Es ist ein Fehler, wenn, wie es hier geschieht, schon in der Mitte des Buchs die Spannung völlig "ufhört, wenn Detailumstände, die aus den Fortgang der Handlung keinen Einfluß haben, und auch an sich nicht interessant sind, in breiter Ausführlich¬ keit vorgetragen werden, wenn die Handlung durch unbedeutende Kunstgespräche retardirr wird, wenn gleich zu Anfang, wo wir erst mit der Natur der handeln¬ den Personen bekannt gemacht wervcn sollen, große Katastrophen- eintreten, wenn der Verfasser, anstatt die Natur seiner Personen in der Handlung und »n Gespräch zu entfalten, uns seine eignen Reflexionen über sie mittheilt u. s. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/111>, abgerufen am 16.06.2024.