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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Das alles sind sehr entschiedene Fehler, und sie werden weder durch Neichthi/in
der Erfindung, noch durch Tiefe der Beobachtung gut gemacht. Der Roman
würde mit vielen andern von gleichem oder, gar minderem Werth mitlaufen,
aber grade da der Verfasser bereits einen geachteten Namen hat und ein lobens-
werthes Streben zeigt, halten wir es für unsre Pflicht, ihm zuzurufen, daß
sein Versuch völlig mißglückt ist. Möge er dieses Urtheil an dem Urtheil von
Männern, auf die er persönlich etwas gibt, prüfen, um, wenn er sich davon
überzeugt, entweder einen ganz neuen, ernstern Anlauf zu nehmen, oder von
eiyem Wege abzulassen, der ihm keine Frucht verspricht. --

Narren des Glücks. Historischer Roman von Edmund Lobedanz.
3 Bde. Leipzig, Brockhaus. -- Der historische Theil des Romans, die Ge¬
schichte Struensees, die von unsern Belletristen schon so häufig bearbeitet ist, .
daß dem neuen Erfinder kaum noch etwas übrigbleibt, ist mißlungen. Besser
ausgeführt ist der eigentlich novellistische Inhalt, wenigstens waS die Schilde¬
rung und die Erzählung betrifft; die Charakteristik dagegen hat viele Schwächen,
und das tritt um so auffallender hervor, da die Erfindung häufig ans Un¬
geheuerliche streift. Was uns bei dem geschickten Uebersetzer der Sakuntala ge¬
wundert hat, ist die geringe Aufmerksamkeit, die er auf den Stil verwendet.
Seine poetische Sprache ist mitunter von großer Schönheit, seine Prosa aber
fast durchweg nachlässig, und man steht die leichte Arbeit heraus. Für einen
künftigen Versuch wäre es gut, wenn er aus die Gruppirung der Thatsachen
und die allmälige Entwicklung der Charaktere eine größere Aufmerksamkeit ver¬
wendete. -- "-

Leipziger Lesecabinet (Leipzig, Einhorn). -- Von allen Sammlungen
belletristischer Art, die in neuester Zeit in so ungewöhnlicher Zahl auftreten,
ist die vorliegende äußerlich am glänzendsten ausgestattet. Sie scheint sich vor¬
zugsweise auf Uebersetzungen zu legen, doch fehlen auch die Originalwerke
keineswegs. Das ausgedehnteste Werk in den uns vorliegenden Heften ist
der Roman von Ludwig Bechstein: Die Geheimnisse eines Wundermanns.
Der Wundermann ist der aus Goethes Annalen wohlbekannte helmstedter Pro¬
fessor Beireis, von dessen sonderbaren Grillen und Einbildungen der Dichter
eine so höchst ergötzliche Schilderung gegeben hat. Bechstein hat mehre Kuriosi¬
täten jener Zeit zur lebhaftem Ausmalung seines Charakters benutzt; ob aber
die Geschichte durch die breitere Ausführung an Frische und Lebendigkeit ge¬
wonnen hat, muß dahingestellt bleiben. -- Sehr anziehende Schilderungen aus
dem Hirtenleben der Gebirgswüsten enthält das Buch von Mellin: Schwe¬
dens Nomaden (übersetzt von Schirf). -- Eine wunderliche Erfindung ist ein
Roman aus der Ritterzeit von Scribe: der Pathe des Amadis, oder die
Liebe einer Fee (übersetzt von Dietzmann). Wir haben in diesen heitern,
phantastischen Arabesken trotz der echt pariser Einleitung kaum unsern alten


Das alles sind sehr entschiedene Fehler, und sie werden weder durch Neichthi/in
der Erfindung, noch durch Tiefe der Beobachtung gut gemacht. Der Roman
würde mit vielen andern von gleichem oder, gar minderem Werth mitlaufen,
aber grade da der Verfasser bereits einen geachteten Namen hat und ein lobens-
werthes Streben zeigt, halten wir es für unsre Pflicht, ihm zuzurufen, daß
sein Versuch völlig mißglückt ist. Möge er dieses Urtheil an dem Urtheil von
Männern, auf die er persönlich etwas gibt, prüfen, um, wenn er sich davon
überzeugt, entweder einen ganz neuen, ernstern Anlauf zu nehmen, oder von
eiyem Wege abzulassen, der ihm keine Frucht verspricht. —

Narren des Glücks. Historischer Roman von Edmund Lobedanz.
3 Bde. Leipzig, Brockhaus. — Der historische Theil des Romans, die Ge¬
schichte Struensees, die von unsern Belletristen schon so häufig bearbeitet ist, .
daß dem neuen Erfinder kaum noch etwas übrigbleibt, ist mißlungen. Besser
ausgeführt ist der eigentlich novellistische Inhalt, wenigstens waS die Schilde¬
rung und die Erzählung betrifft; die Charakteristik dagegen hat viele Schwächen,
und das tritt um so auffallender hervor, da die Erfindung häufig ans Un¬
geheuerliche streift. Was uns bei dem geschickten Uebersetzer der Sakuntala ge¬
wundert hat, ist die geringe Aufmerksamkeit, die er auf den Stil verwendet.
Seine poetische Sprache ist mitunter von großer Schönheit, seine Prosa aber
fast durchweg nachlässig, und man steht die leichte Arbeit heraus. Für einen
künftigen Versuch wäre es gut, wenn er aus die Gruppirung der Thatsachen
und die allmälige Entwicklung der Charaktere eine größere Aufmerksamkeit ver¬
wendete. — «-

Leipziger Lesecabinet (Leipzig, Einhorn). — Von allen Sammlungen
belletristischer Art, die in neuester Zeit in so ungewöhnlicher Zahl auftreten,
ist die vorliegende äußerlich am glänzendsten ausgestattet. Sie scheint sich vor¬
zugsweise auf Uebersetzungen zu legen, doch fehlen auch die Originalwerke
keineswegs. Das ausgedehnteste Werk in den uns vorliegenden Heften ist
der Roman von Ludwig Bechstein: Die Geheimnisse eines Wundermanns.
Der Wundermann ist der aus Goethes Annalen wohlbekannte helmstedter Pro¬
fessor Beireis, von dessen sonderbaren Grillen und Einbildungen der Dichter
eine so höchst ergötzliche Schilderung gegeben hat. Bechstein hat mehre Kuriosi¬
täten jener Zeit zur lebhaftem Ausmalung seines Charakters benutzt; ob aber
die Geschichte durch die breitere Ausführung an Frische und Lebendigkeit ge¬
wonnen hat, muß dahingestellt bleiben. — Sehr anziehende Schilderungen aus
dem Hirtenleben der Gebirgswüsten enthält das Buch von Mellin: Schwe¬
dens Nomaden (übersetzt von Schirf). — Eine wunderliche Erfindung ist ein
Roman aus der Ritterzeit von Scribe: der Pathe des Amadis, oder die
Liebe einer Fee (übersetzt von Dietzmann). Wir haben in diesen heitern,
phantastischen Arabesken trotz der echt pariser Einleitung kaum unsern alten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/112>, abgerufen am 15.06.2024.