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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Im Jahr-I7i6 wurde der allgemeine Anzeiger (Keneritl aüvczrtiser) begrün¬
det, drr erste erfolgreiche Versuch, ein Blatt ausschließlich mit Ankündigungen
zu füllen. Seine Spalten, in denen die Annoncen nach Classen geordnet und
durch Striche abgetheilt sind, sind die ersten, die einen modernen Anstrich haben.
Regelmäßig ist die Abfahrt von Schiffen angekündigt, und diese altmodischen
Fahrzeuge segeln in grader Linie die Spalte nieder. Endlich hatten die Handels¬
angelegenheiten die Oberhand gewonnen. Noch immer gibt es Erkundigungen
nach einem "scharlachnen Schnurrock", einem "Degen" u. s. w.; auch die
Theater kündigen sich an (es war der Anbruch der Zeit, welche die größten Schau¬
spieler Englands auf der Bühne sah), aber im Vergleich zur Vergangenheit
hören die Lustbarkeiten und Thorheiten der Stadt nun auf, sich durch das
Medium von Annoncen bemerkbar zu machen. Das große Erdbeben von
Lissabon erregte einen solchen Schreck, daß Maskeraden gesetzlich verboten wur¬
den. Auch Puppentheater, Seiltänzer, Auctionen von Chinaporzellan und
öffentliche Frühstücke sangen nun an seltner zu werden, da die Ladies Betty
und Sally und wie sie sonst hießen, die diese Vergnügungen patronisirten, sich
verschrumpft, verwelkt und mit Schönpflästerchen beklebt von der Bühne zu¬
rückzogen. Die Aeußerungen des politischen Geistes, so weit sie sich in Anzeigen
bemerkbar machen, beschränken sich aus Zweckessen, z. B.: "Halbmondtaverne,
Cheapside. Nächsten Sonnabend am 16. April, als am Jahrestag der ruhm¬
reichen Schlacht von Culloden, werden "die Sterne" sich im Mond um sechs
Uhr Abends versammeln. Deshalb werden die auserlesenen Geister ersucht
sich einzufinden und das Vergnügen vollständig zu machen. Endymion."

Fünfundzwanzig Jahr nach diesem Datum waren die meisten der noch be¬
stehenden Morgenblätter bereits begründet, und da ihre für Annoncen be¬
stimmten Spalten den gegenwärtigen schon sehr ähnlich sehn, so würde es kein
Interesse haben, sie im Detail zu verfolgen. In unserm Jahrhundert begann
die Kunst der Anzeigen ihre Höhe zu erreichen. Packwood, der vor einigen
30 Jahren seine Streichrieme für Rasirmesser so unauslöschlich in Den Geist
jedes bärtigen Individuums der drei Königreiche prägte, war der Führer in der
Bahn. Er gab auf die Frage nach dem Verfasser seiner Annoncen die be¬
rühmte Antwort: "Nun Herr, wir halten einen Dichter!" Doch die Palme in
der Kunst des Puffs wird einstimmig dem verstorbenen George Robins zu¬
erkannt, seine Anzeigen waren in der That künstlerisch geschrieben, es war
Genialität darin^ Einst hatte er die Schönheiten eines Landsitzes als so be¬
zaubernd geschildert, daß er nöthig fand, seine Schilderung durch irgend einen
Fehler zu entstellen, damit das beschriebene Paradies nicht für diese Welt zu
schön gefunden würde. "Aber, seufzte dieser Hafis des Geschäfts, es sind zwei
Schattenseiten dabei, daß der Boden zu dick mit Rosenblättern bestreut ist und
die Nachtigallen zu viel Lärm machen." Mit ihiü starb die Poesie des Puffs.


Im Jahr-I7i6 wurde der allgemeine Anzeiger (Keneritl aüvczrtiser) begrün¬
det, drr erste erfolgreiche Versuch, ein Blatt ausschließlich mit Ankündigungen
zu füllen. Seine Spalten, in denen die Annoncen nach Classen geordnet und
durch Striche abgetheilt sind, sind die ersten, die einen modernen Anstrich haben.
Regelmäßig ist die Abfahrt von Schiffen angekündigt, und diese altmodischen
Fahrzeuge segeln in grader Linie die Spalte nieder. Endlich hatten die Handels¬
angelegenheiten die Oberhand gewonnen. Noch immer gibt es Erkundigungen
nach einem „scharlachnen Schnurrock", einem „Degen" u. s. w.; auch die
Theater kündigen sich an (es war der Anbruch der Zeit, welche die größten Schau¬
spieler Englands auf der Bühne sah), aber im Vergleich zur Vergangenheit
hören die Lustbarkeiten und Thorheiten der Stadt nun auf, sich durch das
Medium von Annoncen bemerkbar zu machen. Das große Erdbeben von
Lissabon erregte einen solchen Schreck, daß Maskeraden gesetzlich verboten wur¬
den. Auch Puppentheater, Seiltänzer, Auctionen von Chinaporzellan und
öffentliche Frühstücke sangen nun an seltner zu werden, da die Ladies Betty
und Sally und wie sie sonst hießen, die diese Vergnügungen patronisirten, sich
verschrumpft, verwelkt und mit Schönpflästerchen beklebt von der Bühne zu¬
rückzogen. Die Aeußerungen des politischen Geistes, so weit sie sich in Anzeigen
bemerkbar machen, beschränken sich aus Zweckessen, z. B.: „Halbmondtaverne,
Cheapside. Nächsten Sonnabend am 16. April, als am Jahrestag der ruhm¬
reichen Schlacht von Culloden, werden „die Sterne" sich im Mond um sechs
Uhr Abends versammeln. Deshalb werden die auserlesenen Geister ersucht
sich einzufinden und das Vergnügen vollständig zu machen. Endymion."

Fünfundzwanzig Jahr nach diesem Datum waren die meisten der noch be¬
stehenden Morgenblätter bereits begründet, und da ihre für Annoncen be¬
stimmten Spalten den gegenwärtigen schon sehr ähnlich sehn, so würde es kein
Interesse haben, sie im Detail zu verfolgen. In unserm Jahrhundert begann
die Kunst der Anzeigen ihre Höhe zu erreichen. Packwood, der vor einigen
30 Jahren seine Streichrieme für Rasirmesser so unauslöschlich in Den Geist
jedes bärtigen Individuums der drei Königreiche prägte, war der Führer in der
Bahn. Er gab auf die Frage nach dem Verfasser seiner Annoncen die be¬
rühmte Antwort: „Nun Herr, wir halten einen Dichter!" Doch die Palme in
der Kunst des Puffs wird einstimmig dem verstorbenen George Robins zu¬
erkannt, seine Anzeigen waren in der That künstlerisch geschrieben, es war
Genialität darin^ Einst hatte er die Schönheiten eines Landsitzes als so be¬
zaubernd geschildert, daß er nöthig fand, seine Schilderung durch irgend einen
Fehler zu entstellen, damit das beschriebene Paradies nicht für diese Welt zu
schön gefunden würde. „Aber, seufzte dieser Hafis des Geschäfts, es sind zwei
Schattenseiten dabei, daß der Boden zu dick mit Rosenblättern bestreut ist und
die Nachtigallen zu viel Lärm machen." Mit ihiü starb die Poesie des Puffs.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/138>, abgerufen am 15.06.2024.