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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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nimmt, kann man schon aus den deutschen Uebertragungen entnehmen, die bei
Kollmann erscheinen und die eine mäßige Bibliothek vollständig ausfüllen
würden.

Zu einer ganz andern Classe gehören diejenigen Dichter, denen wir in
der gegenwärtigen Bibliothek begegnen. Während in den Romanen die posi¬
tive Ueberzeugung in Bezug auf Staat und Kirche mit einer dogmatischen
Sicherheit auftritt, verlieren wir uns hier in die Nebel des Skepticismus, in
das bunte Traumland der romantischen Phantasie. ES ist eine Reihe stiller,
träumerischer Denker und Dichter, die ihre geistige Nahrung mehr in Deutsch¬
land, als in der Heimath geschöpft haben, und die anscheinend einen unbedingten
Gegensatz gegen den Volkscharakter der nordamerikanischen Freistaaten bilden; und
doch werden sie mit Eifer gelesen, ja man kann sagen, verschlungen. Es ist
also nicht eine Erscheinung, die dem Zufall angehört, sondern die eine wesent¬
liche Gemüthsrichtung in der Entwicklung des amerikanischen Charakters be¬
zeichnet. In dem Leben und Treiben der Menschen herrscht der Materialismus,
die Selbstsucht und der harte endliche Verstand in einer schrankenlosen Aus¬
dehnung, und doch scheint allmälig das Gefühl der Leere einzutreten, man sehnt
sich nach etwas Geistigen, nach einem Glauben oder auch nur nach einem
träumerischen Ideal, um sich selbst und den Mechanismus des irdischen Trei¬
bens zu vergessen.

Von Longfellow, dem bedeutendsten Dichter dieser Richtung haben wir
schon in einem frühern Artikel eine kurze Schilderung gegeben. Es ist seitdem
von ihm ein neues Werk erschienen: ^lie sonx ok Uianatlla, welches bereits
von Adolf Vöttger (Leipzig, F. L. Herbig) ins Deutsche übersetzt ist. Die
Uebersetzung verdient unbedingtes Lob, der poetische Ton des Originals ist
richtig getroffen, ohne daß der deutschen Sprache irgendwie Gewalt angethan
wäre. Freilich kommt dies Mal.das Original dem Uebersetzer zu Hilfe, denn
ist durchaus deutsch gedacht und ohne die herderschen Bearbeitungen spani¬
scher Romanzen wäre Longfellow wahrscheinlich ebensowenig auf diese Form
gekommen, als auf die Herameter der Evangeline, wenn er nicht vorher Her¬
mann und Dorothee studirt hätte. Das Original hat außerordentlichen Bei¬
fall gefunden; es sind, wie wir hören, in Amerika binnen zwei Monaten zwölf¬
tausend Exemplare verkauft worden. -- Der Gegenstand ist der wunderlichste,
den der Dichter bisher bearbeitet. Es sind, wie er im Prolog andeutet, reli¬
giöse Stammsagen der Indianer, die er in den Zusammenhang einer epischen
Dichtung verwebt hat. Indeß glauben wir nicht mit Unrecht zu vermuthen,
daß von dem Indianischen nicht viel übriggeblieben ist, als die barbarischen
Namen und einige groteske Bilder, und wir würden deshalb davor warnen,
die Mythologie der Indianer aus diesem Gedicht studiren zu wollen. Die
Figuren haben keine merkliche Consistenz; bald sind es Götter, bald Winde,


nimmt, kann man schon aus den deutschen Uebertragungen entnehmen, die bei
Kollmann erscheinen und die eine mäßige Bibliothek vollständig ausfüllen
würden.

Zu einer ganz andern Classe gehören diejenigen Dichter, denen wir in
der gegenwärtigen Bibliothek begegnen. Während in den Romanen die posi¬
tive Ueberzeugung in Bezug auf Staat und Kirche mit einer dogmatischen
Sicherheit auftritt, verlieren wir uns hier in die Nebel des Skepticismus, in
das bunte Traumland der romantischen Phantasie. ES ist eine Reihe stiller,
träumerischer Denker und Dichter, die ihre geistige Nahrung mehr in Deutsch¬
land, als in der Heimath geschöpft haben, und die anscheinend einen unbedingten
Gegensatz gegen den Volkscharakter der nordamerikanischen Freistaaten bilden; und
doch werden sie mit Eifer gelesen, ja man kann sagen, verschlungen. Es ist
also nicht eine Erscheinung, die dem Zufall angehört, sondern die eine wesent¬
liche Gemüthsrichtung in der Entwicklung des amerikanischen Charakters be¬
zeichnet. In dem Leben und Treiben der Menschen herrscht der Materialismus,
die Selbstsucht und der harte endliche Verstand in einer schrankenlosen Aus¬
dehnung, und doch scheint allmälig das Gefühl der Leere einzutreten, man sehnt
sich nach etwas Geistigen, nach einem Glauben oder auch nur nach einem
träumerischen Ideal, um sich selbst und den Mechanismus des irdischen Trei¬
bens zu vergessen.

Von Longfellow, dem bedeutendsten Dichter dieser Richtung haben wir
schon in einem frühern Artikel eine kurze Schilderung gegeben. Es ist seitdem
von ihm ein neues Werk erschienen: ^lie sonx ok Uianatlla, welches bereits
von Adolf Vöttger (Leipzig, F. L. Herbig) ins Deutsche übersetzt ist. Die
Uebersetzung verdient unbedingtes Lob, der poetische Ton des Originals ist
richtig getroffen, ohne daß der deutschen Sprache irgendwie Gewalt angethan
wäre. Freilich kommt dies Mal.das Original dem Uebersetzer zu Hilfe, denn
ist durchaus deutsch gedacht und ohne die herderschen Bearbeitungen spani¬
scher Romanzen wäre Longfellow wahrscheinlich ebensowenig auf diese Form
gekommen, als auf die Herameter der Evangeline, wenn er nicht vorher Her¬
mann und Dorothee studirt hätte. Das Original hat außerordentlichen Bei¬
fall gefunden; es sind, wie wir hören, in Amerika binnen zwei Monaten zwölf¬
tausend Exemplare verkauft worden. — Der Gegenstand ist der wunderlichste,
den der Dichter bisher bearbeitet. Es sind, wie er im Prolog andeutet, reli¬
giöse Stammsagen der Indianer, die er in den Zusammenhang einer epischen
Dichtung verwebt hat. Indeß glauben wir nicht mit Unrecht zu vermuthen,
daß von dem Indianischen nicht viel übriggeblieben ist, als die barbarischen
Namen und einige groteske Bilder, und wir würden deshalb davor warnen,
die Mythologie der Indianer aus diesem Gedicht studiren zu wollen. Die
Figuren haben keine merkliche Consistenz; bald sind es Götter, bald Winde,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/143>, abgerufen am 15.06.2024.