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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Drang, der damit verknüpft ist, nützlich sein; für daS Individuum aber, dessen
herrschende Leidenschaft er in einen Kanal treibt, ist er gefährlich. Durch
einen unnatürlichen Proceß preßt er den Saft des Herzens zusammen und
verwandelt ihn in Gift, indem der eine leitende Gedanke alle andern Empfin¬
dungen des Gemüths zum Schweigen bringt. Die Heldin Zenobia, die in
der Liebe zu diesem rauhen Fanatiker untergeht, erinnert durch einige Züge an
Margarethe Füller, die geistvolle Frau, die gewissermaßen an der Spitze dieser
romantisch-skeptischen Schule steht. Sie ist aber mit poetischer Freiheit aus¬
geführt. Priscilla, das schwächere Weib, ist nur der Schatten dieser stolzen
Heroine. Wenn auch einzelne Züge der Leidenschaft in diesem psychologischen
Gemälde mit kühner Virtuosität ausgeführt sind, so ist in der Entwicklung
des Ganzen doch zu wenig Spannung, um ein bleibendes Interesse hervor¬
zurufen.

Ein junger Dichter, der ziemlich schnell einen ungewöhnlichen Ruf ge¬
wonnen hat, ist Donald Mitchell, der unter dem Namen Il. Marvel schreibt.
Er ist ums Jahr ^1823 geboren, der Sohn eines presbyterianischer Pfarrers,
machte 1848 eine Reise durch Europa und kehrte dann nach seinem Vater¬
lande zurück, wo er 1830 seine Kvveries ok a baodelor und ein Jahr darauf
sein vrsam Mo, g, istis ok ete si/asons herausgab. Es sind Skizzen, Re¬
flexionen, Beobachtungen, lyrische Phantasien u. s. w. bunt durcheinander,
voll Gemüth und Empfindung, wobei nur zu bedauern ist, daß das Bewußt¬
sein dieser Eigenschaften etwas zudringlich hervortritt. Der Stil erinnert am
meisten an Sterne, einigermaßen durch Washington Irving temperirt.

Ein höchst merkwürdiger Dichter ist Edgar Poe, sowol wegen seiner eig¬
nen eigenthümlichen Gemüthsrichtung, als wegen seines Erfolgs. Er war
1811 geboren, schon als Kind verwaist und von einem wohlwollenden Kauf¬
mann, Allan, adoptirt. In seinem fünften Jahre nahm ihn sein Adoptiv-
vater nach England mit, wo er bis 1822 blieb. Nach seiner Rückkehr zog er
sich durch das wüste Leben auf der Universität den Unwillen seines Pflege¬
vaters zu, der ihn früher sehr verzogen hatte, und wurde von ihm bei seinem
Tode enterbe. So war er darauf angewiesen, von literarischen Arbeiten zu
leben, und er hatte darin auch viel Glück. Schon 1833 gewann er mit einer
Novelle einen Preis; seit 1835 rissen sich alle Journale um seine Theilnahme,
die ausgezeichnet gut bezahlt wurde; aber er hatte sich dem Trunk ergeben und
führte ein so zügelloses Leben, daß es niemand lange mit ihm aushielt. Er
ging von einem Journal zum andern über, entzweite sich mit all seinen Freun¬
den und lebte häufig in der äußersten Noth. Trotzdem nahm sich die gute
Gesellschaft noch immer seiner an, bis er 1849 starb. Die Einzelnheiten, die sein
Biograph aus seinem Leben erzählt, erinnern auffallend an Grabbe, dem er
auch in Beziehung auf sein Talent sehr ähnlich ist, und könnten von unsern


Drang, der damit verknüpft ist, nützlich sein; für daS Individuum aber, dessen
herrschende Leidenschaft er in einen Kanal treibt, ist er gefährlich. Durch
einen unnatürlichen Proceß preßt er den Saft des Herzens zusammen und
verwandelt ihn in Gift, indem der eine leitende Gedanke alle andern Empfin¬
dungen des Gemüths zum Schweigen bringt. Die Heldin Zenobia, die in
der Liebe zu diesem rauhen Fanatiker untergeht, erinnert durch einige Züge an
Margarethe Füller, die geistvolle Frau, die gewissermaßen an der Spitze dieser
romantisch-skeptischen Schule steht. Sie ist aber mit poetischer Freiheit aus¬
geführt. Priscilla, das schwächere Weib, ist nur der Schatten dieser stolzen
Heroine. Wenn auch einzelne Züge der Leidenschaft in diesem psychologischen
Gemälde mit kühner Virtuosität ausgeführt sind, so ist in der Entwicklung
des Ganzen doch zu wenig Spannung, um ein bleibendes Interesse hervor¬
zurufen.

Ein junger Dichter, der ziemlich schnell einen ungewöhnlichen Ruf ge¬
wonnen hat, ist Donald Mitchell, der unter dem Namen Il. Marvel schreibt.
Er ist ums Jahr ^1823 geboren, der Sohn eines presbyterianischer Pfarrers,
machte 1848 eine Reise durch Europa und kehrte dann nach seinem Vater¬
lande zurück, wo er 1830 seine Kvveries ok a baodelor und ein Jahr darauf
sein vrsam Mo, g, istis ok ete si/asons herausgab. Es sind Skizzen, Re¬
flexionen, Beobachtungen, lyrische Phantasien u. s. w. bunt durcheinander,
voll Gemüth und Empfindung, wobei nur zu bedauern ist, daß das Bewußt¬
sein dieser Eigenschaften etwas zudringlich hervortritt. Der Stil erinnert am
meisten an Sterne, einigermaßen durch Washington Irving temperirt.

Ein höchst merkwürdiger Dichter ist Edgar Poe, sowol wegen seiner eig¬
nen eigenthümlichen Gemüthsrichtung, als wegen seines Erfolgs. Er war
1811 geboren, schon als Kind verwaist und von einem wohlwollenden Kauf¬
mann, Allan, adoptirt. In seinem fünften Jahre nahm ihn sein Adoptiv-
vater nach England mit, wo er bis 1822 blieb. Nach seiner Rückkehr zog er
sich durch das wüste Leben auf der Universität den Unwillen seines Pflege¬
vaters zu, der ihn früher sehr verzogen hatte, und wurde von ihm bei seinem
Tode enterbe. So war er darauf angewiesen, von literarischen Arbeiten zu
leben, und er hatte darin auch viel Glück. Schon 1833 gewann er mit einer
Novelle einen Preis; seit 1835 rissen sich alle Journale um seine Theilnahme,
die ausgezeichnet gut bezahlt wurde; aber er hatte sich dem Trunk ergeben und
führte ein so zügelloses Leben, daß es niemand lange mit ihm aushielt. Er
ging von einem Journal zum andern über, entzweite sich mit all seinen Freun¬
den und lebte häufig in der äußersten Noth. Trotzdem nahm sich die gute
Gesellschaft noch immer seiner an, bis er 1849 starb. Die Einzelnheiten, die sein
Biograph aus seinem Leben erzählt, erinnern auffallend an Grabbe, dem er
auch in Beziehung auf sein Talent sehr ähnlich ist, und könnten von unsern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/146>, abgerufen am 15.06.2024.