Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bürgerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt
zufällig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. "Wenn man diesen
Massen den Eingriff in die Verwaltung gestaltete und dem Senat das Werk¬
zeug zur Verhütung.solchen Eingriffs (die tribuuicische Jntercessivn) aus den
Händen wand, wenn man gar diese Bürgerschaft aus dem gemeinen Seckel
sich selbst Aecker sammt Zubehör decretiren ließ, wenn man einem jeden, dem
die Verhältnisse und sein Einfluß beim Proletariat es möglich machten, die
Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen
Projecten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken, so
war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der
Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie." -- Entschlossener und be¬
wußter auf dem Wege der Revolution schritt der jüngere Bruder fort. Er
brachte außer dem hauptstädtischen Proletariat durch die neue Geschwornen¬
ordnung den zweiten Stand, durch die Ausdehnung des Bürgerrechts die
Bundesgenossen aus seine Seite, und hatte dadurch für eine Zeitlang die
souveräne Gewalt in seiner Hand. Wenn er mit seinen Plänen endlich
scheiterte, so lag das nur an der unvollständigen Organisation seiner Werkzeuge,
die durch anderweitige Interessen und Leidenschaften leicht umgestimmt werden
konnten. "Er war ein politischer Brandstifter; nicht blos die hundertjährige
Revolution, die von ihm datirt, ist sein Werk, sondern vor allem ist er der
wahre Stifter jenes entsetzlichen Proletariats, das mit seiner Fratze von Volks-
souveränetät ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem römischen
Gemeinwesen lastete. Und doch dieser größte der politischen Verbrecher ist auch
wieder der Regulator seines Landes. Es ist kaum ein constructiver Gedanke
in der römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Cajus Grac-
chus .... Es sind in diesem seltenen Mann Recht und Schuld, Glück und
Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier sich wol ziemen mag, was
der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urtheil zu verstummen."

Die demokratische Bewegung wurde vollständig niedergeschlagen, die wieder¬
hergestellte Aristokratie entwickelte nun alle die Unwürdigkeiten, hie in der
frühern einfachen Negierung nicht ans Tageslicht gekommen waren. Die
Familienpolitik wurde das herrschende Motiv der Verwaltung, dem echten
Aristokraten ward jeder Frevel verziehen, die Regierenden und die Regierten
glichen nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien, daß in ihrem Krieg
kein Völkerrecht galt. "Die Aristokratie saß auf dem erledigten Thron mit
bösem Gewissen und getheilten Hoffnungen, den Institutionen des eignen
Staats grollend und doch unfähig, auch nur planmäßig sie anzugreifen, un¬
sicher im Thun Und im Lassen, außer wo der eigne materielle Vortheil sprach,
ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigne wie die entgegengesetzte Partei,.des


Bürgerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt
zufällig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. „Wenn man diesen
Massen den Eingriff in die Verwaltung gestaltete und dem Senat das Werk¬
zeug zur Verhütung.solchen Eingriffs (die tribuuicische Jntercessivn) aus den
Händen wand, wenn man gar diese Bürgerschaft aus dem gemeinen Seckel
sich selbst Aecker sammt Zubehör decretiren ließ, wenn man einem jeden, dem
die Verhältnisse und sein Einfluß beim Proletariat es möglich machten, die
Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen
Projecten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken, so
war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der
Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie." — Entschlossener und be¬
wußter auf dem Wege der Revolution schritt der jüngere Bruder fort. Er
brachte außer dem hauptstädtischen Proletariat durch die neue Geschwornen¬
ordnung den zweiten Stand, durch die Ausdehnung des Bürgerrechts die
Bundesgenossen aus seine Seite, und hatte dadurch für eine Zeitlang die
souveräne Gewalt in seiner Hand. Wenn er mit seinen Plänen endlich
scheiterte, so lag das nur an der unvollständigen Organisation seiner Werkzeuge,
die durch anderweitige Interessen und Leidenschaften leicht umgestimmt werden
konnten. „Er war ein politischer Brandstifter; nicht blos die hundertjährige
Revolution, die von ihm datirt, ist sein Werk, sondern vor allem ist er der
wahre Stifter jenes entsetzlichen Proletariats, das mit seiner Fratze von Volks-
souveränetät ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem römischen
Gemeinwesen lastete. Und doch dieser größte der politischen Verbrecher ist auch
wieder der Regulator seines Landes. Es ist kaum ein constructiver Gedanke
in der römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Cajus Grac-
chus .... Es sind in diesem seltenen Mann Recht und Schuld, Glück und
Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier sich wol ziemen mag, was
der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urtheil zu verstummen."

Die demokratische Bewegung wurde vollständig niedergeschlagen, die wieder¬
hergestellte Aristokratie entwickelte nun alle die Unwürdigkeiten, hie in der
frühern einfachen Negierung nicht ans Tageslicht gekommen waren. Die
Familienpolitik wurde das herrschende Motiv der Verwaltung, dem echten
Aristokraten ward jeder Frevel verziehen, die Regierenden und die Regierten
glichen nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien, daß in ihrem Krieg
kein Völkerrecht galt. „Die Aristokratie saß auf dem erledigten Thron mit
bösem Gewissen und getheilten Hoffnungen, den Institutionen des eignen
Staats grollend und doch unfähig, auch nur planmäßig sie anzugreifen, un¬
sicher im Thun Und im Lassen, außer wo der eigne materielle Vortheil sprach,
ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigne wie die entgegengesetzte Partei,.des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101543"/>
          <p xml:id="ID_24" prev="#ID_23"> Bürgerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt<lb/>
zufällig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. &#x201E;Wenn man diesen<lb/>
Massen den Eingriff in die Verwaltung gestaltete und dem Senat das Werk¬<lb/>
zeug zur Verhütung.solchen Eingriffs (die tribuuicische Jntercessivn) aus den<lb/>
Händen wand, wenn man gar diese Bürgerschaft aus dem gemeinen Seckel<lb/>
sich selbst Aecker sammt Zubehör decretiren ließ, wenn man einem jeden, dem<lb/>
die Verhältnisse und sein Einfluß beim Proletariat es möglich machten, die<lb/>
Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen<lb/>
Projecten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken, so<lb/>
war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der<lb/>
Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie." &#x2014; Entschlossener und be¬<lb/>
wußter auf dem Wege der Revolution schritt der jüngere Bruder fort. Er<lb/>
brachte außer dem hauptstädtischen Proletariat durch die neue Geschwornen¬<lb/>
ordnung den zweiten Stand, durch die Ausdehnung des Bürgerrechts die<lb/>
Bundesgenossen aus seine Seite, und hatte dadurch für eine Zeitlang die<lb/>
souveräne Gewalt in seiner Hand. Wenn er mit seinen Plänen endlich<lb/>
scheiterte, so lag das nur an der unvollständigen Organisation seiner Werkzeuge,<lb/>
die durch anderweitige Interessen und Leidenschaften leicht umgestimmt werden<lb/>
konnten. &#x201E;Er war ein politischer Brandstifter; nicht blos die hundertjährige<lb/>
Revolution, die von ihm datirt, ist sein Werk, sondern vor allem ist er der<lb/>
wahre Stifter jenes entsetzlichen Proletariats, das mit seiner Fratze von Volks-<lb/>
souveränetät ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem römischen<lb/>
Gemeinwesen lastete. Und doch dieser größte der politischen Verbrecher ist auch<lb/>
wieder der Regulator seines Landes. Es ist kaum ein constructiver Gedanke<lb/>
in der römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Cajus Grac-<lb/>
chus .... Es sind in diesem seltenen Mann Recht und Schuld, Glück und<lb/>
Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier sich wol ziemen mag, was<lb/>
der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urtheil zu verstummen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_25" next="#ID_26"> Die demokratische Bewegung wurde vollständig niedergeschlagen, die wieder¬<lb/>
hergestellte Aristokratie entwickelte nun alle die Unwürdigkeiten, hie in der<lb/>
frühern einfachen Negierung nicht ans Tageslicht gekommen waren. Die<lb/>
Familienpolitik wurde das herrschende Motiv der Verwaltung, dem echten<lb/>
Aristokraten ward jeder Frevel verziehen, die Regierenden und die Regierten<lb/>
glichen nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien, daß in ihrem Krieg<lb/>
kein Völkerrecht galt. &#x201E;Die Aristokratie saß auf dem erledigten Thron mit<lb/>
bösem Gewissen und getheilten Hoffnungen, den Institutionen des eignen<lb/>
Staats grollend und doch unfähig, auch nur planmäßig sie anzugreifen, un¬<lb/>
sicher im Thun Und im Lassen, außer wo der eigne materielle Vortheil sprach,<lb/>
ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigne wie die entgegengesetzte Partei,.des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] Bürgerschaft ein paar hundert oder tausend von den Gassen der Hauptstadt zufällig aufgegriffene Individuen handelten und stimmten. „Wenn man diesen Massen den Eingriff in die Verwaltung gestaltete und dem Senat das Werk¬ zeug zur Verhütung.solchen Eingriffs (die tribuuicische Jntercessivn) aus den Händen wand, wenn man gar diese Bürgerschaft aus dem gemeinen Seckel sich selbst Aecker sammt Zubehör decretiren ließ, wenn man einem jeden, dem die Verhältnisse und sein Einfluß beim Proletariat es möglich machten, die Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete, seinen Projecten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie." — Entschlossener und be¬ wußter auf dem Wege der Revolution schritt der jüngere Bruder fort. Er brachte außer dem hauptstädtischen Proletariat durch die neue Geschwornen¬ ordnung den zweiten Stand, durch die Ausdehnung des Bürgerrechts die Bundesgenossen aus seine Seite, und hatte dadurch für eine Zeitlang die souveräne Gewalt in seiner Hand. Wenn er mit seinen Plänen endlich scheiterte, so lag das nur an der unvollständigen Organisation seiner Werkzeuge, die durch anderweitige Interessen und Leidenschaften leicht umgestimmt werden konnten. „Er war ein politischer Brandstifter; nicht blos die hundertjährige Revolution, die von ihm datirt, ist sein Werk, sondern vor allem ist er der wahre Stifter jenes entsetzlichen Proletariats, das mit seiner Fratze von Volks- souveränetät ein halbes Jahrtausend hindurch wie ein Alp auf dem römischen Gemeinwesen lastete. Und doch dieser größte der politischen Verbrecher ist auch wieder der Regulator seines Landes. Es ist kaum ein constructiver Gedanke in der römischen Monarchie, der nicht zurückreichte bis auf Cajus Grac- chus .... Es sind in diesem seltenen Mann Recht und Schuld, Glück und Unglück so ineinander verschlungen, daß es hier sich wol ziemen mag, was der Geschichte nur selten ziemt, mit dem Urtheil zu verstummen." Die demokratische Bewegung wurde vollständig niedergeschlagen, die wieder¬ hergestellte Aristokratie entwickelte nun alle die Unwürdigkeiten, hie in der frühern einfachen Negierung nicht ans Tageslicht gekommen waren. Die Familienpolitik wurde das herrschende Motiv der Verwaltung, dem echten Aristokraten ward jeder Frevel verziehen, die Regierenden und die Regierten glichen nur darin nicht zwei kriegführenden Parteien, daß in ihrem Krieg kein Völkerrecht galt. „Die Aristokratie saß auf dem erledigten Thron mit bösem Gewissen und getheilten Hoffnungen, den Institutionen des eignen Staats grollend und doch unfähig, auch nur planmäßig sie anzugreifen, un¬ sicher im Thun Und im Lassen, außer wo der eigne materielle Vortheil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigne wie die entgegengesetzte Partei,.des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/16>, abgerufen am 22.05.2024.