Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Tag für Tag sich wiederholen. Die Städte, an denen die Reise vorüberführt,
unterscheiden sich von einander fast gar nicht, von den Dörfern nur durch ihre
Größe und dadurch, daß sie einige Minarets haben. Denkmäler des Alter¬
thums werden erst von Theben an sichtbar, und die Regel ist. sie erst auf der
Rückfahrt zu besuchen. So einförmig die Gestalt des Landes ist, so eintönig
ist seine Stimme. Der Gesang der arabischen Matrosen beim Ziehen und
Rudern der Dahabich. das Gekreisch der Vogelschwärme, das leise Rauschen
des Flusses an den Seiten des Kiels, das Concert der Grillen und Schakals
am Abend, das melancholische Gestöhn der Sakiahs") am User trägt. Tag auf
Tag in derselben Melodie sortkiingcnd. nicht wenig dazu bei. die einschläfernde
Wirkung der Landschaft zu verstärken. Auch Ausflüge in das Land hinein
bieten nur in den ersten Tagen Neues. Die Jagd am Ufer gibt immer und
immer dasselbe" Tauben auf'Palmen. Abenteuer erleben im heutigen Aegyp-
ten nur amerikanische Chowadschi. denen auch -- genau von der Stelle bei Man-
falut an. bis zu welcher nach Murrays rothem Buch die Krokodilzonereicht --
die Drachenschaft des Nil häufiger als andern Sterblichen zu erscheinen beliebt.

Der Reisende ist Pascha, ist Autokrat auf seinem Boot, die Mannschaft
hat ihm aufs Wort zu gehorchen, und sie gehorcht ihm. wenn er die rechte
Mitte zwischen Milde und Strenge zu treffen weiß, wirklich aufs Wort.
Er ist auch am Ufer in Dorf und Stadt unverletzlich und ungebun¬
den, nur dem Konsul seiner Flagge für sein Thun verantwortlich.
Das Klima ist ein ewiger Frühling. Die Abwechslung von warmen Tagen
und langsam erkaltenden Nächten, der stete Aufenthalt in freier Luft, der rei¬
nen Luft der Wüste, stärkt die Nerven und füllt die Adern mit Gesundheit.
Aber gute jene Ungebundenheit trägt, da bei ihr dem Willen kein Hinder¬
niß entgegensteht, dazu bei, daß man das Einerlei des Lebens auf dem Nil
tiefer empfindet, während das Gefühl ungewöhnlicher Kraftfülle vergeblich auch
einem Gegenstand sucht, an dem es sich bethätigen könnte.

So geht es fort Tag auf Tag. bis in die Region der Monumente, bis zu
den Wasserfällen, bis in das granitne Thal von Nubien hinein. Die Lange¬
weile, die dieser Zustand hervorbringt, würde zum Mißbehagen, zur Verzwei¬
felung werden, wenn es ganz so fortginge.

Aber allmälig. bei dem Einen früher, beim Andern später, beginnt sich
ein anfangs unerklärliches Etwas zu regen, eine Wandlung seines Denkens
und Fühlens zu vollziehen. An die Stelle des wirtlichen Lebens tritt, erst
nur an stillen Abenden, dann am lichten Tage ein Traumleben, dessen wun¬
derbare Magie auf der Heimfahrt, wo das ganze Aegypten. seine Natur und
seine Kunst, seine Gegenwart und seine Vergangenheit sich in der Erinnerung



Von Ochsen getriebene Schöpfmaschinen zur Bewässerung des Landes.
Grenzboten I. 1858. 5

Tag für Tag sich wiederholen. Die Städte, an denen die Reise vorüberführt,
unterscheiden sich von einander fast gar nicht, von den Dörfern nur durch ihre
Größe und dadurch, daß sie einige Minarets haben. Denkmäler des Alter¬
thums werden erst von Theben an sichtbar, und die Regel ist. sie erst auf der
Rückfahrt zu besuchen. So einförmig die Gestalt des Landes ist, so eintönig
ist seine Stimme. Der Gesang der arabischen Matrosen beim Ziehen und
Rudern der Dahabich. das Gekreisch der Vogelschwärme, das leise Rauschen
des Flusses an den Seiten des Kiels, das Concert der Grillen und Schakals
am Abend, das melancholische Gestöhn der Sakiahs") am User trägt. Tag auf
Tag in derselben Melodie sortkiingcnd. nicht wenig dazu bei. die einschläfernde
Wirkung der Landschaft zu verstärken. Auch Ausflüge in das Land hinein
bieten nur in den ersten Tagen Neues. Die Jagd am Ufer gibt immer und
immer dasselbe» Tauben auf'Palmen. Abenteuer erleben im heutigen Aegyp-
ten nur amerikanische Chowadschi. denen auch — genau von der Stelle bei Man-
falut an. bis zu welcher nach Murrays rothem Buch die Krokodilzonereicht —
die Drachenschaft des Nil häufiger als andern Sterblichen zu erscheinen beliebt.

Der Reisende ist Pascha, ist Autokrat auf seinem Boot, die Mannschaft
hat ihm aufs Wort zu gehorchen, und sie gehorcht ihm. wenn er die rechte
Mitte zwischen Milde und Strenge zu treffen weiß, wirklich aufs Wort.
Er ist auch am Ufer in Dorf und Stadt unverletzlich und ungebun¬
den, nur dem Konsul seiner Flagge für sein Thun verantwortlich.
Das Klima ist ein ewiger Frühling. Die Abwechslung von warmen Tagen
und langsam erkaltenden Nächten, der stete Aufenthalt in freier Luft, der rei¬
nen Luft der Wüste, stärkt die Nerven und füllt die Adern mit Gesundheit.
Aber gute jene Ungebundenheit trägt, da bei ihr dem Willen kein Hinder¬
niß entgegensteht, dazu bei, daß man das Einerlei des Lebens auf dem Nil
tiefer empfindet, während das Gefühl ungewöhnlicher Kraftfülle vergeblich auch
einem Gegenstand sucht, an dem es sich bethätigen könnte.

So geht es fort Tag auf Tag. bis in die Region der Monumente, bis zu
den Wasserfällen, bis in das granitne Thal von Nubien hinein. Die Lange¬
weile, die dieser Zustand hervorbringt, würde zum Mißbehagen, zur Verzwei¬
felung werden, wenn es ganz so fortginge.

Aber allmälig. bei dem Einen früher, beim Andern später, beginnt sich
ein anfangs unerklärliches Etwas zu regen, eine Wandlung seines Denkens
und Fühlens zu vollziehen. An die Stelle des wirtlichen Lebens tritt, erst
nur an stillen Abenden, dann am lichten Tage ein Traumleben, dessen wun¬
derbare Magie auf der Heimfahrt, wo das ganze Aegypten. seine Natur und
seine Kunst, seine Gegenwart und seine Vergangenheit sich in der Erinnerung



Von Ochsen getriebene Schöpfmaschinen zur Bewässerung des Landes.
Grenzboten I. 1858. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105318"/>
          <p xml:id="ID_84" prev="#ID_83"> Tag für Tag sich wiederholen. Die Städte, an denen die Reise vorüberführt,<lb/>
unterscheiden sich von einander fast gar nicht, von den Dörfern nur durch ihre<lb/>
Größe und dadurch, daß sie einige Minarets haben. Denkmäler des Alter¬<lb/>
thums werden erst von Theben an sichtbar, und die Regel ist. sie erst auf der<lb/>
Rückfahrt zu besuchen. So einförmig die Gestalt des Landes ist, so eintönig<lb/>
ist seine Stimme. Der Gesang der arabischen Matrosen beim Ziehen und<lb/>
Rudern der Dahabich. das Gekreisch der Vogelschwärme, das leise Rauschen<lb/>
des Flusses an den Seiten des Kiels, das Concert der Grillen und Schakals<lb/>
am Abend, das melancholische Gestöhn der Sakiahs") am User trägt. Tag auf<lb/>
Tag in derselben Melodie sortkiingcnd. nicht wenig dazu bei. die einschläfernde<lb/>
Wirkung der Landschaft zu verstärken. Auch Ausflüge in das Land hinein<lb/>
bieten nur in den ersten Tagen Neues. Die Jagd am Ufer gibt immer und<lb/>
immer dasselbe» Tauben auf'Palmen. Abenteuer erleben im heutigen Aegyp-<lb/>
ten nur amerikanische Chowadschi. denen auch &#x2014; genau von der Stelle bei Man-<lb/>
falut an. bis zu welcher nach Murrays rothem Buch die Krokodilzonereicht &#x2014;<lb/>
die Drachenschaft des Nil häufiger als andern Sterblichen zu erscheinen beliebt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_85"> Der Reisende ist Pascha, ist Autokrat auf seinem Boot, die Mannschaft<lb/>
hat ihm aufs Wort zu gehorchen, und sie gehorcht ihm. wenn er die rechte<lb/>
Mitte zwischen Milde und Strenge zu treffen weiß, wirklich aufs Wort.<lb/>
Er ist auch am Ufer in Dorf und Stadt unverletzlich und ungebun¬<lb/>
den, nur dem Konsul seiner Flagge für sein Thun verantwortlich.<lb/>
Das Klima ist ein ewiger Frühling. Die Abwechslung von warmen Tagen<lb/>
und langsam erkaltenden Nächten, der stete Aufenthalt in freier Luft, der rei¬<lb/>
nen Luft der Wüste, stärkt die Nerven und füllt die Adern mit Gesundheit.<lb/>
Aber gute jene Ungebundenheit trägt, da bei ihr dem Willen kein Hinder¬<lb/>
niß entgegensteht, dazu bei, daß man das Einerlei des Lebens auf dem Nil<lb/>
tiefer empfindet, während das Gefühl ungewöhnlicher Kraftfülle vergeblich auch<lb/>
einem Gegenstand sucht, an dem es sich bethätigen könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_86"> So geht es fort Tag auf Tag. bis in die Region der Monumente, bis zu<lb/>
den Wasserfällen, bis in das granitne Thal von Nubien hinein. Die Lange¬<lb/>
weile, die dieser Zustand hervorbringt, würde zum Mißbehagen, zur Verzwei¬<lb/>
felung werden, wenn es ganz so fortginge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_87" next="#ID_88"> Aber allmälig. bei dem Einen früher, beim Andern später, beginnt sich<lb/>
ein anfangs unerklärliches Etwas zu regen, eine Wandlung seines Denkens<lb/>
und Fühlens zu vollziehen. An die Stelle des wirtlichen Lebens tritt, erst<lb/>
nur an stillen Abenden, dann am lichten Tage ein Traumleben, dessen wun¬<lb/>
derbare Magie auf der Heimfahrt, wo das ganze Aegypten. seine Natur und<lb/>
seine Kunst, seine Gegenwart und seine Vergangenheit sich in der Erinnerung</p><lb/>
          <note xml:id="FID_5" place="foot"> Von Ochsen getriebene Schöpfmaschinen zur Bewässerung des Landes.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1858. 5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0041] Tag für Tag sich wiederholen. Die Städte, an denen die Reise vorüberführt, unterscheiden sich von einander fast gar nicht, von den Dörfern nur durch ihre Größe und dadurch, daß sie einige Minarets haben. Denkmäler des Alter¬ thums werden erst von Theben an sichtbar, und die Regel ist. sie erst auf der Rückfahrt zu besuchen. So einförmig die Gestalt des Landes ist, so eintönig ist seine Stimme. Der Gesang der arabischen Matrosen beim Ziehen und Rudern der Dahabich. das Gekreisch der Vogelschwärme, das leise Rauschen des Flusses an den Seiten des Kiels, das Concert der Grillen und Schakals am Abend, das melancholische Gestöhn der Sakiahs") am User trägt. Tag auf Tag in derselben Melodie sortkiingcnd. nicht wenig dazu bei. die einschläfernde Wirkung der Landschaft zu verstärken. Auch Ausflüge in das Land hinein bieten nur in den ersten Tagen Neues. Die Jagd am Ufer gibt immer und immer dasselbe» Tauben auf'Palmen. Abenteuer erleben im heutigen Aegyp- ten nur amerikanische Chowadschi. denen auch — genau von der Stelle bei Man- falut an. bis zu welcher nach Murrays rothem Buch die Krokodilzonereicht — die Drachenschaft des Nil häufiger als andern Sterblichen zu erscheinen beliebt. Der Reisende ist Pascha, ist Autokrat auf seinem Boot, die Mannschaft hat ihm aufs Wort zu gehorchen, und sie gehorcht ihm. wenn er die rechte Mitte zwischen Milde und Strenge zu treffen weiß, wirklich aufs Wort. Er ist auch am Ufer in Dorf und Stadt unverletzlich und ungebun¬ den, nur dem Konsul seiner Flagge für sein Thun verantwortlich. Das Klima ist ein ewiger Frühling. Die Abwechslung von warmen Tagen und langsam erkaltenden Nächten, der stete Aufenthalt in freier Luft, der rei¬ nen Luft der Wüste, stärkt die Nerven und füllt die Adern mit Gesundheit. Aber gute jene Ungebundenheit trägt, da bei ihr dem Willen kein Hinder¬ niß entgegensteht, dazu bei, daß man das Einerlei des Lebens auf dem Nil tiefer empfindet, während das Gefühl ungewöhnlicher Kraftfülle vergeblich auch einem Gegenstand sucht, an dem es sich bethätigen könnte. So geht es fort Tag auf Tag. bis in die Region der Monumente, bis zu den Wasserfällen, bis in das granitne Thal von Nubien hinein. Die Lange¬ weile, die dieser Zustand hervorbringt, würde zum Mißbehagen, zur Verzwei¬ felung werden, wenn es ganz so fortginge. Aber allmälig. bei dem Einen früher, beim Andern später, beginnt sich ein anfangs unerklärliches Etwas zu regen, eine Wandlung seines Denkens und Fühlens zu vollziehen. An die Stelle des wirtlichen Lebens tritt, erst nur an stillen Abenden, dann am lichten Tage ein Traumleben, dessen wun¬ derbare Magie auf der Heimfahrt, wo das ganze Aegypten. seine Natur und seine Kunst, seine Gegenwart und seine Vergangenheit sich in der Erinnerung Von Ochsen getriebene Schöpfmaschinen zur Bewässerung des Landes. Grenzboten I. 1858. 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/41
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/41>, abgerufen am 15.05.2024.