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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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unsern Tagen, alles wesentlichen Inhaltes beraubt, zur leeren Form wurde.
Und so fristet dasselbe in der Gegenwart nur noch hier und da ein kümmer¬
liches Scheinleben, indem es den gewerblichen Aufschwung seiner Angehörigen
mehr hemmt, als fördert, weil es sie abhält, sich den veränderten, auf den
ungeheuern Hilfsmitteln der neuern Technik beruhenden Betriebsarten mit
voller Freiheit und ganzer Kraft zuzuwenden. Von ihren großen Traditionen
zu einem Institut kleinlichster polizeilicher Plackerei ausgeartet, von ihrer ur¬
sprünglichen Wurzel, der Selbsthilfe, abgelöst, sehn wir die Zunft kläglich no
den Schutz der Behörden betteln, und das Einzige, worin sie sich gegen sonst
treu geblieben ist: das völlige Jgnoriren der wirthschaftlichen Beziehungen
ihrer Genossen, vollendet grade ihre gänzliche Nichtigkeit im Gewerbsleben
unserer Zeit.

Denn das wird sich wol niemand länger verhehlen, daß die Aufgabe,
um welche es sich gegenwärtig bei Hebung und Conservirung des kleinen und
mittleren Gewerbstandcs handelt, lediglich eine wirthschaftliche ist. Nicht mehr
von Raubrittern und Wegelagerern, von den Voigtcn der Grund-, und Feu¬
dalherrn, sondern von der Concurrenz des Großcapitals im Bunde mit über¬
legener Intelligenz sehen sich unsere Handwerker bedrängt. Und wie sie in
früherer Zeit gegen Rechtlosigkeit und Vergewaltigung in dem Zusammentreten
zu mächtigen politischen Körperschaften Abhilfe suchten und fanden, so ist es
wiederum der innige Anschluß aneinander, welcher hier wirksam eingreifen
kann, aber eine Einigung nicht zu politischen, sondern zu wirthschaftlichen
Zwecken, für jene durch die Großindustrie bedrohten Beziehungen. Aushilfe
im Haushalt und Erwerb müssen ihre Verbände bezwecken und ihnen das ge¬
währen, woran es jedem in seiner Vereinzelung gebricht, vor allem das er¬
forderliche Capital, ohne welches auf die Länge ein lohnender Gewerbebetrieb
immer weniger möglich wird. Eine solche Verbindung zu gewerblichen und
ökonomischen Zwecken ist nun eben die Association, die freie Genossenschaft, in
ihren verschiedenen Gestaltungen, welche sämmtlich darauf hinauslaufen-. "den
Einzelnen, mit ihren kleinen in der Jsolirung verschwindenden Kräften, durch
ihren Zusammenschluß so viel als möglich die Vortheile einer Großkraft
Gebot zu stellen." Gleich der Zunft, vor deren Entartung, aus dem nach'
eigen Triebe der Selbsthilfe emporgewachsen, stehn sich doch beide schon in
der äußern Form entgegen, indem, der Tendenz einer jeden entsprechend, bel
der einen der Zwang, bei der andern die Freiheit, bei der einen die stetig^
corporative, bei der andern nur die zeitweilige contractliche Bindung vor¬
herrscht. Wie die politische Macht und Bestimmung der Zunft die Nöthigung
zum Beitritt, so wie die Verpflichtung zur Aufnahme gegen alle Fachgenossen
in sich schloß, so ergab sich auch das corporative Element bei derselben aus
ihrem dauernden, den Wechsel ihrer Mitglieder überlebenden Zweck als poK"


unsern Tagen, alles wesentlichen Inhaltes beraubt, zur leeren Form wurde.
Und so fristet dasselbe in der Gegenwart nur noch hier und da ein kümmer¬
liches Scheinleben, indem es den gewerblichen Aufschwung seiner Angehörigen
mehr hemmt, als fördert, weil es sie abhält, sich den veränderten, auf den
ungeheuern Hilfsmitteln der neuern Technik beruhenden Betriebsarten mit
voller Freiheit und ganzer Kraft zuzuwenden. Von ihren großen Traditionen
zu einem Institut kleinlichster polizeilicher Plackerei ausgeartet, von ihrer ur¬
sprünglichen Wurzel, der Selbsthilfe, abgelöst, sehn wir die Zunft kläglich no
den Schutz der Behörden betteln, und das Einzige, worin sie sich gegen sonst
treu geblieben ist: das völlige Jgnoriren der wirthschaftlichen Beziehungen
ihrer Genossen, vollendet grade ihre gänzliche Nichtigkeit im Gewerbsleben
unserer Zeit.

Denn das wird sich wol niemand länger verhehlen, daß die Aufgabe,
um welche es sich gegenwärtig bei Hebung und Conservirung des kleinen und
mittleren Gewerbstandcs handelt, lediglich eine wirthschaftliche ist. Nicht mehr
von Raubrittern und Wegelagerern, von den Voigtcn der Grund-, und Feu¬
dalherrn, sondern von der Concurrenz des Großcapitals im Bunde mit über¬
legener Intelligenz sehen sich unsere Handwerker bedrängt. Und wie sie in
früherer Zeit gegen Rechtlosigkeit und Vergewaltigung in dem Zusammentreten
zu mächtigen politischen Körperschaften Abhilfe suchten und fanden, so ist es
wiederum der innige Anschluß aneinander, welcher hier wirksam eingreifen
kann, aber eine Einigung nicht zu politischen, sondern zu wirthschaftlichen
Zwecken, für jene durch die Großindustrie bedrohten Beziehungen. Aushilfe
im Haushalt und Erwerb müssen ihre Verbände bezwecken und ihnen das ge¬
währen, woran es jedem in seiner Vereinzelung gebricht, vor allem das er¬
forderliche Capital, ohne welches auf die Länge ein lohnender Gewerbebetrieb
immer weniger möglich wird. Eine solche Verbindung zu gewerblichen und
ökonomischen Zwecken ist nun eben die Association, die freie Genossenschaft, in
ihren verschiedenen Gestaltungen, welche sämmtlich darauf hinauslaufen-. „den
Einzelnen, mit ihren kleinen in der Jsolirung verschwindenden Kräften, durch
ihren Zusammenschluß so viel als möglich die Vortheile einer Großkraft
Gebot zu stellen." Gleich der Zunft, vor deren Entartung, aus dem nach'
eigen Triebe der Selbsthilfe emporgewachsen, stehn sich doch beide schon in
der äußern Form entgegen, indem, der Tendenz einer jeden entsprechend, bel
der einen der Zwang, bei der andern die Freiheit, bei der einen die stetig^
corporative, bei der andern nur die zeitweilige contractliche Bindung vor¬
herrscht. Wie die politische Macht und Bestimmung der Zunft die Nöthigung
zum Beitritt, so wie die Verpflichtung zur Aufnahme gegen alle Fachgenossen
in sich schloß, so ergab sich auch das corporative Element bei derselben aus
ihrem dauernden, den Wechsel ihrer Mitglieder überlebenden Zweck als poK"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/180>, abgerufen am 09.06.2024.