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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band.

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Genuß des Augenblicks gestellt, unsicher nicht nur vor dem Feind, steigerte
nicht nur die Lasterhaftigkeit der Mehrzahl in das Ungeheure, es entwickelte
auch Eigenthümliches und Seltsames in Unart, Sitte und Bräuchen.
aufmerksam in jene Zeit hineinsieht, der verliert zwar nicht das Gränse"
über die zahllosen -und raffinirten Scheußlichkeiten, welche verübt wu"
den, aber er erkennt auch, daß aus der tiefen Barbarei und Verwüstung
der Seelen immer noch einzelne mildere Tugenden aufleuchten und zuweilen
eine gesunde unzerstörbare Tüchtigkeit zu Tage kömmt. Der Söldner fühlte
kurze Zeit ausgenommen, keine Begeisterung für die Partei, welcher er grad?
diente, selbst der Glaube verlor in den wilden Gemüthern viel von sein^
Fähigkeit zu erwärmen. Aber den Besseren blieb die eigne Soldatenehre und
eine lebhafte Empfindung für die Ehre der Fahne, der sie geschworen hatten,
jedem aber der Stolz, daß er als Krieger ein Herr der zerrütteten Welt se>-
oft der einzige geistige Besitz, der ihn vom Räuber und Mörder unterschied. Nicht
selten wechselte der Krieger seine Fahne, freiwillig oder gezwungen, aber auch
un letztem Fall war er dem neuen Kriegsherrn zuweilen treu und zuvcrläsng'
Die Achtung seiner Kameraden erwarb er nur, wenn er ein ehrlicher Soldat
und kein "Hundsfott" war, schnell bildete sich ein eigenthümlicher Code!
der Soldatenehre aus, der eine wenn auch verkümmerte Sittlichkeit w'
tete. Von der guten Laune, welche das Gefühl einer souveränen Herrschest
über Bürger und Bauer gab, sind uns nur wenig Neste geblieben. Die zahl'
reichen Soldatenlieder, welche in den Lagern selbst entstanden, sind bis auf
dürftige Trümmer verklungen.*) Aber sprichwörtliche Redensarten drücken
oft genug dieselbe Stimmung aus, welche Schillers Reiterlied idealisirt: .,d"
scharfe Säbel ist mein Acker, und Beute machen ist mein Pflug." "Die E>'de
ist mein Bett, der Himmel meine Decke, der Mantel mein Haus, der Mi"
mein ewiges Leben.""*) Sobald ein Soldat wird geboren, sind ihm d"'
Bauern auserkoren. Der erste, der ihn ernährt, der andere, der ihm ein sa)"'
nes Weib beschert, der dritte, der für ihn zur Hölle fährt.***)

Daß die Sinnlichkeit in der Regel zügellos und ohne Scham war, w>^
man voraussetzen, die Völlerei, das alte deutsche Laster, beherrschte OsfiZ^
wie Gemeine. Das Tabakrauchen und -kauen, ober wie man damals sag^'
Tabaktrinken, -essen und -schnupfen verbreitete sich schnell in allen Heeren, "ut
die Wachtstuben wurden dem Nichtraucher ein beschwerlicher Ausenthalt. Dies"
Brauch, im Anfang des Krieges durch die Holländer und englische Hilfstrup'
pen zu den deutschen Soldaten gekommen, war am Ende des Kriegs so ^





') Es ist charakteristisch, daß eines der besten (Simplicissimus I, 2.23.) die "Müllerflohe
besingt, damals eine allgemeine Plage der Heere.
Philander von Sittewaldt, Gesicht vom Soldatenleben.
"
') Grimmelshcmsen, Seltsamer Springinsfeld.

Genuß des Augenblicks gestellt, unsicher nicht nur vor dem Feind, steigerte
nicht nur die Lasterhaftigkeit der Mehrzahl in das Ungeheure, es entwickelte
auch Eigenthümliches und Seltsames in Unart, Sitte und Bräuchen.
aufmerksam in jene Zeit hineinsieht, der verliert zwar nicht das Gränse"
über die zahllosen -und raffinirten Scheußlichkeiten, welche verübt wu"
den, aber er erkennt auch, daß aus der tiefen Barbarei und Verwüstung
der Seelen immer noch einzelne mildere Tugenden aufleuchten und zuweilen
eine gesunde unzerstörbare Tüchtigkeit zu Tage kömmt. Der Söldner fühlte
kurze Zeit ausgenommen, keine Begeisterung für die Partei, welcher er grad?
diente, selbst der Glaube verlor in den wilden Gemüthern viel von sein^
Fähigkeit zu erwärmen. Aber den Besseren blieb die eigne Soldatenehre und
eine lebhafte Empfindung für die Ehre der Fahne, der sie geschworen hatten,
jedem aber der Stolz, daß er als Krieger ein Herr der zerrütteten Welt se>-
oft der einzige geistige Besitz, der ihn vom Räuber und Mörder unterschied. Nicht
selten wechselte der Krieger seine Fahne, freiwillig oder gezwungen, aber auch
un letztem Fall war er dem neuen Kriegsherrn zuweilen treu und zuvcrläsng'
Die Achtung seiner Kameraden erwarb er nur, wenn er ein ehrlicher Soldat
und kein „Hundsfott" war, schnell bildete sich ein eigenthümlicher Code!
der Soldatenehre aus, der eine wenn auch verkümmerte Sittlichkeit w'
tete. Von der guten Laune, welche das Gefühl einer souveränen Herrschest
über Bürger und Bauer gab, sind uns nur wenig Neste geblieben. Die zahl'
reichen Soldatenlieder, welche in den Lagern selbst entstanden, sind bis auf
dürftige Trümmer verklungen.*) Aber sprichwörtliche Redensarten drücken
oft genug dieselbe Stimmung aus, welche Schillers Reiterlied idealisirt: .,d"
scharfe Säbel ist mein Acker, und Beute machen ist mein Pflug." „Die E>'de
ist mein Bett, der Himmel meine Decke, der Mantel mein Haus, der Mi"
mein ewiges Leben.""*) Sobald ein Soldat wird geboren, sind ihm d"'
Bauern auserkoren. Der erste, der ihn ernährt, der andere, der ihm ein sa)"'
nes Weib beschert, der dritte, der für ihn zur Hölle fährt.***)

Daß die Sinnlichkeit in der Regel zügellos und ohne Scham war, w>^
man voraussetzen, die Völlerei, das alte deutsche Laster, beherrschte OsfiZ^
wie Gemeine. Das Tabakrauchen und -kauen, ober wie man damals sag^'
Tabaktrinken, -essen und -schnupfen verbreitete sich schnell in allen Heeren, »ut
die Wachtstuben wurden dem Nichtraucher ein beschwerlicher Ausenthalt. Dies"
Brauch, im Anfang des Krieges durch die Holländer und englische Hilfstrup'
pen zu den deutschen Soldaten gekommen, war am Ende des Kriegs so ^





') Es ist charakteristisch, daß eines der besten (Simplicissimus I, 2.23.) die „Müllerflohe
besingt, damals eine allgemeine Plage der Heere.
Philander von Sittewaldt, Gesicht vom Soldatenleben.
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') Grimmelshcmsen, Seltsamer Springinsfeld.
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[0206] Genuß des Augenblicks gestellt, unsicher nicht nur vor dem Feind, steigerte nicht nur die Lasterhaftigkeit der Mehrzahl in das Ungeheure, es entwickelte auch Eigenthümliches und Seltsames in Unart, Sitte und Bräuchen. aufmerksam in jene Zeit hineinsieht, der verliert zwar nicht das Gränse" über die zahllosen -und raffinirten Scheußlichkeiten, welche verübt wu" den, aber er erkennt auch, daß aus der tiefen Barbarei und Verwüstung der Seelen immer noch einzelne mildere Tugenden aufleuchten und zuweilen eine gesunde unzerstörbare Tüchtigkeit zu Tage kömmt. Der Söldner fühlte kurze Zeit ausgenommen, keine Begeisterung für die Partei, welcher er grad? diente, selbst der Glaube verlor in den wilden Gemüthern viel von sein^ Fähigkeit zu erwärmen. Aber den Besseren blieb die eigne Soldatenehre und eine lebhafte Empfindung für die Ehre der Fahne, der sie geschworen hatten, jedem aber der Stolz, daß er als Krieger ein Herr der zerrütteten Welt se>- oft der einzige geistige Besitz, der ihn vom Räuber und Mörder unterschied. Nicht selten wechselte der Krieger seine Fahne, freiwillig oder gezwungen, aber auch un letztem Fall war er dem neuen Kriegsherrn zuweilen treu und zuvcrläsng' Die Achtung seiner Kameraden erwarb er nur, wenn er ein ehrlicher Soldat und kein „Hundsfott" war, schnell bildete sich ein eigenthümlicher Code! der Soldatenehre aus, der eine wenn auch verkümmerte Sittlichkeit w' tete. Von der guten Laune, welche das Gefühl einer souveränen Herrschest über Bürger und Bauer gab, sind uns nur wenig Neste geblieben. Die zahl' reichen Soldatenlieder, welche in den Lagern selbst entstanden, sind bis auf dürftige Trümmer verklungen.*) Aber sprichwörtliche Redensarten drücken oft genug dieselbe Stimmung aus, welche Schillers Reiterlied idealisirt: .,d" scharfe Säbel ist mein Acker, und Beute machen ist mein Pflug." „Die E>'de ist mein Bett, der Himmel meine Decke, der Mantel mein Haus, der Mi" mein ewiges Leben.""*) Sobald ein Soldat wird geboren, sind ihm d"' Bauern auserkoren. Der erste, der ihn ernährt, der andere, der ihm ein sa)"' nes Weib beschert, der dritte, der für ihn zur Hölle fährt.***) Daß die Sinnlichkeit in der Regel zügellos und ohne Scham war, w>^ man voraussetzen, die Völlerei, das alte deutsche Laster, beherrschte OsfiZ^ wie Gemeine. Das Tabakrauchen und -kauen, ober wie man damals sag^' Tabaktrinken, -essen und -schnupfen verbreitete sich schnell in allen Heeren, »ut die Wachtstuben wurden dem Nichtraucher ein beschwerlicher Ausenthalt. Dies" Brauch, im Anfang des Krieges durch die Holländer und englische Hilfstrup' pen zu den deutschen Soldaten gekommen, war am Ende des Kriegs so ^ ') Es ist charakteristisch, daß eines der besten (Simplicissimus I, 2.23.) die „Müllerflohe besingt, damals eine allgemeine Plage der Heere. Philander von Sittewaldt, Gesicht vom Soldatenleben. " ') Grimmelshcmsen, Seltsamer Springinsfeld.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107585/206>, abgerufen am 30.05.2024.