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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Dieses natürliche Verhältniß zwischen Herrscher und Volk ist in
Deutschland durch einen Ueberrest feudaler Sitte sehr verschoben. Der Sou¬
verän ist gegenwärtig thatsächlich in der Wahl seiner Umgebung unfrei, das
Ehrenrecht des außergeschäftlichen Verkehrs mit dem Landesherrn ist noch fast
ausschließlich Privilegium einer bestimmten Classe von Staatsangehörigen.
Ueberall in Deutschland hat der alte Adel das Vorrecht der Hoffähigkeit.

Es gab eine Zeit, welche etwa drei Generationen abliegt, wo der Sou¬
verän an vielen deutschen Höfen zu seinem Hoflager überhaupt keinen Nicht-
adeligen laden durste. Er konnte ihn gleichsam als Privatmann in Geschäften
sprechen; so oft er als Fürst repräsentirte. stand er mit ehernen Banden
in den Kreis seines Adels gebannt. Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahr¬
hunderts wurden allmälig Concessionen gemacht. Diese Concessionen, an den
einzelnen Höfen sehr verschieden, sind im Allgemeinen, daß das gesammte
Officiercorps, die höheren Nangclasscn der Beamten, während der Landtage
die Mitglieder beider Kammern, außerdem zuweilen Deputationen einflu߬
reicher Körperschaften, renommirte Fremde u. s. w. die Hoffähigkeit erhalten. Sie
kann einzelnen Individuen durch besondere Prädikate ertheilt werden; sie
wird an manchen Höfen durch Ertheilung eines Ordens erlangt. Aber alle
diese Ausdehnungen der Hosfähigkcit beruhen nur auf der Annahme, daß es
zweckmäßig geworden sei. die Vorrechte des Adels wenigstens für Stunden
auch auf Andere auszudehnen. Auch dem Adel hat man an den meisten
Höfen entsprechende Concessionen gemacht, wenigstens den Männern wird nur
noch ausnahmsweise nachgerechnet, ob sie von altem Adel sind, oder ob ihre
Familien seit drei oder vier Generationen eine Mesalliance vermieden ha¬
ben.*)

So ist zunächst Recht des deutschen Edelmanns, wenn er dem Hoflager
seines Souveräns naht, in der vorgeschriebenen Weise seine Ankunft zu mel¬
den, worauf er nach Umständen bei der Cour empfangen, zur Tafel
geladen wird u. f. w. Dies an sich wenig bedenkliche Vorrecht ist aber
Grundlage für die gesammte Organisation des Hofes und die Wahl der per¬
sönlichen Umgebung des Regenten geworden. An allen deutschen Höhen ist der hö¬
here Dienst mit Ausnahme einiger Subalterner Beamten und der Dienerschaft in den
Händen des Adels. Die "Chargen", an allen Höfen in der Hauptsache gleich, nach
dem Range wieder in drei Classen getheilt, umgeben den Landesherrn in ihren
verschiedenen Functionen vom Morgen bis zum Abend. Außer den regelmäßig
Beschäftigten hat fast jeder Hof eine Anzahl Kammerherren. mehrere Höfe
auch Kammerjunker, welche, im Lande zerstreut, vielleicht bei besondern Gele¬
genheiten einberufen werden. Ja auch die nächste militärische Umgebung des



-) Acht Ahnen.genügen jetzt wol überall in Deutschland zum alten Adel; in Wien sind
bei einzelnen Hoffesten noch sechzehn nöthig.
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Dieses natürliche Verhältniß zwischen Herrscher und Volk ist in
Deutschland durch einen Ueberrest feudaler Sitte sehr verschoben. Der Sou¬
verän ist gegenwärtig thatsächlich in der Wahl seiner Umgebung unfrei, das
Ehrenrecht des außergeschäftlichen Verkehrs mit dem Landesherrn ist noch fast
ausschließlich Privilegium einer bestimmten Classe von Staatsangehörigen.
Ueberall in Deutschland hat der alte Adel das Vorrecht der Hoffähigkeit.

Es gab eine Zeit, welche etwa drei Generationen abliegt, wo der Sou¬
verän an vielen deutschen Höfen zu seinem Hoflager überhaupt keinen Nicht-
adeligen laden durste. Er konnte ihn gleichsam als Privatmann in Geschäften
sprechen; so oft er als Fürst repräsentirte. stand er mit ehernen Banden
in den Kreis seines Adels gebannt. Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahr¬
hunderts wurden allmälig Concessionen gemacht. Diese Concessionen, an den
einzelnen Höfen sehr verschieden, sind im Allgemeinen, daß das gesammte
Officiercorps, die höheren Nangclasscn der Beamten, während der Landtage
die Mitglieder beider Kammern, außerdem zuweilen Deputationen einflu߬
reicher Körperschaften, renommirte Fremde u. s. w. die Hoffähigkeit erhalten. Sie
kann einzelnen Individuen durch besondere Prädikate ertheilt werden; sie
wird an manchen Höfen durch Ertheilung eines Ordens erlangt. Aber alle
diese Ausdehnungen der Hosfähigkcit beruhen nur auf der Annahme, daß es
zweckmäßig geworden sei. die Vorrechte des Adels wenigstens für Stunden
auch auf Andere auszudehnen. Auch dem Adel hat man an den meisten
Höfen entsprechende Concessionen gemacht, wenigstens den Männern wird nur
noch ausnahmsweise nachgerechnet, ob sie von altem Adel sind, oder ob ihre
Familien seit drei oder vier Generationen eine Mesalliance vermieden ha¬
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So ist zunächst Recht des deutschen Edelmanns, wenn er dem Hoflager
seines Souveräns naht, in der vorgeschriebenen Weise seine Ankunft zu mel¬
den, worauf er nach Umständen bei der Cour empfangen, zur Tafel
geladen wird u. f. w. Dies an sich wenig bedenkliche Vorrecht ist aber
Grundlage für die gesammte Organisation des Hofes und die Wahl der per¬
sönlichen Umgebung des Regenten geworden. An allen deutschen Höhen ist der hö¬
here Dienst mit Ausnahme einiger Subalterner Beamten und der Dienerschaft in den
Händen des Adels. Die „Chargen", an allen Höfen in der Hauptsache gleich, nach
dem Range wieder in drei Classen getheilt, umgeben den Landesherrn in ihren
verschiedenen Functionen vom Morgen bis zum Abend. Außer den regelmäßig
Beschäftigten hat fast jeder Hof eine Anzahl Kammerherren. mehrere Höfe
auch Kammerjunker, welche, im Lande zerstreut, vielleicht bei besondern Gele¬
genheiten einberufen werden. Ja auch die nächste militärische Umgebung des



-) Acht Ahnen.genügen jetzt wol überall in Deutschland zum alten Adel; in Wien sind
bei einzelnen Hoffesten noch sechzehn nöthig.
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[0015] Dieses natürliche Verhältniß zwischen Herrscher und Volk ist in Deutschland durch einen Ueberrest feudaler Sitte sehr verschoben. Der Sou¬ verän ist gegenwärtig thatsächlich in der Wahl seiner Umgebung unfrei, das Ehrenrecht des außergeschäftlichen Verkehrs mit dem Landesherrn ist noch fast ausschließlich Privilegium einer bestimmten Classe von Staatsangehörigen. Ueberall in Deutschland hat der alte Adel das Vorrecht der Hoffähigkeit. Es gab eine Zeit, welche etwa drei Generationen abliegt, wo der Sou¬ verän an vielen deutschen Höfen zu seinem Hoflager überhaupt keinen Nicht- adeligen laden durste. Er konnte ihn gleichsam als Privatmann in Geschäften sprechen; so oft er als Fürst repräsentirte. stand er mit ehernen Banden in den Kreis seines Adels gebannt. Seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahr¬ hunderts wurden allmälig Concessionen gemacht. Diese Concessionen, an den einzelnen Höfen sehr verschieden, sind im Allgemeinen, daß das gesammte Officiercorps, die höheren Nangclasscn der Beamten, während der Landtage die Mitglieder beider Kammern, außerdem zuweilen Deputationen einflu߬ reicher Körperschaften, renommirte Fremde u. s. w. die Hoffähigkeit erhalten. Sie kann einzelnen Individuen durch besondere Prädikate ertheilt werden; sie wird an manchen Höfen durch Ertheilung eines Ordens erlangt. Aber alle diese Ausdehnungen der Hosfähigkcit beruhen nur auf der Annahme, daß es zweckmäßig geworden sei. die Vorrechte des Adels wenigstens für Stunden auch auf Andere auszudehnen. Auch dem Adel hat man an den meisten Höfen entsprechende Concessionen gemacht, wenigstens den Männern wird nur noch ausnahmsweise nachgerechnet, ob sie von altem Adel sind, oder ob ihre Familien seit drei oder vier Generationen eine Mesalliance vermieden ha¬ ben.*) So ist zunächst Recht des deutschen Edelmanns, wenn er dem Hoflager seines Souveräns naht, in der vorgeschriebenen Weise seine Ankunft zu mel¬ den, worauf er nach Umständen bei der Cour empfangen, zur Tafel geladen wird u. f. w. Dies an sich wenig bedenkliche Vorrecht ist aber Grundlage für die gesammte Organisation des Hofes und die Wahl der per¬ sönlichen Umgebung des Regenten geworden. An allen deutschen Höhen ist der hö¬ here Dienst mit Ausnahme einiger Subalterner Beamten und der Dienerschaft in den Händen des Adels. Die „Chargen", an allen Höfen in der Hauptsache gleich, nach dem Range wieder in drei Classen getheilt, umgeben den Landesherrn in ihren verschiedenen Functionen vom Morgen bis zum Abend. Außer den regelmäßig Beschäftigten hat fast jeder Hof eine Anzahl Kammerherren. mehrere Höfe auch Kammerjunker, welche, im Lande zerstreut, vielleicht bei besondern Gele¬ genheiten einberufen werden. Ja auch die nächste militärische Umgebung des -) Acht Ahnen.genügen jetzt wol überall in Deutschland zum alten Adel; in Wien sind bei einzelnen Hoffesten noch sechzehn nöthig. 1*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/15>, abgerufen am 15.05.2024.