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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Regenten, die Adjutantur, wird fast überall nach demselben Gesichtspunkt aus¬
gewählt. Schon der junge Prinz erhält vielleicht einen nichtadcligen Erzieher,
in jedem Fall einen adeligen Gouverneur. Von Klein ans wird er in der An¬
sicht erzogen, daß nur der Adelige zum geselligen und gemüthlichen Verkehr mit ihm
geeignet sei. Als ein Prinz, an dessen erlauchten Hause besonders volksthümliche
Erinnerungen hängen, in fremdem Kriegsdienst seine militärische Schule durchmachen
sollte, wurde sorglich ein Regiment ausgewählt, in welchem kein bürgerlicher Officier
war. Es erschien unthunlich, daß der junge Fürst selbst in der Fremde mit einem
Nichtadeligen kamradschastlich verkehren sollte. So entsteht an allen Höfen eine
eigenthümliche sociale Atmosphäre, welche das ganze Leben des Herrschers um¬
gibt und eine unsichtbare Schranke zwischen dem Hofe und der Nation bildet.

Vieles Seltsame ist dadurch zunächst in das deutsche Hofceremoniell ge-
kommen. Der deutsche Landjunker und seine Frau, diese letztere, wenn ihre
Familie in drei Generationen keine Mesalliance erduldet hat, sind als Ge-
ladne des Hoses auch vor mehrern Classen der höhern Staatsbeamten bevor¬
zugt. Die Frauen der letztern haben als "Bürgerliche" oft lange noch nicht
die Hvffähigkeit, welche den Männern vergönnt ist. Aber auch unter den
Hoffähigen sind noch zahlreiche Abstufungen des Ranges und der gesellschaft¬
lichen Privilegien, einige nothwendig, die meisten abenteuerlich, mehrere
wie dem Hofe von Byzanz nachgebildet. Nicht jedem Geladenen gönnt der
Souverän die Ansprache; auch dieser Vorzug geht an manchen Höfen nur
herab bis auf die Räthe irgend einer hohen Classe, die Officiere eines gewis¬
sen Grades, die Diplomaten eines distinguirten Ranges. Ein Legations-
secretair sieht wohl Jahrelang den Herrscher, bei welchem sein Gesandter
akkreditirt ist, an sich vorübergehen, ohne daß der hohe Herr ihn kennt.
Ist einmal sein Chef verreist und er Stellvertreter desselben, dann redet
ihn vielleicht der wohlwollende Monarch wie einen alten Bekannten an; kehrt
aber der Gesandte zurück, dann schwindet der Bevorzugte wieder in stummes
Nichts. Einst war einem würdigen Officier, der nach Hofetiquette zwar von
seinem Souverän gesehen, aber nicht angeredet werden durfte, der Sohn gefähr¬
lich erkrankt, welcher früher einmal Gelegenheit gehabt hatte, dem Regenten einen
persönlichen Dienst zu leisten. Ais der Fürst sich der Stelle näherte, an wel¬
cher der Vater ausgestellt war, hielt er einen Augenblick zögernd und sah
seinen Officier traurig an, dann schlich der arme Herr weiter. Die Für¬
stin, welche ihm folgte, und seine Empfindungen verstand, konnte sich
schon eher etwas vergeben, sie blieb vor dem Officier stehen und erkundigte
sich huldvoll nach dem Befinden des Sohnes. Sogleich stand auch der Fürst
still und lauschte auf die Antwort des Gefragten. Aber nicht immer lösen sich die
Schwierigkeiten der Etiquette so harmlos. Als in der Provinz eines größern
Staats vom Regenten ein Manöver abgehalten wurde, war das Gut eines


Regenten, die Adjutantur, wird fast überall nach demselben Gesichtspunkt aus¬
gewählt. Schon der junge Prinz erhält vielleicht einen nichtadcligen Erzieher,
in jedem Fall einen adeligen Gouverneur. Von Klein ans wird er in der An¬
sicht erzogen, daß nur der Adelige zum geselligen und gemüthlichen Verkehr mit ihm
geeignet sei. Als ein Prinz, an dessen erlauchten Hause besonders volksthümliche
Erinnerungen hängen, in fremdem Kriegsdienst seine militärische Schule durchmachen
sollte, wurde sorglich ein Regiment ausgewählt, in welchem kein bürgerlicher Officier
war. Es erschien unthunlich, daß der junge Fürst selbst in der Fremde mit einem
Nichtadeligen kamradschastlich verkehren sollte. So entsteht an allen Höfen eine
eigenthümliche sociale Atmosphäre, welche das ganze Leben des Herrschers um¬
gibt und eine unsichtbare Schranke zwischen dem Hofe und der Nation bildet.

Vieles Seltsame ist dadurch zunächst in das deutsche Hofceremoniell ge-
kommen. Der deutsche Landjunker und seine Frau, diese letztere, wenn ihre
Familie in drei Generationen keine Mesalliance erduldet hat, sind als Ge-
ladne des Hoses auch vor mehrern Classen der höhern Staatsbeamten bevor¬
zugt. Die Frauen der letztern haben als „Bürgerliche" oft lange noch nicht
die Hvffähigkeit, welche den Männern vergönnt ist. Aber auch unter den
Hoffähigen sind noch zahlreiche Abstufungen des Ranges und der gesellschaft¬
lichen Privilegien, einige nothwendig, die meisten abenteuerlich, mehrere
wie dem Hofe von Byzanz nachgebildet. Nicht jedem Geladenen gönnt der
Souverän die Ansprache; auch dieser Vorzug geht an manchen Höfen nur
herab bis auf die Räthe irgend einer hohen Classe, die Officiere eines gewis¬
sen Grades, die Diplomaten eines distinguirten Ranges. Ein Legations-
secretair sieht wohl Jahrelang den Herrscher, bei welchem sein Gesandter
akkreditirt ist, an sich vorübergehen, ohne daß der hohe Herr ihn kennt.
Ist einmal sein Chef verreist und er Stellvertreter desselben, dann redet
ihn vielleicht der wohlwollende Monarch wie einen alten Bekannten an; kehrt
aber der Gesandte zurück, dann schwindet der Bevorzugte wieder in stummes
Nichts. Einst war einem würdigen Officier, der nach Hofetiquette zwar von
seinem Souverän gesehen, aber nicht angeredet werden durfte, der Sohn gefähr¬
lich erkrankt, welcher früher einmal Gelegenheit gehabt hatte, dem Regenten einen
persönlichen Dienst zu leisten. Ais der Fürst sich der Stelle näherte, an wel¬
cher der Vater ausgestellt war, hielt er einen Augenblick zögernd und sah
seinen Officier traurig an, dann schlich der arme Herr weiter. Die Für¬
stin, welche ihm folgte, und seine Empfindungen verstand, konnte sich
schon eher etwas vergeben, sie blieb vor dem Officier stehen und erkundigte
sich huldvoll nach dem Befinden des Sohnes. Sogleich stand auch der Fürst
still und lauschte auf die Antwort des Gefragten. Aber nicht immer lösen sich die
Schwierigkeiten der Etiquette so harmlos. Als in der Provinz eines größern
Staats vom Regenten ein Manöver abgehalten wurde, war das Gut eines


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[0016] Regenten, die Adjutantur, wird fast überall nach demselben Gesichtspunkt aus¬ gewählt. Schon der junge Prinz erhält vielleicht einen nichtadcligen Erzieher, in jedem Fall einen adeligen Gouverneur. Von Klein ans wird er in der An¬ sicht erzogen, daß nur der Adelige zum geselligen und gemüthlichen Verkehr mit ihm geeignet sei. Als ein Prinz, an dessen erlauchten Hause besonders volksthümliche Erinnerungen hängen, in fremdem Kriegsdienst seine militärische Schule durchmachen sollte, wurde sorglich ein Regiment ausgewählt, in welchem kein bürgerlicher Officier war. Es erschien unthunlich, daß der junge Fürst selbst in der Fremde mit einem Nichtadeligen kamradschastlich verkehren sollte. So entsteht an allen Höfen eine eigenthümliche sociale Atmosphäre, welche das ganze Leben des Herrschers um¬ gibt und eine unsichtbare Schranke zwischen dem Hofe und der Nation bildet. Vieles Seltsame ist dadurch zunächst in das deutsche Hofceremoniell ge- kommen. Der deutsche Landjunker und seine Frau, diese letztere, wenn ihre Familie in drei Generationen keine Mesalliance erduldet hat, sind als Ge- ladne des Hoses auch vor mehrern Classen der höhern Staatsbeamten bevor¬ zugt. Die Frauen der letztern haben als „Bürgerliche" oft lange noch nicht die Hvffähigkeit, welche den Männern vergönnt ist. Aber auch unter den Hoffähigen sind noch zahlreiche Abstufungen des Ranges und der gesellschaft¬ lichen Privilegien, einige nothwendig, die meisten abenteuerlich, mehrere wie dem Hofe von Byzanz nachgebildet. Nicht jedem Geladenen gönnt der Souverän die Ansprache; auch dieser Vorzug geht an manchen Höfen nur herab bis auf die Räthe irgend einer hohen Classe, die Officiere eines gewis¬ sen Grades, die Diplomaten eines distinguirten Ranges. Ein Legations- secretair sieht wohl Jahrelang den Herrscher, bei welchem sein Gesandter akkreditirt ist, an sich vorübergehen, ohne daß der hohe Herr ihn kennt. Ist einmal sein Chef verreist und er Stellvertreter desselben, dann redet ihn vielleicht der wohlwollende Monarch wie einen alten Bekannten an; kehrt aber der Gesandte zurück, dann schwindet der Bevorzugte wieder in stummes Nichts. Einst war einem würdigen Officier, der nach Hofetiquette zwar von seinem Souverän gesehen, aber nicht angeredet werden durfte, der Sohn gefähr¬ lich erkrankt, welcher früher einmal Gelegenheit gehabt hatte, dem Regenten einen persönlichen Dienst zu leisten. Ais der Fürst sich der Stelle näherte, an wel¬ cher der Vater ausgestellt war, hielt er einen Augenblick zögernd und sah seinen Officier traurig an, dann schlich der arme Herr weiter. Die Für¬ stin, welche ihm folgte, und seine Empfindungen verstand, konnte sich schon eher etwas vergeben, sie blieb vor dem Officier stehen und erkundigte sich huldvoll nach dem Befinden des Sohnes. Sogleich stand auch der Fürst still und lauschte auf die Antwort des Gefragten. Aber nicht immer lösen sich die Schwierigkeiten der Etiquette so harmlos. Als in der Provinz eines größern Staats vom Regenten ein Manöver abgehalten wurde, war das Gut eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/16>, abgerufen am 15.05.2024.